Oberst André Wüstner im Interview bei der "Welt". Foto: Screenshot

Oberst André Wüstner im Interview bei der "Welt". Foto: Screenshot

15.03.2023
Von Christian Höb und Frank Jungbluth

"Wehrbericht ist brutal schlechtes Zeugnis für Fachpolitiker und Regierung"

"Es hat sich erschreckend wenig getan" – so die Bilanz des Wehrberichts 2022, den die Wehrbeauftragte des deutschen Bundestages, Eva Högl, vorgestellt hat. Oberst André Wüstner, Bundesvorsitzender des Deutschen BundeswehrVerbandes, spricht im Interview mit der "Welt" und bei "Bayern 2" Klartext.

Berlin. Nach der Vorstellung des Wehrberichts hat derBundesvorsitzende des Deutschen BundeswehrVerbandes, Oberst André Wüstner, die Politik erneut aufgefordert, zu handeln. "Frau Högl stellt mit der Aussage 'Wir haben überall Mängel' den Fachpolitikern und der Regierung ein brutal schlechtes Zeugnis aus. Und dass, obwohl wir mehr als ein Jahr Krieg in Europa haben", sagte er der "Welt".

"Das kann so nicht weitergehen. In der Bundeswehr verzweifelt man, zum Teil ist man wütend. Man fragt sich: Was muss noch passieren, damit die Politik endlich 'den Schuss hört'"?", so Wüstner.

"Die Lage der Bundeswehr ist glasklar"

Man könne die Bundeswehr problemlos 20 bis 30 Prozent effizienter gestalten. Als Beispiel nennt Wüstner die Panzerhaubitzen, die Deutschland der Ukraine geliefert hat. Das Verteidigungsministerium habe sofort gesagt, dass man nachbestellen müsse. "Wenn es mehrere Monate dauert, bis das Finanzministerium einen Haken macht. Bis dann das Parlament hoffentlich jetzt vor Ostern noch den Haken macht, dann kann man das keinem Bürger dieses Landes erklären." Wüstner fordert: "Wir müssen raus aus diesen alten Verfahren."

Die Lage der Bundeswehr sei weiterhin dramatisch. "Wir als Berufsverband haben schon im vergangenen Jahr gesagt: 'Die Bundeswehr ist immer noch im freien Fall', und da wurden die Augenbrauen hochgezogen. Jetzt kommt Frau Högl und sagt, 'Was muss noch passieren?'. Die Lage ist glasklar beschrieben und wir müssen jetzt Gas geben", erklärte Wüstner im Gespräch mit Bayern 2.

Wehrbericht 2022: "Es hat sich erschreckend wenig getan"

Die Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, Dr. Eva Högl, hatte am Dienstag ihren Jahresbericht 2022 vorgestellt. "Viele der aufgeführten Probleme sind seit Jahren bekannt und schon in früheren Jahresberichten enthalten", hieß es in dem Bericht der Wehrbeauftragten. "Getan hat sich seitdem erschreckend wenig." Aber, wie Högl betonte, sie habe sich zu Beginn ihrer Amtszeit vor drei Jahren das Ziel gesetzt, vor allem auch das Gute, Gelungene und Positive zu sehen: "Das Interesse an der Bundeswehr ist deutlich gewachsen. Unsere Soldaten haben diese Anerkennung auch verdient. Wir können sehr stolz sein auf unsere Soldatinnen und Soldaten. Denn nur von Fehlern und Versäumnissen zu sprechen, das wird unseren Soldatinnen und Soldaten nicht annähernd gerecht."

Bei der Beschaffung fiel das Fazit der Juristin wie folgt aus: "Es dauert alles viel zu lang." Das Material, das die Bundeswehr für die Unterstützung der Ukraine abgeben muss, müsse zügig ersetzt werden. "Die angestoßene Reform der Beschaffungsprozesse muss mit Hochdruck beschleunigt werden. Dafür braucht es veränderte Rechtsgrundlagen und mehr Transparenz durch einen stetig zu aktualisierenden Report über den Stand der Bestellungen, Ausgaben und Anschaffungen. In dem Moment, wo von der Bundeswehr, aus der Truppe, Material an die Ukraine geliefert wird, muss hier sofort nachbestellt werden. Auch die Industrie ist an der Stelle in der Verantwortung. Die Erkenntnis ist da, jetzt muss endlich umgesetzt werden."

Sondervermögen wird nicht reichen

Die 100 Milliarden Euro Sondervermögen würden nicht reichen, um die vollständige Einsatzbereitschaft der Bundeswehr wiederherzustellen. Nach Einschätzung militärischer Experten sei dafür eine "Summe von insgesamt 300 Milliarden Euro" notwendig, schrieb Högl in ihrem Jahresbericht. "2022 ist noch kein Cent aus dem Sondervermögen bei den Soldaten angekommen", hieß es. Geld müsse nicht nur in Material, sondern auch in die persönliche Ausbildung der Soldatinnen und Soldaten investiert werden. Außerdem seien zweistellige Milliardenbeträge erforderlich, um die Munitionsbestände aufzufüllen und Munitionslager zu bauen. Diese Summen seien im Sondervermögen nicht enthalten, sondern seien aus dem regulären Verteidigungshaushalt zu finanzieren.

Der Bericht sah auch einige positive Ansätze. Dazu zählte zum Beispiel, verstärkt auf marktverfügbares und damit schneller zu beschaffendes Gerät zu setzen sowie die rasch erfolgte Anhebung der Grenze von Direktvergaben von 1000 auf 5000 Euro. Auch die 2022 getroffenen Entscheidungen, F-35, neue Transporthubschrauber oder auch neue Sturmgewehre sowie digitale Funkgeräte zu beschaffen, "weisen auf den richtigen Weg".

Bundeswehr hat Probleme bei der Personalgewinnung

Ein weiteres Thema: Personal. "Bis zum Ziel, die Zahl der Soldatinnen und Soldaten auf 203.000 im Jahr 2031 zu erhöhen, ist es noch ein langer Weg", stellte der Bericht nüchtern fest. "Zumal sich die Zahl der Bewerberinnen und Bewerber im Jahr 2022 mit einem Minus von elf Prozent erheblich verringert hat."

Weitere Probleme würden der steigende Altersdurchschnitt und die gestiegene Abbrecherquote machen: "Bei den Zeitsoldatinnen und -soldaten, die von Januar bis Mai 2022 ihren Dienst bei der Bundeswehr begannen, haben 27 Prozent von ihnen innerhalb der ersten sechs Monate Probezeit den Dienst wieder quittiert, im Heer waren es sogar fast 33 Prozent." Als Konsequenz daraus müsse die Bundeswehr ihre bisherigen Anstrengungen zur Personalgewinnung noch einmal massiv verstärken.

Kasernen in "einem erbärmlichen" Zustand

Ein weiteres Thema, bei dem es ebenfalls bekanntermaßen hakt: die Infrastruktur der Bundeswehr. "Zu viele Kasernen in Deutschland sind in einem erbärmlichen Zustand. Wenn alles so bleibt wie bisher, würde es etwa ein halbes Jahrhundert dauern, bis die Infrastruktur der Bundeswehr komplett modernisiert wäre", hieß es.

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