200 Spieße und Wachtmeister, 250 Gäste insgesamt: Die 16. Spießtagung des Generalinspekteurs in der Hauptfeldwebel-Lagenstein-Kaserne in Hannover war auf die Zeitenwende und den daraus resultierenden Auftrag ausgerichtet. Landes- und Bündnisverteidigung ist wieder im Fokus. Dafür braucht es eine gemeinsame Kraftanstrengung. Foto: DBwV/Frank Jungbluth

27.05.2023
Von Frank Jungbluth (Text und Fotos)

Scharnhorst würde sagen: Raus aus der Zuständigkeit, rein in die Verantwortung!

Generalinspekteur Carsten Breuer spricht aus, was der Heeresreformer angesichts der Zeitenwende gedacht hätte. 200 Spieße und Wachtmeister besprechen die Herausforderungen. Der Bundesvorsitzende, Oberst André Wüstner, sichert der Truppe Unterstützung zu.

Die Not vereinigt die Gemüter und macht die Menschen tätig und erfinderisch: Das hat der preußische General Gerhard von Scharnhorst zu seinen Lebzeiten im 18. und 19. Jahrhundert als Weisheit geprägt. Nach der für Preußen verheerenden Schlacht von Jena und Auerstedt am 14. Oktober 1806 erlebte das Königreich nach dieser Niederlage seine Zeitenwende. Scharnhorst begann mit Reformen, die den Staat und seine Armee wieder stark machten. Wenn man den Scharnhorst-Saal der Hauptfeldwebel-Lagenstein-Kaserne im Hannover betritt, kommt man am Bild Scharnhorsts vorbei. Knapp 200 Spieße und Wachtmeister haben sich dort zur 16. Spießtagung des Generalinspekteurs versammelt, um zu beraten, was die Zeitenwende von 2022 in den folgenden Jahren der Bundeswehr abverlangen wird.

Ein erfreulich ungeduldiger Verteidigungsminister

Denn die Herausforderungen sind – ohne zu übertreiben – riesig: „Früher hatten wir kein Geld, aber wir hatten Zeit. So sind wir alle über die Jahre sozialisiert worden. Und jetzt kommt einer und sagt: Hier sind 100 Milliarden, jetzt setzt mal schnell um. Sie stehen für das Unteroffiziercorps der Bundeswehr. Sie sind das Rückgrat der Bundeswehr. Sie holen den Karren aus dem Dreck. Mir ist es auch wichtig, dass von dieser Spießtagung ein Signal in die Truppe geht. Nicht nur in die Reihen der Unteroffiziere, sondern in die ganze Truppe”, sagte der Generalinspekteur Carsten Breuer in die große Runde. Für den DBwV-Bundesvorsitzenden, Oberst André Wüstner, ist ebenso klar: „Der neue Verteidigungsminister Boris Pistorius ist erfreulich ungeduldig an dieser Stelle. Er will machen und verändern. Ein erster Schritt ist getan beim Thema Beschaffung: Verantwortung dafür soll wieder weiter nach unten gebracht werden. Es ist aber wichtig, dass diese Reformschritte auch durchgesetzt werden. Wir als DBwV wollen natürlich, dass die Bundeswehr besser wird.”

„Zeitenwände oder Zeitenwende – die Umsetzung liegt bei uns”, hat der Generalinspekteur die 16. Spießtagung überschrieben. Was für Generalinspekteur Carsten Breuer aber zählt, ist die Haltung in der Truppe, der ungeschminkte Blick auf die Lage: „Ich habe eine Frau Oberleutnant bei einem Truppenbesuch gefragt, was sie von mir als neuem Generalinspekteur erwartet. Sie antwortete: Versprechen Sie nichts, was Sie nicht halten können.” Aufrichtigkeit, Ehrlichkeit – auf allen Ebenen. Das sei entscheidend, zieht General Breuer daraus seine Schlüsse.

Wenn wir es laufen lassen, verpassen wir die Chancen

Der Generalinspekteur macht deutlich: „Wir brauchen auf allen Ebenen gerechte, transparente Kommunikation und Information. Wir brauchen Loyalität in alle Richtungen. Das muss für uns alle selbstverständlich sein. Das, was vor uns liegt, müssen wir bei laufendem Motor schaffen. Und trotzdem müssen wir in die Veränderung hinein. „Wenn wir es laufen lassen, werden wir uns in einigen Monaten über die Chancen, die wir haben vergehen lassen, beklagen. Wir müssen unsere Bündnisverpflichtungen – einsatzbereite Division bis 2025 – erfüllen, aber auch die Kampffähigkeit in internationalen Krisen erhalten. Wir haben 100 Milliarden Euro, wir müssen das Geld klug einsetzen. Resilienz und Zukunftsfähigkeit sind zu erreichen. Wir müssen das erklären und erläutern, immer wieder. Wenn wir das nicht tun, vergeben wir uns eine einmalige Chance für die Bundeswehr. Wenn wir es jetzt nicht machen, macht es keiner. Nehmen Sie es als Appell, als Aufforderung, als Zuruf.”

Der Geist in der Truppe muss sich verändern

Die wichtigste Frage für die Truppe sei „Wie einsatzbereit sind wir?“ Sie wurde bei der Podiumsdiskussion zwischen dem Generalinspekteur und vier Unteroffizieren mit Portepee diskutiert. Für einen der Feldwebeldienstgrade auf dem Podium ist klar: „Der Geist in der Truppe muss sich verändern, wenn wir diesen neuen Weg erfolgreich gehen und gemeinsam ans Ziel kommen wollen.“

Auf halber Strecke der Spießtagung sind die befragten Mitglieder und Aktiven des BundeswehrVerbandes fürs Erste zufrieden: „Es ist meine erste Spießtagung”, sagt zum Beispiel der Stabsbootsmann Stefan Bublitz, Wachtmeister an der Marineoperationsschule in Bremerhaven. „Mir hat die Podiumsdiskussion sehr gut gefallen. Ich nehme mit, dass wir alle gefordert sind, dass wir die Zeitenwende nur gemeinsam schaffen können. Mir persönlich könnte das alles schneller gehen. Wichtig ist, dass wir am Ball bleiben und nicht aufgeben.“

Hauptbootsmann Melanie Hartenstein ist erst seit einem Monat Geschwaderwachtmeister im 4. Fregattengeschwader in Wilhelmshaven. „Ich habe auf viele Informationen bei meiner ersten Spieß- und Wachtmeistertagung gehofft. Wir haben viele Fragen gestellt, aber weniger Antworten bekommen, als wir uns erhofft haben. Dass man nicht sofort für alles Lösungsvorschläge erwarten kann, ist auch klar. Vielleicht gelingt es, dass wir bei der nächsten Spießtagung direktere Antworten bekommen,” Nachwuchsgewinnung, sagt Hartenstein, sei derzeit das größte Problem. „Wir brauchen mehr gute Leute, damit wir die Aufgaben bewältigen können.”

Seit 20 Jahren ist Stabsfeldwebel Ralf Ochsenfeld in der Truppe. Der 44-Jährige ist in Erndtebrück bei der Luftwaffe als Spieß der Einsatzführungsinspektion 23 stationiert. „Die Aufbruchstimmung ist spürbar. Das stimmt mich zuversichtlich.” Die Zeitenwende ist angekommen in Ochsenfelds Einheit. „Viele verlegen an die NATO-Ostflanke, vor allem aus dem Bereich FlaRak. Wir merken, dass der Krieg näher ist.”

Nach einem Jahr hat sich wenig getan

Für Oberstabsfeldwebel Christian Kühlem, 49, ist die Lage klar: Es muss sich alles verändern: Kühlem ist Mitglied der Beratergruppe Spieße, die regelmäßig mit dem Generalinspekteur tagt und die Themen der Spießtagung vorbereitet. „Ich bin sicher, dass ein guter Austausch stattgefunden hat zwischen der Basis, die wir Spieße sind, und dem höchsten Soldaten der Bundeswehr und seinen Abteilungsleitern. Wir haben fast 100.000 Unteroffiziere in der Truppe, wir sind das Rückgrat. Wir freuen uns natürlich, wenn der Generalinspekteur das betont.”

Nach der Anfangseuphorie über das Sondervermögen und die Zeitenwende vor einem Jahr habe sich leider wenig bis gar nichts getan. „Ich spüre diese Umwälzungen leider bis heute nicht”, sagt Kühlem.

„Wir müssen ehrlich sein und ehrlich bleiben”, bilanziert der Bundesvorsitzende, Oberst André Wüstner, nach seinem Vortrag. Die 100 Milliarden Euro Sondervermögen für die Bundeswehr seien eine Palliativmaßnahme. Wichtig sei, dass die Mängel angesprochen würden und die Maßnahmen langsam greifen.

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