„Für mich ist die Uniformität das gemeinsame Bekenntnis zu unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung“, sagt Hülya Süzen – wie hier in Hamburg bei der Beförderung von mehr als 500 Offizieranwärtern zum Leutnant. Foto: Bundeswehr/Darius Retzlaff

„Für mich ist die Uniformität das gemeinsame Bekenntnis zu unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung“, sagt Hülya Süzen – wie hier in Hamburg bei der Beförderung von mehr als 500 Offizieranwärtern zum Leutnant. Foto: Bundeswehr/Darius Retzlaff

07.08.2022
Von Frank Schauka

„Wer sich für Vielfalt und Offenheit einsetzt, schwächt die Extremisten“

Hülya Süzen (39) war viele Jahre an der Zentralen Ansprechstelle für Soldatinnen und Soldaten anderer Glaubensrichtungen am Zentrum Innere Führung tätig. Die stellvertretende Vorsitzende Luftwaffe im DBwV hat sich zudem intensiv wissenschaftlich mit den Themen Extremismus und Rassismus befasst. Im Interview plädiert sie für Vielfalt in der Truppe – nicht nur als Zeichen von Wertschätzung und Anerkennung, sondern auch als Maßnahme der Extremismusprävention.

Frau Süzen, wir wollen heute über ein Thema reden, das in der Öffentlichkeit immer wieder hohe Wellen schlägt: das vermeintliche Extremismus- und Rassismusproblem in der Bundeswehr. Wie groß ist es nach Ihrer Erfahrung als Soldatin?

Hülya Süzen: Ich denke, das Extremismus- und Rassismusproblem ist in der Bundeswehr recht gering. Wenn es groß wäre, hätte es mir als Frau, zumal als muslimische Frau mit Migrationshintergrund, irgendwann in meinen fast 18 Dienstjahren begegnen müssen. Aber ich habe in der Truppe keine persönlichen Erfahrungen mit Extremismus oder Rassismus gemacht.

Ist das nicht erstaunlich, wenn man davon ausgeht, dass die Bundeswehr ein Spiegelbild der Gesellschaft ist?

Natürlich gehen Probleme, die es in der Gesellschaft gibt, auch an uns in der Truppe nicht vorbei. Aber es gibt einen wichtigen Unterschied zur Zivilgesellschaft. Wir haben durch die Uniform und das Soldatsein einen gemeinsamen Habitus, eine gemeinsame Sprache, ein festes Gerüst von gemeinsamen Werten und Normen, die uns verbinden. Dadurch fällt das Extremismusproblem in der Bundeswehr kleiner aus als in der Zivilgesellschaft, einfach deshalb, weil die Positionen bei uns sehr klar bestimmt sind und weil es dadurch einfacher ist, integriert zu werden und sich zu integrieren. Die Bundeswehr ist ein Integrationsmotor. Hinzu kommt, dass bei uns streng ausgesiebt wird, bereits im Vorfeld durch die Sicherheitsüberprüfungen des MAD, außerdem dadurch, dass Vorgesetzten und Kameraden etwaiges Fehlverhalten schnell auffällt. So haben Extremismus und Rassismus bei uns in der Truppe keinen     Platz.

Trotzdem wird bisweilen der Eindruck vermittelt, Extremismus und Rassismus würden in der Truppe systematisch verschleiert. Wie erklären Sie sich diese Einschätzung in der Öffentlichkeit?

Ich sehe zwei Gründe dafür: Da ist zunächst die allgemeine Bürde unserer deutschen Geschichte, dazu kommt die spezielle Bürde, die wir als Bundeswehr tragen. Manche unterstellen der Bundeswehr bis heute, sie hätte noch immer den Habitus der Wehrmacht. Das ist natürlich komplett falsch. Aus geschichtlichen Gründen steht also die deutsche Gesellschaft dem Militär kritischer gegenüber als in anderen Ländern. Es ist ja überhaupt nicht falsch, hellhörig zu sein. Aber im Ergebnis führt das leider dazu, dass die Bundeswehr manchmal zu Unrecht in eine bestimmte Ecke gestellt wird, wo wir objektiv nicht hingehören.

Was macht das mit den Soldaten?

Das führt dazu, dass Soldaten sich unverstanden und nicht wertgeschätzt fühlen. Ihr Eindruck ist: Egal, wie sehr man sich als Mensch bemüht, man wird einfach in die Sammelschublade geworfen und nicht so wahrgenommen, wie man wirklich ist. Solche falschen Verallgemeinerungen sind immer unzulässig und schlecht.

Wie könnte man das ändern?

Ich spreche mich für einen Veteranentag in Deutschland aus, das ist ein Projekt, das Marcel Bohnert als stellvertretender Bundesvorsitzender des Deutschen BundeswehrVerbandes mit aller Kraft vorantreibt. Ich denke, dass aktive Soldaten und auch Veteranen mehr öffentliche Anerkennung brauchen. Das hilft auch gegen Extremismus. Wenn sich Soldaten und Veteranen, mit der breiten zivilgesellschaftlichen Unterstützung im Rücken, gegen Extremismus engagieren, wird ihre Position noch überzeugender wahrgenommen. Aktive Soldaten sowie Veteranen könnten also noch besser korrigierend wirken. Abgesehen davon: Man muss den Menschen, die ehrliche, gute Arbeit leisten, die sich mit Leib und Leben für unser Land einsetzen, etwas zurückgeben. Man muss diese Menschen wahrnehmen, anerkennen und ihnen Wertschätzung entgegenbringen.

Wenn Extremismus ein Randproblem der Truppe ist, warum halten Sie die Aktion #WirGegenExtremismus für wichtig, die Oberstleutnant i.G. Marcel Bohnert ins Leben gerufen hat?

Es ist unglaublich wichtig zu zeigen, dass wir Positionen, die mit Demokratie und Rechtsstaatlichkeit unvereinbar sind, definitiv nicht dulden. Eine Positionsbestimmung wie #WirGegenExtremismus ist Extremismusprävention durch klares Bekenntnis. Prävention durch Vorbild!

Sie plädieren für eine größtmögliche Vielfalt in der Truppe. Warum sehen Sie darin ebenfalls eine Präventionsmaßnahme gegen Rassismus und Extremismus?

Für mich bedeutet Innere Führung, Flagge zeigen, das heißt: Vielfalt anerkennen, Vielfalt wahrnehmen und Vielfalt einsetzen. Ich engagiere mich dafür, dass man die Vielfalt in der Truppe als Stärke und Bereicherung wahrnimmt. Vielfalt ist Stärke, die man ganz gezielt einsetzen und nutzen sollte. Für mich ist #WirGegenExtremismus im Umkehrschluss ein Plädoyer für Vielfalt. Denn wenn wir uns dagegen aussprechen, Menschen auszuschließen, sprechen wir uns gleichzeitig für die Inklusion aller aus. Rechtsextremismus ist gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und schließt alle Andersdenkenden aus. Wer sich für Vielfalt und Offenheit sowie ein Miteinander einsetzt, schwächt automatisch die Position von Extremisten aller Couleur.

Aber die Bundeswehr steht doch sinnbildlich für Uniformität: Uniformität im Erscheinungsbild, Uniformität in der Sprache. Ist Uniformität nicht das Gegenteil von Vielfalt? Anders gefragt: Kann es nicht sein, dass es gerade die Uniformität ist, die Extremismus und Rassismus innerhalb der Bundeswehr begünstigt?

Nein. Die Uniformität ist die Einheit in der Vielfalt. Die Uniformität ist der gemeinsame Nenner, der die Vielfalt zusammenbringt. Für mich ist die Uniformität, die in der Bundeswehr gelebt wird, das gemeinsame Bekenntnis zu unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Die Uniformität ist wie ein Normenkompass.

Bis zur Aussetzung der Wehrpflicht wurde die Truppe jahrzehntelang kontinuierlich mit neuen Gedanken und kulturellen Strömungen aus der Mitte der Gesellschaft versorgt. Könnte man sagen, dass Aktionen wie #WirGegenExtremismus ein Versuch sind, von oben zu ersetzen, was der Bundeswehr nicht mehr automatisch von unten zufließt?

Die Aktion #WirGegenExtremismus kommt nur scheinbar von oben, auch wenn unsere Verteidigungsministerin die Schirmherrschaft übernommen hat. Eigentlich ist #WirGegenExtremismus echte Graswurzelarbeit. Denn hier kann jeder einzelne Soldat mitmachen und sich mit uns positionieren. Dadurch ist #WirGegenExtremismus noch überzeugender, noch stärker und wirkt noch viel tiefer.

Zum Abschluss: Was könnte man tun, damit extremistische und rassistische Tendenzen in der Bundeswehr marginal bleiben?

Ich bin für die Erweiterung der Militärseelsorge. Auch das könnte gegen Extremismus helfen. Mit der Schaffung des Militärrabbinats haben wir die Erweiterung der Militärseelsorge für das Judentum bereits erreicht. Die größte nichtchristliche Minderheit in den deutschen Streitkräften sind die Muslime. Hätte die Bundeswehr eigene Imame, wäre sichergestellt, dass diese auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung stehen. Zugleich würde man für mehr Vielfalt in den Streitkräften sorgen. Das wäre ein eindeutiges Zeichen der Anerkennung und Wertschätzung der muslimischen Kameraden. Toleranz ist mir zu wenig. Tolerieren bedeutet ertragen, aber ertragen können wir alle sehr viel. Es geht mir um Akzeptanz, um Anerkennung. Anerkennung ist die schönste, weil menschlichste Form von Extremismusprävention.

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