Am 28./29. Mai 1957 fand auf dem Gelände der Bundesgartenschau in Köln die erste Hauptversammlung des Deutschen BundeswehrVerbandes statt. Hermann Stahlberg (zweite Reihe links) wurde als Schatzmeister in den Vorstand unter Oberstleutnant Karl-Theodor Molinari (Mitte) gewählt. Foto: Archiv DBwV

Am 28./29. Mai 1957 fand auf dem Gelände der Bundesgartenschau in Köln die erste Hauptversammlung des Deutschen BundeswehrVerbandes statt. Hermann Stahlberg (zweite Reihe links) wurde als Schatzmeister in den Vorstand unter Oberstleutnant Karl-Theodor Molinari (Mitte) gewählt. Foto: Archiv DBwV

16.05.2021
Michael Rudloff

Ehrenvorsitzender des DBwV erringt als erster aktiver Soldat ein Bundestags-Mandat

Am 29. September 1965 wurde Hermann Stahlberg, damals Hauptfeldwebel, über die Landesliste der hessischen CDU in den Deutschen Bundestag gewählt und schrieb damit Geschichte. Dort vertrat er den Wahlkreis 129 Fritzlar-Homberg von 1965 bis 1972 und von 1974 bis 1980.
 
Für den am 1. Oktober 1920 in Leichlingen im Bergischen Land in schwierigen materiellen Verhältnissen Geborenen war dieser Weg zu höchsten parlamentarischen Weihen keineswegs vorgezeichnet. Seinem mit körperlichen und seelischen Verletzungen aus dem Weltkrieg zurückgekehrten Vater fiel es in den wirtschaftlichen Krisenzeiten schwer, als Webermeister den Lebensunterhalt für die kleine Familie zu verdienen. Die nach christlichen Grundsätzen lebende Mutter trug durch Arbeiten für die Kirche und die ortsansässige Weberei dazu bei, dass 1926 das Geld für eine familiengerechte Wohnung aufgebracht werden konnte, damit der einzige Sohn bei seiner Einschulung eine „anständige“ Adresse angeben konnte. Trotz eines mitunter rauen Tones vermittelten die Eltern ihrem einzigen Sohn den Wert von Bildung und Kultur.
 
In einem Betrieb der Solinger Schneidwarenindustrie erlernte er den Beruf des Fabrikations- und Versandgehilfen. Durch das katholische Milieu des Rheinlandes geprägt, stand Hermann Stahlberg dem nationalsozialistischen Regime distanziert gegenüber. Das Novemberpogrom 1938 und die Vernichtung sogenannten „unwerten Lebens“ bestärkten ihn in seiner Ablehnung. Dennoch war er zunächst von der Unausweichlichkeit des Krieges und dem „Endsieg“ überzeugt. Als Kriegsfreiwilliger wurde er im Oktober 1940 zu einer motorisierten Nachrichtenabteilung einberufen, die zuerst in Polen zum Einsatz kam. Die Erfahrungen des Krieges gegen die Sowjetunion bewirkten auch in dieser Frage ein Umdenken. In der Slowakei geriet er am 11. Mai 1945 in sowjetische Kriegsgefangenschaft. Vier Jahre verbrachte er in Kriegsgefangenenlagern, wo er unter harten Bedingungen im Kohlebergbau arbeiten musste. Mit seinem Organisationstalent, seiner Beredsamkeit und künstlerischen Begabung gelang es ihm, unter den dort herrschenden Bedingungen seinen Kameraden den Lageralltag etwas zu erleichtern.

Im September 1949 zu seiner Familie nach Haan zurückgekehrt, engagierte sich Hermann Stahlberg in der Katholischen Arbeitnehmer-Bewegung und trat in die neu gegründete CDU ein. In seiner alten Firma, wo er sich vom Hilfsarbeiter zum Leiter der Versandabteilung emporgearbeitet hatte, wurde er 1952 zum Betriebsrats-vorsitzenden gewählt. Als sich 1955 in Essen die inzwischen wieder entstandenen christlichen Arbeitergewerkschaften zur „Christlichen Gewerkschafts-bewegung Deutschlands“ (CGD) vereinigten, gehörte Hermann Stahlberg zu den Gründungsmitgliedern. 
Ausgehend von den Erfahrungen seiner Kindheit und Jugend erkannte er in einem Satz des Bischofs Emmanuel von Ketteler sein Lebensmotto: „Wollen wir also die Zeit erkennen, so müssen wir die soziale Frage zu ergründen suchen. Wer sie begreift, der erkennt die Gegenwart, wer sie nicht begreift, dem ist Gegenwart und Zukunft ein Rätsel.“

Der Einsatz für die Christlich-Demokratische Arbeitnehmerschaft (CDA) hatte Hermann Stahlberg mit dem Gewerkschaftler Theodor Blank zusammengeführt. Der erste Verteidigungsminister der Bundesrepublik wandte sich 1955 an seinen Freund Stahlberg: „Du wirst gebraucht.“ Als am 12. November 1955 die ersten 100 Soldaten der Bundeswehr ernannt wurden, meldete er sich. Im Februar 1956 wurde er zur Prüfgruppe nach Köln eingeladen. Dort überraschte er die Fragesteller mit seinem klaren Ziel, keine Offizierslaufbahn anzustreben, sondern „Spieß“ – „Mutter der Kompanie“ – zu werden. Wie während seiner Soldatenzeit im Krieg wollte er „am Mann arbeiten“. Als Oberfeldwebel wurde er am 4. April 1956 in das Fernmeldezentrum des Bundesministeriums für Verteidigung in die Bonner Ermekeilkaserne einberufen.

1957 zum Schatzmeister gewählt

Im Dezember 1956 brachte Hermann Stahlberg seine sozialpolitischen Erfahrungen bei der Gründung der Standortkameradschaft Bonn des Deutschen BundeswehrVerbandes ein. Gemeinsam mit dem damaligen Hauptmann Lothar Domröse wurde Hermann Stahlberg Referent für Wohnungsfragen in dem im Januar 1957 gebildeten Sozialausschuss. Die erste Hauptversammlung des DBwV wählte ihn im Mai 1957 zum Schatzmeister des Verbands.
 
Im November 1957 wurde Hermann Stahlberg zum Ministerbüro des Bundesministers Franz Josef Strauß versetzt – offiziell seinem Dienstgrad entsprechend als Hilfssachbearbeiter. Befürwortet hatte es der persönliche Referent des Ministers, Major Rolf Acker, Mitgründer und Syndikus des DBwV.  Im Ministerbüro besaß Stahlberg unmittelbares Vortragsrecht in Sozialwerksangelegenheiten. Gemeinsam mit dem ebenfalls durch die katholische Soziallehre geprägten Paul Jaeschke schuf er die Grundlagen für das Bundeswehr-Sozialwerk. Auf der Gründungsversammlung am 20. Mai 1960 wurde er zum stellvertretenden Vorsitzenden gewählt.

Das Vertrauen des Ministers in die Expertise seines inzwischen zum Hauptfeldwebel beförderten „Beraters in Unteroffiziersangelegenheiten“ brachte ihm nicht nur Freunde ein. Als Strauß in einer Abteilungsleitersitzung eine nach seiner Ansicht „glänzende Idee“ des Hauptfeldwebels Stahlberg vorstellte, löste das bei den Staatssekretären und Generalen betretenes Schweigen aus. „Wie kann ein Hauptfeldwebel eine Idee haben?“ Die Geringschätzung gegenüber dem Unteroffizier hatte sich auch in der frühen Bundeswehr erhalten.

In der Diaspora der CDU

Es war der überzeugende Auftritt Stahlbergs auf dem Verteidigungspolitischen Kongress der CDU im September 1964 in Kassel mit Bundeskanzler Ludwig Erhard und Verteidigungsminister Kai-Uwe von Hassel, der den Anstoß für seine Nominierung für den Deutschen Bundestag gab. Stahlbergs Ausführungen im Arbeitskreis III über soziale Probleme der Bundeswehr fanden Beachtung. Darin machte er sich für die Verstärkung der Wohnungsfürsorge für Angehörige der Bundeswehr und die Verbesserung der ärztlichen Versorgung stark. In Hessen, das in dieser Zeit als Diaspora für die CDU galt, hoffte man auf die Stimmen der Soldaten, wenn einer von ihnen auf der Kandidatenliste steht. Zum Wahlkreis gehörte der Bundeswehrstandort Frankenberg/Eder mit dem Fernmeldebataillon 320 des Heeres. Im Bundesvorstand des DBwV fand die Kandidatur des Bundesvorstandsmitglieds einhellige Unterstützung – auch der Mitglieder der SPD.

Bei den Wahlen zum 5. Deutschen Bundestag am 19. September 1965 kandidierten 17 Soldaten auf den Listen der Parteien. Als einziger von ihnen war Hermann Stahlberg auf einem aussichtsreichen zwölften Platz der Landesliste der CDU abgesichert. Das Zweitstimmenergebnis sicherte ihm den Einzug in das Parlament. Für die Wahrnehmung des Mandats wurde er von der Bundeswehr in den zeitweiligen Ruhestand versetzt.

Als Mitglied des Verteidigungsausschusses und ebenso als Anwalt der Interessen seines landwirtschaftlich geprägten Wahlkreises verschaffte sich Stahlberg im Parlament rasch Respekt. Selbst innerhalb der eigenen Fraktion war dies nicht einfach. Mit Genugtuung erinnerte er sich später daran, wie einige Kollegen, die ihn anfangs abschätzig als den „hergelaufenen Feldwebel“ bezeichnet hatten, später gerne seine Unterstützung annahmen.

Wichtiges Ziel trotz heftigen Widerstands erreicht

Weshalb es zehn Jahre benötigte, bis ein aktiver Soldat in den Deutschen Bundestag einziehen konnte, erklärt sich aus den Vorbehalten, die sich lange Zeit hielten. Selbst die Himmeroder Denkschrift wollte den künftigen Soldaten lediglich das aktive Wahlrecht zugestehen. Noch 1960 vertrat Gerhard Schröder, zu dieser Zeit Innenminister, gegenüber dem Bundesvorstand des DBwV die Auffassung, dass Soldaten in der Politik nichts zu suchen hätten. Er änderte seine Ansicht.  Hermann Stahlberg gelang es, Gerhard Schröder, der 1966 in der ersten Großen Koalition das Verteidigungsressort übernommen hatte, für ein seit 1962 verfolgtes und heftig umstrittenes Anliegen des DBwV zu gewinnen: die Entwicklung einer Laufbahn für den „Offizier des Militärfachlichen Dienstes“ (kurz „FD“ genannt). Zu dieser Zeit wurden Hauptfeldwebel mit 52 und Stabsfeldwebel mit 60 Jahren entlassen. Wenn die Stabsfeldwebel-Planstellen besetzt waren, hatten die fähigsten Feldwebel zwischen dem 28. und 52. Lebensjahr gerade noch eine Beförderung zu erleben. Ihnen sollte ein Übergang in die Offizierslaufbahn ermöglicht werden.

Nach zähen Verhandlungen wurde das Gesetz 1968 beschlossen. Im folgenden Jahr wurden die ersten Portepee-Unteroffiziere zu Offizieren des Militärfachlichen Dienstes ernannt. Dies war wohl der größte Erfolg des MdB Stahlberg im Deutschen Bundestag, wenn dieser auch mit der eher zaghaften Umsetzung nicht ganz glücklich war.
 
Nachdem er dem Deutschen BundeswehrVerband viele Jahre als Vorsitzender Heer und stellvertretender Bundesvorsitzender gedient hatte, ehrte die 9. Hauptversammlung 1973 Hermann Stahlberg mit der Ernennung zum Ehrenvorsitzenden. Nach dem Fall der Mauer und der deutschen Wiedervereinigung half er beim Aufbau des Landesverbandes Ost des DBwV und unterstützte die Thüringer CDU. „Mehr als ein Leben“ ist der treffende Titel seiner Erinnerungen. Es vollendete sich am 12. Februar 2005.

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