Prozess in Kiew: Der 21-jährige russische Panzersoldat Wadim Schischimarin wurde des Mordes an einem ukrainischen Zivilisten schuldig gesprochen. Foto: picture alliance / ZUMAPRESS.com / Nicolas Cleuet

23.05.2022
Von Yann Bombeke/mit Material von dpa

Drei Monate Krieg in der Ukraine: Erstes Urteil in Kriegsverbrecherprozess – russische Verluste so hoch wie in Afghanistan

So viele tote russische Soldaten wie in Afghanistan, eine erste Verurteilung wegen Kriegsverbrechen an der Zivilbevölkerung und nicht nachlassende Kämpfe im Donbass: Drei Monate tobt nun schon der Krieg in der Ukraine.

Seit drei Monaten herrscht Krieg in Europa und ein Ende scheint noch immer nicht in Sicht. Im Donbass im Osten der Ukraine arbeiten sich russische Armee und prorussische Separatistenverbände gegen den starken Widerstand der ukrainischen Verteidiger weiter voran, es wird Dorf um Dorf gekämpft. Die Verluste sind auf beiden Seiten hoch: Auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sprach jetzt von vielen Gefallenen auf ukrainischer Seite. „Heute können zwischen 50 und 100 Menschen an der für uns schwersten Front im Osten unseres Landes sterben“, sagte er auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Polens Präsident Andrzej Duda. „Sie schützen unsere Freiheit und Unabhängigkeit, über die in der ganzen Welt gesprochen wird.“

Mit den hohen Verlusten begründete Selenskyj die Ablehnung einer Petition, Männern im wehrpflichtigen Alter die Ausreise aus der Ukraine zu erlauben. Zuletzt hatte die Ukraine Mitte April die eigenen Verluste offengelegt, damals war von etwa 3000 Gefallenen seit Beginn der russischen Invasion am 24. Februar die Rede.

Selenskyj hatte schon vorher von einer „sehr schwierigen Lage“ im Donbass gesprochen. Dort sind die ukrainischen Truppen, aber auch die Zivilbevölkerung hinter den Frontlinien ständigem russischen Artilleriebeschuss ausgesetzt. In einer neuen Videobotschaft appellierte Selenskyj an die Moral seiner Soldaten: Jeder Tag, an dem Russlands Pläne durchkreuzt würden, sei ein Beitrag auf dem Weg zum Sieg. Es wird befürchtet, dass nach dem Fall Mariupols dort eingesetzte russische Soldaten an andere Frontabschnitte verlegt werden könnten. Die Einnahme des Asov-Stahlwerks, letzte Bastion des ukrainischen Widerstands in der Hafenstadt Mariupol, war ein weiterer schwerer Schlag für die Ukraine. Nach russischen Angaben haben dort mehr als 2400 Soldaten nach wochenlangem Kampf ihre Waffen niedergelegt. Unklar ist, was nun mit den ukrainischen Kriegsgefangenen geschieht.

Doch auch wenn Russland mit der Einnahme Mariupols endlich einen dringend herbeigesehnten militärischen Erfolg vorweisen kann, ist der dafür bezahlte Preis erschreckend hoch: So gab das britische Verteidigungsministerium heute bekannt, dass die russischen Verluste nach drei Monaten Krieg in der Ukraine so hoch seien wie in dem neun Jahre langen Krieg der Sowjetunion in Afghanistan. Nach offiziellen sowjetischen Angaben kamen mehr als 13.000 Soldaten bis zum Abzug im Februar 1989 aus Afghanistan ums Leben. Nach ukrainischen Informationen sind die russischen Verluste sogar noch wesentlich höher: Mehr als 29.000 russische Soldaten sollen demnach seit Kriegsbeginn gefallen sein. Überprüfen lassen sich diese Angaben nicht.

Dass die russischen Verluste hoch sind, ist aber ziemlich unumstritten. Im Netz sind zahlreiche Bilder und Videos zu sehen, die russische Misserfolge dokumentieren: So sollen eine, wenn nicht sogar zwei Bataillonstaktische Gruppen Mitte Mai beim Versuch, den Fluss Siwerskyj Donez mit Pionierbrücken zu überqueren, vernichtet worden sein. Mehr als 70 Fahrzeuge wurden zerstört und mehrere Hundert Soldaten sollen dabei getötet worden sein. Vor wenigen Tagen soll ein weiterer Versuch der Flussüberquerung abgewehrt worden sein, so die ukrainische Seite.

Erste Verurteilung wegen Kriegsverbrechen

Es ist ein altes Phänomen: Mit zunehmender Dauer des Krieges geht eine fortschreitende Brutalisierung einher. Beiden Seiten wird etwa vorgeworfen, international geächtete Streumunition einzusetzen und auch zivile Gebiete werden unter Beschuss genommen. Ein ganz anderes Bild des Schreckens wurde jedoch im März nach dem Rückzug der russischen Truppen aus der Gegend nördlich von Kiew sichtbar: In der Ortschaft Butscha wurden die Leichen von mehreren Hundert Zivilisten entdeckt, offensichtlich hingerichtet von russischen Soldaten. Heute wurde nun erstmals ein russischer Soldat für den Mord an einem Zivilisten verurteilt: Der 21-jährige Wadim Schischimarin habe am 28. Februar den 62-jährigen Oleksandr Shelipov in der Ortschaft Chupakivka aus einem fahrenden Fahrzeug heraus erschossen, so der Vorwurf. Das Gericht in Kiew verurteilte den russischen Panzersoldaten wegen Mordes an einem unbewaffneten Zivilisten zu lebenslanger Haft. Schischimarin hatte sich am Vortag für schuldig bekannt und hatte angegeben, auf Befehl eines Vorgesetzten gehandelt zu haben. Er gab an, seine Tat zu bereuen.

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