Normalerweise steuert Christian Lindner (l.) das Finanzministerium, für einen Tag empfing ihn der Landesvorsitzende Nord, Oberst Thomas Behr, an Bord der Rickmer Rickmers im Hamburger Hafen. Foto: DBwV/Fritsch

10.07.2023
Von Frank Jungbluth

„Das Sonderprogramm war der erste Schritt, aber der Haushalt muss wachsen”

Finanzminister Christian Lindner (FDP) ist Major d.R. Er kennt die Truppe und ihre Bedürfnisse. Nach dem Überfall der russischen Armee auf die Ukraine am 22. Februar 2022 sorgt der Liberale mit Sondervermögen und aufwachsendem Verteidigungshaushalt für das nötige Geld. Im Rahmen der Reihe LV Nord an Bord hat unser Chefredakteur Frank Jungbluth mit dem Finanzminister an Bord der Rickmer Rickmers gesprochen.

Wir leben in einem neuen Zeitalter, mehr als ein Jahr nach der Zeitenwende. Unsere Bündnispartner erwarten nach den Nullrunden der vergangenen Jahre angesichts des von Russland entfesselten Krieges an der Ostflanke der NATO endlich auch von Deutschland das Zwei-Prozent-Ziel bei den Ausgaben für Verteidigung. Schaffen wir das?

Bundesfinanzminister Christian Lindner: Von meiner Seite aus gibt es daran keinen Zweifel. Das habe ich zuletzt auch bei der Vorstellung der Nationalen Sicherheitsstrategie unterstrichen. Wir müssen die Mängel bei der Ausstattung der Bundeswehr beseitigen. Nach dem Beginn des russischen Angriffskriegs hatte ich dem Bundeskanzler das Sonderprogramm für die Bundeswehr vorgeschlagen, um rasch das NATO-Ziel zu erreichen. Das Sondervermögen war der erste Schritt, denn der reguläre Bundeshaushalt unterliegt gewissen Trägheiten. Im Zusammenwirken zwischen dem Einzelplan 14, also dem Haushalt des Verteidigungsministeriums, und unserem Sonderprogramm, werden wir das Zwei-Prozent-Ziel erreichen. Dafür muss der Einzelplan 14 in den nächsten Jahren strukturell wachsen. Wichtig ist, dass das Verteidigungsministerium die Prozesse nun so organisiert, dass das Sonderprogramm schnell zum Tragen kommt. Hier sehe ich inzwischen aber große Fortschritte. Es ist dem Kollegen Boris Pistorius gelungen, im Bundesverteidigungsministerium ein Umdenken zu erreichen.

Wir haben uns im Hamburger Hafen auf der Rickmer Rickmers getroffen. Sie sind gebürtig aus dem Bergischen Land, woher kommt die Verbindung zur Freien und Hansestadt?

Meine Frau ist gebürtige Hamburgerin, meine Schwiegereltern leben in Hamburg. Ich habe ein gewisses Interesse an Ahnenforschung und habe dabei ermittelt, dass nicht nur meine Familie, sondern auch die Familie meiner Frau viele verwandtschaftliche Beziehungen und Linien in den Norden hat.

Wohin führen diese Linien?

Einer meiner Urururgroßväter ist aus Vorpommern im 19. Jahrhundert nach Wuppertal gekommen. Im Norden gab es keine Arbeit für ihn, in Wuppertal wurde er Mitte des 19. Jahrhunderts Mitarbeiter der Bahn. Andere Verbindungen meiner Familie reichen nach Niederschlesien und Hessen und auch nach Polen.

Sie sind Reserveoffizier im Rang eines Majors bei der Luftwaffe. Ihre letzte Reserveübung haben Sie vor zwei Jahren absolviert. Wie eng ist die Fühlung zur Truppe heute?

Wegen meiner politischen Verpflichtungen als Minister kann ich bei der Bundeswehr momentan leider keinen sinnvollen Beitrag in einer entsprechenden Fachverwendung leisten. Schwerpunkt meiner nächsten Reserveübung soll sein, dass ich den Austausch mit den Kameradinnen und Kameraden pflege. Ich möchte mich aus erster Hand über aktuelle Entwicklungen informieren. Vergangenes Jahr war ich dafür bei der Luftwaffe, dieses Jahr werde ich beim Heer sein, aber auch die Marine ist für mich wichtig.

Verteidigungsminister Boris Pistorius bräuchte für den Wehretat 2024 zehn Milliarden Euro mehr, also, nicht 52, sondern 62 Milliarden. Jetzt wird er knapp zwei Milliarden Euro mehr bekommen.

Bei der Bundeswehr ist es nicht sinnvoll, nur auf den Einzelplan zu schauen. Im Zusammenwirken zwischen dem Einzelplan 14 und dem Sonderprogramm werden insgesamt wesentlich mehr Haushaltsmittel zur Verfügung gestellt als in der Vergangenheit. Die Aufgabe insgesamt ist es, zu einer Modernisierung unseres Staates zu kommen, die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit zu sichern und eine Haushaltspolitik zu machen, die sich nicht nur auf Schulden stützt.

"Brauchen eine neue Reservistenkonzeption"

Die Zeitenwende ist nach dem Überfall Russlands am 24. Februar 2022 nicht nur in Worten angekommen. Alles verändert sich, auch die Bundeswehr. Wir verlieren Material bei der Bundeswehr, die ersten deutschen Panzer, die wir in die Ukraine an die Front geliefert haben, sind zerstört. Muss sich Deutschland – aus Ihrer Sicht – die neue Bundeswehr auch leisten wollen?

Das Aufgabenprofil der Bundeswehr verändert sich. Wir brauchen eine international einsatzfähige Armee für mittlere Operationen im Ausland und Auslandsmissionen. Die Frage der Bündnis- und Landesverteidigung hat eine neue Aktualität erfahren. Das erfordert in einem umfassenden Sinne auch neue konzeptionelle Überlegungen. Eine kann ich beispielhaft nennen: Ich bin kein Anhänger der Wiedereinführung oder der Wiederaufnahme der allgemeinen Wehrpflicht. Ich glaube eher, dass wir eine ganz neue Reservisten-Konzeption brauchen. Wir brauchen die Profis aus der Praxis, wir brauchen Leistungsträger aus der privaten Wirtschaft, und wir brauchen ehemalige Zeitsoldatinnen und Zeitsoldaten, die dann aber auf Dauer weiter in den Strukturen der Streitkräfte planbar und qualifiziert mitwirken.

Der Bundeswehr fehlen jetzt schon 20.000 Männer und Frauen, um alle Dienstposten besetzen zu können. Sehen Sie Wege, um den Dienst für Zeitsoldaten attraktiver zu machen?

Es gibt dafür schon heute gute Beispiele. Ich war neulich bei Nachwuchskräften des Zolls. Im Gespräch habe ich erfahren, dass einige der Beamtenanwärter zuvor Zeitsoldaten waren. Das ist die Art Durchlässigkeit im öffentlichen Dienst, die wir brauchen.

"Der Wert der Truppe ist für die Gesellschaft klarer geworden"

Haben Sie als Parteivorsitzender auch in dieser Zeit, seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine, festgestellt, dass sich in der FDP der Blick auf die Bundeswehr verändert hat? Hat die Bundeswehr noch mehr Rückhalt, auch bei der FDP?

Die Entwicklung, die wir jetzt gesamtgesellschaftlich erleben, bestätigt und bestärkt uns als Liberale. In der Tat war unser Blick auf die Bundeswehr zuvor schon positiv. Wir haben uns auch vor dem Beginn des Krieges schon dafür eingesetzt, die Bundeswehr zu stärken. Insofern war die Richtung vorgedacht. Jetzt ist die Bedeutung der Sicherheits- und Verteidigungspolitik auch in der allgemeinen Öffentlichkeit gewachsen. Bei Besuchen von Auslandseinsätzen und Wehrübungen haben mir Kameradinnen und Kameraden berichtet, dass sie selbst individuell in der Familie, der Nachbarschaft und im Freundeskreis ganz anderes Feedback für ihren Dienst erhalten als zuvor. Der Wert der Truppe ist für die gesamte Gesellschaft viel klarer geworden.

Die FDP steht also voll vor, hinter und neben der Bundeswehr?

Selbstverständlich. Aber vielleicht sollten andere sich fragen, ob ihr eigenes Verhältnis zur Bundeswehr eigentlich genauso geklärt ist. Ich sehe, dass es Landesregierungen gibt, wo beispielsweise bei der Tätigkeit von Jugendoffizieren in Schulen immer noch Vorbehalte bestehen. Da sind alte Ressentiments leider nicht aufgearbeitet.

Eine Frage zum Sinn des Dienstes: Wenn junge Menschen jetzt vor Ihnen stehen und fragen würden, erzählen Sie mal, warum, warum soll ich dienen? Was würden Sie denen sagen?

Zuerst: Das Besondere am Soldatenberuf ist der sich unmittelbar ergebende Sinn – ich schütze das eigene Land. Bezogen auf die Bundeswehr kann man ohne Zweifel sagen, dass die Bundeswehr auch den demokratischen Geist, das Völkerrecht und eine europäische Friedens- und Freiheitsordnung schützt. Wenn man also am Arbeitsmarkt nach sinnstiftenden Berufen sucht, wie man heute sagt, dann kommt man schnell auf den Beruf der Soldatin und des Soldaten. Nebenbei profitiert man auch persönlich vom Dienst in der Truppe, wie ich glaube. Großartige Ausbildungen, Persönlichkeitsentwicklungen, und der Gedanke der Kameradschaft sind etwas Besonderes. Das ist ein untrennbares Band, das Soldatinnen und Soldaten für immer verbindet.

Sind Sie der Meinung, dass der Dienstgeber genug tut, um den Dienst ansprechend und attraktiv zu machen?

Die Frage ist: Habe ich als Soldatin oder Soldat das Gefühl, dass dieser Staat meinen Dienst auch dadurch anerkennt, dass er mir die richtige Ausrüstung zur Verfügung stellt? Wer mit modernster Technik arbeitet, empfindet eine andere Befriedigung aus seiner Tätigkeit heraus, als wenn er fortwährend improvisieren muss. Darüber hinaus gehört natürlich auch ein finanzielles Paket dazu: die angemessene Besoldung und die Vorbereitung und Unterstützung einer möglichen beruflichen Perspektive nach der Dienstzeit – inklusive einer Einbindung im öffentlichen Dienst, wenn man in ihm verbleiben will. Ich glaube, da können wir noch weiter optimieren und noch besser werden.

Sie kennen den BundeswehrVerband gut, natürlich gestaltet er als Spitzenorganisation für alle Menschen der Bundeswehr die neuen Zeiten mit. Welche Berührungspunkte hatten sie bisher mit dem Deutschen BundeswehrVerband, und welche Rolle soll er spielen?

Für mich ist der Verband bei allen Themen zur Truppe der erste Ansprechpartner. Das Besondere am BundeswehrVerband ist für mich, dass er nicht nur eine berufsständische Organisation ist, sondern auch eine besondere sicherheitspolitische Kompetenz besitzt. Das heißt, er vertritt nicht nur die Interessen von Soldaten gegenüber dem Dienstherrn, sondern er berät auch Entscheidungsträger in sicherheitspolitischen Fragen und hinsichtlich des Zustands der Bundeswehr. Da unterscheidet er sich von manch anderer Interessenvertretung. Davon habe ich in der Vergangenheit oft profitiert, weil mir Sorgen auch ungeschönt vorgetragen werden.

Qua Amt sind Sie ein enger Verhandlungspartner des Bundesverteidigungsminsters. Wenn Sie Boris Pistorius einen guten Rat geben könnten, welchen hätten Sie für ihn?

Boris Pistorius braucht keinen Rat von mir, ich schätze ihn sehr. Mit ihm macht die Zusammenarbeit Spaß, er hat meine volle Unterstützung. Wir arbeiten eng und kameradschaftlich zusammen.

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