Für CDU-Vizechef Carsten Linnemann ist klar: Ein verpflichtendes Gesellschaftsjahrmuss so sein, "dass junge Leute auch Bock drauf haben." Foto:  picture alliance / Flashpic / Jens Krick

Für CDU-Vizechef Carsten Linnemann ist klar: Ein verpflichtendes Gesellschaftsjahrmuss so sein, "dass junge Leute auch Bock drauf haben." Foto: picture alliance / Flashpic / Jens Krick

12.09.2022
Von Katja Gersemann

„Wir müssen es so machen, dass junge Leute auch Bock darauf haben.“

Es war schon vor dem 35. Parteitag der CDU klar, dass die Partei sich dieses Mal quälen würde. Denn auf der Tagesordnung standen zwei Themen, die die Delegierten am Wochenende in Hannover polarisierten: die Frauenquote und die Dienstpflicht. Beide Abstimmungen waren heikel, weil sich Parteichef Friedrich Merz bereits im Vorfeld positioniert hatte, das Abstimmungsergebnis aber alles andere als eindeutig war. Merz hätte den Parteitag angeschlagen verlassen können.

Doch für Merz lief es glatt: Erst wurde am Freitagabend die Frauenquote beschlossen. Beginnend bei Vorstandswahlen auf Kreisebene soll in der CDU nun bis 2025 schrittweise eine Frauenquote von bis zu 50 Prozent eingeführt werden. Merz hatte als Kompromiss vorgeschlagen, dass diese Regelung Ende 2029 wieder auslaufen soll. Ziel ist, für Frauen attraktiver und wählbarer zu werden. Zahlreiche Delegierte zeigten sich im Anschluss erleichtert: Die CDU wolle sich künftig geschlossen zeigen, die Streitereien aus dem vergangenen Jahr seien abgehakt.

Merz hält sich zurück

Die ebenfalls mit Spannung erwartete Debatte – auch vom Vorsitzenden des Deutschen BundeswehrVerbandes, Oberst André Wüstner und seinem Stellvertreter, Stabsfeldwebel Thomas Schwappacher, die beide als Gäste den Parteitag besuchten – um die Einführung einer Dienstpflicht wurde auf den zweiten Tag ganz ans Ende der Veranstaltung gelegt und aus Zeitnot durch Redebegrenzung auf zwei Minuten verkürzt. Merz hatte sich Anfang Juni für eine „allgemeine Dienstpflicht mit der Möglichkeit, natürlich auch in der Bundeswehr den Dienst zu leisten“ ausgesprochen, auf dem Parteitag selbst hielt er sich mit Empfehlungen zurück. Deutlich gegen die Pflicht hatte sich die Junge Union im Vorfeld ausgesprochen. Auch der Bundestagsabgeordnete Oberst a.D. Roderich Kiesewetter sprach sich gegen die Dienstpflicht aus: Die Arbeitskräfte würden anderweitig benötigt werden und es gebe zu wenig Personal zur Anleitung von den vielen zu erwartenden Dienstpflichtigen, so seine Auffassung.

Der hessische Ministerpräsident Boris Rhein warb klar für die Dienstpflicht als „Servicejahr für die Gesellschaft als Ganzes“. Die Einführung sei eine gewaltige Aufgabe für Politik und Gesellschaft. Es war damals richtig, die Wehrpflicht auszusetzen, sagte Rhein. „Ich betone: damals. Denn die Zeiten haben sich geändert.“ Heutzutage sei ein verpflichtendes Gesellschaftsjahr geboten und auch zumutbar. Frieden und Freiheit in Europa seien gefährdet, Corona und die Klimakrise würden unsere Art, zu leben, verändern. Rhein: „Das sind alles Aufgaben für Politik und Gesellschaft, die gewaltig sind.“

Für ein verpflichtendes Gesellschaftsjahr sowohl in zivilen Organisationen als auch Bundeswehr bedürfe es einer Verfassungsänderung, sagte Philipp Amthor aus der Landesgruppe Mecklenburg-Vorpommern. „Eine Verfassungsänderung, für die wir lange werben müssen.“ Die Mehrheit in Bundestag und Bundesrat werde man so schnell nicht erreichen. Aber nur durch die verpflichtende Variante erreiche man diejenigen, die auch von dem Dienst profitieren könnten - nicht nur die jungen Menschen, die aus Besserverdiener-Haushalten kämen.

Umfrage: Zwei Drittel sind für ein verpflichtendes Gesellschaftsjahr

Zahlreiche Abgeordnete, die sich auch abseits des Rednerpultes auf dem Parteitag ebenfalls für die Dienstpflicht aussprachen, sahen sich durch eine aktuelle Umfrage gestärkt, die am Freitag veröffentlicht wurde. In einer repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Insa sprachen sich 65 Prozent der Befragten eher für ein verpflichtendes Gesellschaftsjahr aus.

Der größte Kritikpunkt sei, dass Kapazitäten geschaffen werden müssten, sagte CDU-Vizechef Carsten Linnemann. Das werde Jahre dauern. Aber das biete auch Chancen und Gestaltungsmöglichkeiten.  „Wir müssen es so machen, dass junge Leute auch Bock darauf haben.“

In der Debatte um ein verpflichtendes Gesellschaftsjahr hatten sich im vergangenen Jahr immer wieder Politiker aller Parteien zu Wort gemeldet. Grundsätzliche Linien: Die SPD ist mehrheitlich gegen ein Pflichtjahr, genau wie Grüne, Liberale und Linke. Die AfD will als einzige Partei die Aussetzung des Wehrdienstes rückgängig machen.

Auch Vertreter anderer Parteien können sich Dienspflicht vorstellen

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hatte sich im Juni dieses Jahres für eine Dienstpflicht ausgesprochen: „Ich weiß, dass es nicht einfach werden wird, aber ich wünsche mir, dass wir eine Debatte über eine soziale Pflichtzeit führen.“ Steinmeier sprach dabei allgemein von einer Pflichtzeit, nicht explizit für junge Leute. „Das baut Vorurteile ab und stärkt den Gemeinsinn.“ Sicher sei, dass sich die Frage, wie wir wieder zu mehr Gemeinsinn kommen, im Herbst in aller Dringlichkeit stellen werde, sagte er mit Blick auf den Ukraine-Krieg, den Klimawandel und die Energiekrise.

Auch der Sicherheitsexperte der SPD-Bundestagsfraktion, Wolfgang Hellmich, sagte im März 2022, dass man die Debatte über eine allgemeine Dienstpflicht dringend führen müsse, um zu einem gesellschaftlichen Konsens zu kommen. Eine Dienstpflicht würde den Gemeinsinn fördern.

Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) zog als Reaktion auf Steinmeier Parallelen zur Schulpflicht. „Statt reflexartig einfach nur auf dem Bundespräsidenten rumzuhacken und wieder von neuem Zwang zu reden, werbe ich dafür, mit ein bisschen mehr Gelassenheit das Thema anzugucken“, sagte Ramelow. Die Schulpflicht sei auch ein Zwang und der Staat greife in das Leben von jungen Menschen ein. Er fragte sich, weswegen man nicht noch ein Jahr mehr „dazu definieren“ könne. Wichtig sei, dass es kein verlorenes Jahr sei – sondern etwa bei einer Ausbildung anerkannt werden könne.

In eine ähnliche Richtung hatte bereits im März 2022 der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion, Johann Wadephul (CDU), argumentiert. Er forderte den Ausbau des Bundesfreiwilligendiensts zu einem allgemeinen Dienst in der Bundeswehr und anderen Blaulichtorganisationen. Wadephul: „Wenn dieser Dienst finanziell attraktiv gemacht wird und konkrete Vorteile wie das Ansammeln von Rentenpunkten oder ein erleichterter Zugang zu Studien- oder Ausbildungsplätzen geschaffen werden, haben wir die Chance, sehr viel mehr Personal anzuwerben."

Wehrbeauftragte setzt auf Freiwilligkeit

Die Wehrbeauftragte hatte einer Wiedereinführung der ausgesetzten Wehrpflicht in ihrer bisherigen Form eine Absage erteilt. „Ich glaube, wir könnten sie heute nicht wieder so einsetzen, wie sie vor dem Aussetzen war, sondern wir müssten natürlich etwas diskutieren, was Frauen und Männer gleichermaßen anspricht“, sagte Dr. Eva Högl. „Wir sollten, glaube ich, auch versuchen, so lange wie möglich über Freiwilligkeit zu gehen.“

In der Bundeswehr wird die Dienstpflicht zum Teil skeptisch gesehen. Der Generalinspekteur gab zu bedenken, Wehrpflichtige könnten „die speziellen Aufgaben in einer modernen Armee nicht ohne Weiteres erfüllen“. Die Bundeswehr benötige „gut ausgebildetes, in Teilen sogar hoch spezialisiertes Personal“, um das gesamte Aufgabenspektrum abzudecken. Überdies stünden der Bundeswehr aktuell weder die zur Ausbildung von Wehrpflichtigen erforderliche Infrastruktur noch das notwendige Personal zur Verfügung.

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