General Freuding im Interview mit dem Deutschen BundeswehrVerband. Foto: DbwV/Christian Höb

General Freuding im Interview mit dem Deutschen BundeswehrVerband. Foto: DbwV/Christian Höb

13.03.2023
Von Oliver Krause und Frank Jungbluth

„Wir erleben seit einem Jahr sehr tapfere ukrainische Streitkräfte“

Brigadegeneral Dr. Christian Freuding leitet den Sonderstab Ukraine im Verteidigungsministerium. Im Interview mit „Die Bundeswehr“ erklärt er, warum die Ukrainer so erfolgreich gegen die russische Übermacht kämpfen.

Die Bundeswehr: Militärisches Handeln leitet sich ja aus politischen Vorgaben ab. Können Sie die Strategie des Westens, also auch Deutschlands Strategie, mit Blick auf den Ukrainekrieg kurz für unsere Leser skizzieren?

General Dr. Christian Freuding: Wir wollen mit unseren Unterstützungsleistungen dazu beitragen, dass die Ukraine sich weiterhin erfolgreich verteidigen kann, dass die Ukraine in der Lage ist, die territoriale Integrität ihres Landes wiederherzustellen, dass Freiheit und Recht obsiegen und nicht Willkürherrschaft, Aggression und Bruch des Völkerrechts.

Jungbluth: Das sagt auch der neue Verteidigungsminister Boris Pistorius: „Die Ukraine muss diesen Krieg gewinnen.“ Was brauchen die ukrainischen Truppen dafür am Ende wirklich? Die ukrainische Regierung fordert viel, nach den Panzern jetzt auch Kampfflugzeuge, U-Boote und Kampfschiffe. Was sagen Sie aus Ihrer Erfahrung? Was braucht die ukrainische Armee, um wirkungsvoll die Russen eines Tages auch wieder zurückschlagen zu können, hinter die völkerrechtlich anerkannten Grenzen?

Freuding: Ich bin der tiefen Überzeugung, dass die Ukraine diesen Krieg gewinnen muss. Da geht es um die großen Fragen, die internationale Ordnung, unsere Werte, unsere Durchsetzungsfähigkeit auch um die Frage: Wie sieht die europäische Sicherheitsarchitektur in den kommenden Jahrzehnten aus? Und deshalb müssen unsere Unterstützungsleistungen auch darauf ausgerichtet sein, den ukrainischen Streitkräften so gut wie möglich mit Ausrüstung und Ausbildung zu helfen. Wir haben uns in enger Abstimmung mit unseren Partnern darauf festgelegt, dass wir in gewissen Fähigkeits-Clustern, so nennen wir das, unterstützen. Das ist Artillerie, das ist die Luftverteidigung, das sind Pionierfähigkeiten, das sind Schutz und Spezialausstattung und seit Beginn dieses Jahres auch gepanzerte Gefechtsfahrzeuge. Das ist das, was die Ukraine dringend braucht, wo die Ukraine den größten Bedarf artikuliert. Diese Unterstützung ergibt sich auch aus der militärischen Lage. Bei diesen Unterstützungsleistungen geht es nicht nur um das reine Material, das Waffensystem, sondern wir denken auch immer im Paket: Das heißt, wir helfen auch mit Ausbildung, mit Ersatzteilen, mit Munition. Wir wissen, dass diese Unterstützung ihren Zweck erfüllt. Und zugleich haben die Ukrainer eine bemerkenswerte Durchhaltefähigkeit und einen langen Atem. Das ist sehr beeindruckend.

Jungbluth: Wenn sie auf die Lage blicken: Welche Ziele verfolgt Russland Ihrer Beobachtung nach aktuell in der Ukraine und worauf müssen wir uns, was diese Ziele angeht, in den nächsten Monaten noch einstellen? Es wurde im Vorfeld viel darüber spekuliert, dass es zum Jahrestag eine Großoffensive der russischen Armee geben wird. Was erwartet uns? Was erwartet die Ukraine und worauf müssen wir uns einstellen in nächster Zeit?

Freuding: Der Krieg hat nicht erst vor einem Jahr begonnen. Das war schon 2014. Den Versuch Russlands, die Ukraine mit einer großflächigen Invasion zu unterwerfen, erleben wir tatsächlich so umfassend seit einem Jahr. Russland hat das strategische Ziel, die Ukraine zu zerschlagen. Russland hat das Ziel, die Ukraine von der Landkarte zu tilgen. Das war Putins Ziel und das wird auch sein Ziel bleiben. Kurzfristig werden die Russen versuchen, den gesamten Donbass einzunehmen. Von dort aus könnte sich die russische Armee neu formieren, um in Richtung Westen anzutreten. Am Ende bleibt das strategische Ziel, die Staatlichkeit der Ukraine zu beenden.

Krause: Der Donbass ist ja in diesen Tagen am härtesten umkämpft. Wir lesen auch, dass an einem Tag so viele Artillerie Granaten von russischer und ukrainischer Seite verschossen werden, wie der Westen in einem Monat produziert. Da gibt es unterschiedliche Angaben, was bleibt, ist, dass der russische Druck massiv ist. Wie lange kann die Ukraine dem standhalten? Oder müssen wir eigentlich damit rechnen, dass die ukrainischen Truppen sich besser strategisch zurückziehen sollten?

Freuding: Also, ich glaube, wir erleben seit einem Jahr sehr tapfere, sehr findige, sehr durchhaltefähige und resiliente ukrainische Streitkräfte. Denen es gelungen ist, zunehmend moderne Technik einzuführen. Denen es gelungen ist, taktisch gut zu führen. Sie lernen sehr schnell. Sie sind sehr findig in der Anwendung von technischen Neuerungen. Denken Sie allein an die mittlerweile in der Öffentlichkeit auch bekannt gewordene Artillerie-App „Gis Arta“, mit der die ukrainische Artillerie viel genauer treffen kann, weil die Flugbahnen der Geschosse mit dieser Technik sehr exakt berechnet werden können, um es vereinfacht zu sagen. Da können wir uns sogar eine Scheibe abschneiden. Wir erleben zudem eine unglaublich große Moral in den ukrainischen Streitkräften, die geschlossen von der Bevölkerung getragen wird. Das kann man als Gesamtverteidigung bezeichnen. Das erleben wir in der Ukraine. Ich bin überzeugt davon, dass die ukrainischen Streitkräfte, aber auch die gesamte Gesellschaft, der gesamte Staat weiter erfolgreich diesen Krieg führen werden, weil der Wille ungebrochen ist.

Jungbluth: Sie leiten seit einem Jahr das Lagezentrum Ukraine hier im BMVg. Wie muss man sich das praktisch vorstellen?

Freuding: Der Sonderstab Ukraine befasst sich im Prinzip mit allen Fragen im Verteidigungsministerium, die mit der Ukraine zusammenhängen. Und das beginnt mit A wie Amtshilfe, die die Bundeswehr zu Beginn des Krieges geleistet hat, oder Ausbildung. Das geht über W wie Waffenlieferungen und endet bei Z wie Zusatzbekleidung für die ukrainischen Streitkräfte. Wir vertreten die Position des BMVg in der engen Koordinierung im Ressortkreis; auch in Gesprächen mit der Rüstungsindustrie sowie den internationalen Partnern, mit denen wir uns abstimmen. Wir bereiten die Sitzungen der sogenannten Ramstein-Gruppe vor. Das alles ist unser Auftrag, er enthält sowohl Aspekte des militärischen Nachrichtenwesens, der Zusammenarbeit mit den zuständigen Fachabteilungen des BMVg wie auch Industriekontakte und die Verbindungen zu unseren internationalen Partnern.

Jungbluth: Sie selbst haben Erfahrung auch in gefährlichen Auslandseinsätzen gesammelt. 2002 waren Sie Kompaniechef in Bosnien und Herzegowina. 2008 waren Sie Chef des Stabes ISAF in Kundus. Haben Sie die Bundeswehr in diesen Einsätzen als schlagkräftige Truppe erlebt? Wenn man das vergleicht, wie Sie die ukrainische Armee erleben?

Freuding: Die Bundeswehr ist eine schlagkräftige Truppe und in den Einsätzen, die ich erlebt habe, konnten wir den Auftrag, den wir hatten, nach meiner Bewertung gut erfüllen. Die Truppe bereitet sich immer intensiv und zielgerichtet auf ihre Aufträge vor. Die Truppe ist leistungsfähig, unsere Soldatinnen und Soldaten sind leistungsfähig und motiviert. Und das zeichnet unsere Soldatinnen und Soldaten auch aus. Das alles muss man immer mit dem Blick darauf betrachten, dass in diesen Einsätzen in Sachen Ausrüstung nicht immer alles optimal war. Da haben die hohe Moral und die Motivation einiges ausgeglichen.

Krause: Nun betrachten Sie die Lage in der Ukraine nicht nur vom Sonderstab aus, Sie waren auch selbst vor Ort im Kriegsgebiet. Sie haben den neuen Verteidigungsminister eben bei seiner Reise zu einem Gespräch mit Präsident Selenskyj begleitet. Wenn Sie uns an Ihren Eindrücken teilhaben lassen, wie realistisch ist das Bild, das man da gewinnt?

Freuding: Wir erleben die Ukrainer als ungeheuer entschlossen, diesen Krieg gewinnen zu wollen. Wir erleben eine sehr große militärische Entschlossenheit und eine ebenso große gesellschaftliche Geschlossenheit. Jeder unterstützt jeden, um diese Verteidigung erfolgreich weiterzuführen. Alle wollen diesen Krieg gemeinsam gewinnen, aber wir erleben natürlich nach einem Jahr Krieg auch physische Erschöpfung bei einigen Ukrainerinnen und Ukrainern. Man erlebt und spürt auch so eine gewisse Traurigkeit. Jeder hat Freunde oder Verwandte, hat Angehörige verloren, jeder steht vor ganz existenziellen Fragen. Steht mein Haus noch? Gibt es meine Wohnung noch? Aber das alles wird sozusagen überwölbt von dieser gemeinsamen Entschlossenheit. Sie wollen erfolgreich sein, sie wollen weiter in Freiheit leben.

Krause: Bei allem beeindruckenden Heldenmut der Ukrainer: Ist unser Lagebild hier in Deutschland, im Westen, mit Blick auf die Leistungsfähigkeit der ukrainischen Armee und der russischen Armee kritisch genug?

Freuding: Also, ich glaube, politisches Handeln und militärisches Handeln und auch die Unterstützungsleistungen müssen natürlich immer einer kritischen Überprüfung standhalten. Und das gilt auch für alle unsere Entscheidungen, wie und mit welchem Material wir die Ukraine unterstützen. Diesen Entscheidungen gehen immer sorgfältige Abwägungen voraus. Sie sind abgeleitet aus dem ukrainischen Bedarf, sind zudem mit unseren internationalen Partnern auf das Engste abgestimmt und berücksichtigen aber bei Abgaben aus Beständen der Bundeswehr natürlich immer auch die Auswirkungen auf unsere eigene Einsatzbereitschaft.

Jungbluth: Ein Schreckensszenario, das immer wieder eine Rolle spielt, ist: Wenn wir die Ukraine nicht unterstützen, wenn die Ukraine überrollt wird, eingenommen wird, dann stehen die Russen an der NATO-Ostgrenze. Können Sie sich vorstellen, nach Ihrer Beobachtung und Ihrer Erfahrung, dass dann tatsächlich auch die baltischen Staaten bedroht wären? Würden die Russen so weit gehen?

Freuding: Einen Angriff auf die NATO wird Putin nach meiner Einschätzung nicht wagen. Wir demonstrieren doch gerade Geschlossenheit und Stärke. Gleichzeitig gilt: Solange der imperialistische Habitus in Russland ungebrochen ist, solange wird das Regime Putin auch versuchen, seine territorialen Ansprüche auch mit Gewalt durchzusetzen.

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