Bundesverteidigungsministerin Lambrecht zu Besuch beim Logistikbataillon 172 in Beelitz. Die Kommandeurin, Oberstleutnant Anja Buresch-Hamann, und General Martin Schelleis, Inspekteur der Streitkräftebasis, zeigen der Ministerin die logistischen Fähigkeiten des Bataillons. Foto: Bundeswehr/Maximilian Schulz

21.05.2022
Von Frank Jungbluth

„Wir helfen der Ukraine mit Waffen, Geld und anderen Hilfsgütern”

Der Start in ihr neues Amt als Verteidigungsministerin hätte kaum schwieriger sein können, hat doch der Angriffskrieg Russlands in der Ukraine die gesamte europäische Sicherheitsordnung auf den Kopf gestellt. Aktuell sieht sich Christine Lambrecht zudem starker Kritik aus der Opposition ausgesetzt – CDU-Chef Friedrich Merz forderte vor wenigen Tagen ihren Rücktritt.Im Interview mit unserer Redaktion bilanziert die Ministerin die vergangenen Monate und sagt, worauf es jetzt für die Bundeswehr ankommt.

Frau Ministerin, Sie sind jetzt seit über 100 Tagen im Amt. So haben Sie sich ihren Start sicher nicht vorstellen können. Wie fällt Ihr erstes Fazit aus?

Christine Lambrecht: Mir war von Anfang an klar, dass ich mit dem Amt eine große Verantwortung übernehme, an die ich mit viel Respekt herangehe. Es ist gleichzeitig ein Amt, in dem man unglaublich viel bewegen kann und muss – für unsere Frauen und Männer in der Bundeswehr. In den vergangenen Jahren ist viel zu viel liegen geblieben, es wurde gekürzt und gespart. Das ändere ich jetzt. Erste wichtige Entscheidungen habe ich bereits getroffen : Bewaffnung der Heron-Drohnen, Tornado-Nachfolge durch den F-35, Vollausstattung für alle Soldatinnen und Soldaten mit moderner Ausrüstung bis 2025. Das sind Dinge, auf die die Truppe schon lange gewartet hat. Und es ist großartig zu sehen, dass ich mich auf die vielen hochmotivierten, fähigen und professionellen Menschen in der Bundeswehr Tag für Tag verlassen kann.

Der russische Angriffskrieg hat alles verändert. Hat Deutschland, hat die auch jetzige Bundesregierung die Ukraine bisher bestmöglich unterstützt?
 
Deutschland steht gemeinsam mit seinen Alliierten fest an der Seite unserer ukrainischen Freunde in ihrem Kampf gegen Putins verbrecherischen Angriffskrieg. Wir helfen der Ukraine mit Waffen, mit Geld, mit Ausrüstung und auch mit humanitären Hilfsgütern. Deutschland hat unmittelbar nach Beginn des Krieges im Februar eine ganze Reihe sehr weitreichender Entscheidungen getroffen und umfangreiche Waffenlieferungen auf den Weg gebracht. Es hat in diesem Zusammenhang in den vergangenen Wochen auch Kritik an Deutschland gegeben. Die Zahlen sprechen aber eine andere Sprache. Es ist mir dabei wichtig, dass wir hier weiter geschlossen mit unseren Verbündeten zusammenstehen und uns nicht auseinandertreiben lassen. Die Hilfe für die Ukraine muss aus einem Guss sein, die Komponenten müssen genau miteinander verzahnt sein, so erreicht man die größte Wirkung. Nur so ist die Hilfe mehr als die Summe ihrer Einzelteile. Nur so helfen wir wirklich wirksam.

Die Kritik an den Waffenlieferungen der Bundesregierung in die Ukraine hatte zuletzt stark zugenommen. Die Ukraine fordert Panzer und Haubitzen aus den Beständen der Bundeswehr. Zudem gibt es Altbestände bei der Industrie. Was läuft da schief?

Wir haben die Ukraine von Kriegsbeginn an in großem Umfang mit Waffen und Ausrüstung beliefert – mit Panzerabwehrwaffen, Flugabwehrraketen, Munition und vielem anderen, und wir werden die Ukraine weiter unterstützen. Allerdings sind wir bei Lieferungen aus den Beständen der Bundeswehr mittlerweile an unsere Grenzen gekommen, das muss ich ehrlich sagen. Als Folge des jahrelangen Sparens sind unsere Bestände sehr überschaubar. Und die Truppe muss natürlich weiterhin in der Lage sein, die Landes- und Bündnisverteidigung zu gewährleisten. Da sind wir auch in der Verantwortung gegenüber unseren NATO-Partnern. Deshalb greifen wir ja zunehmend auf das Material zurück, das die Industrie direkt liefern kann. So haben wir zuletzt z. B. die Lieferung von Flugabwehrpanzern Gepard ermöglicht.

Die Zusammenarbeit zwischen BMVg und Verteidigungsausschuss gilt als gut. Wie erklären Sie sich die Verwerfungen zwischen den Ausschussvorsitzenden Hofreiter, Roth und Strack-Zimmermann und dem Bundeskanzler?

Ich kann hier keine Verwerfungen erkennen. Es ist die Aufgabe von selbstbewussten Parlamentariern, die Regierungsarbeit kritisch zu begleiten. Daran gibt es nichts auszusetzen, denn das gehört zu unserem täglichen Geschäft. Die große Unterstützung der Parlamentarier für die Ukrainepolitik der Bundesregierung hat sich zuletzt in dem Entschließungsantrag des Bundestags gezeigt, der sogar weit über die Ampel-Koalition hinaus die Zustimmung einer breiten Mehrheit der Abgeordneten gefunden hat.

Was ist in dieser Situation der Schwerpunkt Ihrer Arbeit, ihre wesentliche Leistung?

Ich trage die Verantwortung dafür, dass die Bundeswehr einsatzbereit ist und ihre Aufgaben erfüllen kann. Die Landes- und Bündnisverteidigung ist dabei die Kernaufgabe. Das ist lange Zeit etwas in Vergessenheit geraten. Putins brutaler Angriffskrieg mitten in Europa hat die europäische Friedensordnung zertrümmert und uns schlagartig vor Augen geführt, wie wichtig diese Aufgabe ist. Daher setze ich alles daran, die Einsatzbereitschaft zu erhöhen und so schnell wie irgend möglich die volle Einsatzbereitschaft der Bundeswehr herzustellen.

Sie haben bereits in ihrer ersten Rede im Parlament im Dezember 2021 mehr Geld für die Bundeswehr gefordert. Der Bundeskanzler hat angesichts der russischen Invasion ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro versprochen. Voraussetzung dafür ist eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag. Wie sehen Sie die Chance auf Realisierung?

Der Bundeskanzler hat es am 27. Februar gesagt : wir schaffen ein Sondervermögen Bundeswehr von 100 Milliarden Euro. Langfristig verankert. Und überjährig verwendbar. Wenn ich all die Stimmen höre, die ihre Unterstützung für die Bundeswehr zugesagt haben, gehe ich fest davon aus, dass es klappen wird. Die angekündigte Unterstützung für die Bundeswehr darf kein Lippenbekenntnis sein, es muss jetzt auch gehandelt werden.

100 Milliarden wecken Begehrlichkeiten. Wie wollen Sie sicherstellen, dass die Truppe das bekommt, was sie braucht, und die Beschaffung nicht allein arbeitsmarkt-, industrie- oder europapolitischen Interessen folgt?

Unsere Soldatinnen und Soldaten stehen für unsere Sicherheit ein und sind im Extremfall bereit, hierfür ihr Leben einzusetzen. Sie verdienen hierfür neben unserem Dank den bestmöglichen Schutz und die bestmögliche Ausrüstung. Mit diesem dringend benötigten Geld werden wir Ausstattungsmängel in der Truppe beheben, langfristige Großprojekte absichern und unseren Soldatinnen und Soldaten viel großes und kleines Gerät, ihre gesamte Schutzausstattung, Spezialausrüstung, Munition und noch vieles andere mehr an die Hand geben. Das ist der Maßstab für die Verwendung dieses Geldes. Ich werde sehr darauf achten, dass das Geld sinnvoll und wirtschaftlich eingesetzt wird.

Sie wollen für die Luftwaffe die F35A bestellen, ein neuer schwerer Transporthubschrauber soll kommen und Sie haben das Sofortprogramm „persönliche Ausstattung“ in Angriff genommen. Dennoch : Der komplexeste Systemverbund für die Landes- und Bündnisverteidigung ist die vollausgestattete Division. Wie kann gelingen, dass die erste von drei Divisionen unserer Landstreitkräfte bereits 2025 aus sich heraus einsatzfähig ist?

Es wäre falsch, einzelne Teilstreitkräfte und deren Vorhaben gegeneinander auszuspielen. Wir sind auf die Einsatzbereitschaft in allen Dimensionen angewiesen. Und auch als Landmacht müssen und werden wir liefern. Maßstab sind hier unsere aktuellen Zusagen an die Nato und die veränderte Bedrohungslage. Sobald die 100 Mrd. beschlossen sind, werden wir auch in der Dimension Land durchstarten.

Unabhängig vom Sondervermögen braucht die Bundeswehr langfristig die von Bundeskanzler Olaf Scholz zugesagten zwei Prozent vom BIP. Alles andere gefährdet Deutschlands Sicherheit. Ist das auch in Ihrer Partei schon mehrheitlich verstanden worden?

Der Bundeskanzler hat sich in seiner Rede am 27. Januar klar dazu bekannt, das zwei-Prozent-Ziel dauerhaft einzuhalten. Das ist zentraler Bestandteil der „Zeitenwende“, von der er gesprochen hat. Ich habe keinen Zweifel daran, dass seine und meine Partei – die SPD – ihm hier folgt. Die Bundeswehr wurde über viele Jahre kaputtgespart. Wie wichtig eine auskömmliche Finanzierung ist, sehen wir gerade jetzt. Mit dem Sondervermögen und dem Verteidigungshaushalt haben wir jetzt endlich die Möglichkeit, das zwei-Prozent-Ziel der NATO zu erfüllen.

Krieg hin, Pandemie her. Wir brauchen auch auf anderen Handlungsfeldern Fortschritte. Steht für das zweite Halbjahr ein Programm mit Blick auf unsere Infrastruktur oder Attraktivität, Stichwort „Der Mensch im Mittelpunkt“, an?

Keine Frage : Der Krieg in der Ukraine wird uns auch weiterhin massiv fordern. Aber wir müssen auch auf den anderen Gestaltungsfeldern vorankommen. Das ist kein Widerspruch. Im Koalitionsvertrag ist ausdrücklich davon die Rede, dass wir die Attraktivität des Dienstes in der Bundeswehr steigern wollen. Ich bin sehr froh, dass es Institutionen wie die Wehrbeauftragte oder den BundeswehrVerband gibt, die sich ebenfalls hierfür einsetzen und mich hierbei unterstützen. Die bessere Finanzausstattung der Bundeswehr wird sich auch hier bemerkbar machen. Und ganz wichtig ist, dass die Bundeswehr viel stärker in die Mitte der Gesellschaft rückt und mit mehr Respekt und Anerkennung wahrgenommen wird. Dies ist ebenfalls ein ganz wichtiger Teil der Zeitenwende.

Viele Soldaten haben heute noch nicht mal ein Bett und einen Spind in der Kaserne. Haben Sie das Ziel vor Augen, diese Grundausstattung endlich wieder zu gewährleisten?

Das ist mir ein besonders wichtiges Anliegen. Und ich habe bereits entsprechende Prüfaufträge erteilt. Wie Sie wissen, ist nicht nur im Beschaffungswesen, sondern auch im Bereich der Infrastruktur einiges zu beschleunigen. Ich kann zwar nicht alle Probleme der Bundeswehr der letzten Jahre im Schnelldurchgang lösen, aber wir werden die Ärmel hochkrempeln und uns an die Arbeit machen.

Der DBwV hat dazu auch schon mit dem Generalinspekteur gesprochen: Rückgrat der Bundeswehr sind die Unteroffiziere mit Portepee. Aufgabe, Verantwortung und Besoldung sind seit einigen Jahren in einem Missverhältnis. Wie kann das geändert werden?

Auch hier besteht Handlungsbedarf. Wir werden sehen, was wir zur Stärkung dieser Laufbahngruppe tun können. Hier muss genau hingeschaut werden, denn gut gemeint ist bekanntlich nicht immer gut gemacht. Ich bin mir sicher, dass wir am Ende der Legislaturperiode auch für diese Gruppe ebenso die Attraktivität gesteigert haben wie für alle übrigen Menschen der Bundeswehr.

Zu den Härten Ihres Amtes gehört, dass die Medien mitunter hart mit einem ins Gericht gehen. Wie gehen Sie damit um?

Für mich ist entscheidend, dass ich mich mit allen Kräften für die Menschen in der Bundeswehr einsetze und die Entscheidungen treffe, die ich nach gründlicher Abwägung für richtig halte, damit wir unsere Aufgaben erfüllen können. Daraus ziehe ich meine Motivation, nicht aus dem Applaus der Medien.

Sie hatten Gelegenheit den Verband kennen zu lernen. Was ist Ihr erster Eindruck?

Der Besuch Ihrer Hauptversammlung war einer meiner ersten Termine im Amt und eine spannende Erfahrung: Da war Demokratie in Reinform zu beobachten. Ich tausche mich auch regelmäßig mit dem Bundesvorsitzenden aus, was für mich sehr wertvoll ist. Ich erlebe den Verband als fordernd, aber nicht überfordernd und als kritisch, aber auch fair. Seine hohe Mitgliederzahl und seine basisdemokratische Struktur verleihen dem DBwV eine besondere Bedeutung. Das Koalitionsrecht im Militär ist weltweit nicht selbstverständlich. Es ist eine Besonderheit, auf die wir – genau wie auf die Innere Führung – stolz sein können.

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