Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs im Fall Tanja Kreil zog großes Medieninteresse auf sich. Foto: actionpress

Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs im Fall Tanja Kreil zog großes Medieninteresse auf sich. Foto: actionpress

12.01.2021
Gunnar Kruse

Eine Entscheidung, die Frauen ein Stück mehr Freiraum geschenkt hat

Mit der sogenannten Kreil-Entscheidung hat der Europäische Gerichtshof am 11. Januar 2000 Frauen den Weg in den aktiven Militärdienst bei der Bundeswehr geebnet. Dass sich die obersten EU-Richter mit dem Thema befassten, ist auch dem DBwV zu verdanken. Initiator und quasi Motor des Ganzen war der damalige Bundes- und heutige Ehrenvorsitzende des Deutschen BundeswehrVerbandes, Oberst a.D. Bernhard Gertz.

Es war ein langer Weg. Und es war ein schwieriger Weg. Es war ein Weg, der den Deutschen BundeswehrVerband bis vor den Europäischen Gerichtshof (EuGH) geführt hat. Aber es war auch ein Weg, der sich letzten Endes gelohnt hat. Mit seiner Entscheidung vom Januar 2000 hat der EuGH die rechtlichen Voraussetzungen für den Zugang von Frauen zu allen Laufbahngruppen der Bundeswehr geschaffen.

Für diese wesentliche Zäsur in der Bundeswehr-Geschichte hat sich Oberst a.D. Bernhard Gertz, von 1993 bis 2008 Bundes- und heutiger Ehrenvorsitzender des DBwV, persönlich stark engagiert, und das aus einem triftigen Grund. „Etwa ab 1994/95 begannen bei mir die Zweifel daran, ob die damalige Fassung des Artikels 12a Abs. 4 S. 2 des Grundgesetzes wirklich – wie damals von allen führenden Kommentatoren behauptet – ein Verbot des freiwilligen Waffendienstes für Frauen enthielt. Sie lautete: ,Sie dürfen auf keinen Fall Dienst mit der Waffe leisten’“, erinnert er sich. Hauptverfechter dieser engen Auslegung sei in der Literatur und im Bundestag der frühere Verteidigungsminister Rupert Scholz gewesen.

Doch Gertz ist nicht nur Offizier, sondern auch Jurist, der seine eigene Lesart hatte: „Weil Artikel 12a die Allgemeine Wehrpflicht regelt, hat dieser Satz auch bedeuten können, dass Frauen nur zu einem Pflichtdienst an der Waffe nicht herangezogen werden dürfen.“ Zwar sei schon bei der Entstehung der Norm die Absicht der Parlamentarier deutlich gewesen, Frauen von den Streitkräften fernzuhalten, doch die Zeiten änderten sich: Seit 1975 war bereits die Laufbahn der Offiziere im Sanitätsdienst für weibliche Bewerberinnen geöffnet. Ab 1991 galt dies für alle Laufbahnen im Sanitätsdienst und Militärmusikdienst.

Zwei Strategien verfolgt

Nun sollte es also um die Öffnung aller Laufbahnen für Frauen gehen. Der DBwV entschied sich für eine Doppelstrategie. „Erstens das politische Lobbying bei den Fraktionen des Deutschen Bundestages und insbesondere deren Frauen-Arbeitsgruppen und zweitens der Gerichtsweg über einerseits den Antrag auf Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts/Wehrdienstsenate und andererseits über die allgemeinen Verwaltungsgerichte bis hin zum Europäischen Gerichtshof“, erzählt Gertz.

Was im Rückblick einfach klingt, war es natürlich nicht. Mit der Klage einer Sanitätssoldatin auf Laufbahnwechsel in den allgemeinen Truppendienst scheiterte der Verband vor dem ersten Wehrdienstsenat. Für einen Antrag auf Einstellung als Soldatin auf Zeit in den allgemeinen Truppendienst wurde dann jedoch die mangels einschlägiger beruflicher Vorbildung abgelehnte Sanitätsdienst-Bewerberin Tanja Kreil gewonnen. „Der damalige Vorsitzende Heer, der inzwischen leider verstorbene Hauptmann Helmut Meyer, war dienstlich im Nachwuchsgewinnungszentrum in Hannover tätig und hatte Zugang zu den abgelehnten Bewerberinnen. Er überzeugte sie davon, 1996 die Einstellung zu beantragen und gegen deren Ablehnung Widerspruch einzulegen“, blickt der heute 75-Jährige zurück. Die Begründung dafür wurde vom DBwV ebenso geliefert wie die Klage vor dem Verwaltungsgericht Hannover gegen dessen Zurückweisung. Den Rechtsschutz für Tanja Kreil übernahm der DBwV-Vertragsanwalt in Hannover, Rechtsanwalt Rothardt. Seine Maßgabe: dem Verwaltungsgericht eine Verweisung des Rechtsstreits an den Europäischen Gerichtshof in Luxemburg nahezulegen. Und während des gesamten Verfahrens wurde Kreil durch den Referenten für Öffentlichkeitsarbeit, Hauptmann a.D. Jürgen Meinberg, betreut und begleitet.
 

Pro und Kontra seitens der Politik

Wie stand damals eigentlich die Bundespolitik zur Problematik? „Die Arbeitsgruppen der CDU/CSU-Fraktion, vor allem geprägt von Rita Süßmuth und Michaela Geiger, und der FDP waren im Gegensatz zu ihren männlichen Fraktionskollegen für die Öffnung, während die Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen darin keinen Emanzipationsgewinn erblicken konnte“, erinnert sich Bernhard Gertz. Auch der Deutsche Gewerkschaftsbund habe die Sache mit Zurückhaltung betrachtet.

Die Stimmung in der Truppe beschreibt er mit einer kleinen Anekdote: „Im Gespräch mit dem damaligen Inspekteur des Heeres, Generalleutnant Willmann (genannt ,Tiger-Willi’) wandte sich dieser vehement gegen die Öffnung der Bundeswehr für Frauen. Auf den Hinweis, er habe doch in seiner vorherigen Dienststellung als Kommandierender General des Eurokorps eine belgische Frau Oberleutnant als Hubschrauberpilotin gehabt und diese sehr gelobt, meinte er, das sei doch etwas ganz anderes…“

Verhärtete Fronten

Insgesamt betrachtet waren politisch die Fronten so verhärtet, dass eine Lösung nicht aussichtsreich erschien, wie sich Gertz erinnert. Eine juristische Entscheidung über die Frage der Öffnung aller Laufbahngruppen der Bundeswehr für Frauen wurde damals so unausweichlich. „Die Haltung der CDU/CSU-Fraktion wurde von Rupert Scholz dominiert und Minister Volker Rühe scheute einen Konflikt wegen dieses Themas ebenso wie sein Amtsnachfolger Rudolf Scharping“, sagt Oberst a.D. Gertz. Bezeichnend dafür sei, dass ein Termin mit der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen der SPD erst nach dem Luxemburger Urteil zustande kam.

Nach der Verweisung des Verwaltungsgerichts (VG) Hannover an den EuGH habe sich allerdings neue Hoffnung auf einen Erfolg auf dem Rechtsweg begründet, vor allem nachdem der Generalanwalt der EU dem EuGH in seinem Votum 1999 empfohlen hatte, einen Verstoß gegen die Europäische Gleichstellungsrichtlinie festzustellen.

Zuvor habe das VG Hannover davon überzeugt werden müssen, dass die bundesdeutsche Auslegung des Art. 12a Abs. 4 S. 2 GG gegen die Europäische Gleichstellungsrichtlinie verstoßen könnte. Ziel sei gewesen, dass das VG diese Vorfrage durch den dafür zuständigen EuGH klären ließ. „Wäre das VG dem nicht gefolgt, hätten wir uns im späteren Verlauf zur Vorbereitung einer möglichen Verfassungsbeschwerde nach Ausschöpfung des Verwaltungsrechtswegs auf einen Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 2 GG (,Männer und Frauen sind gleichberechtigt’) berufen“, erinnert Gertz an die damalige Alternativstrategie.

Im Januar 2000 stellte der EuGH schließlich unter anderem fest, dass Art. 12a Abs. 4 GG, wonach Frauen grundsätzlich der Dienst mit der Waffe verboten ist, gegen die EU-Richtlinie zur beruflichen Gleichstellung von Mann und Frau verstößt. Vom letztlich erfolgreichen Gang vor den EuGH profitieren und profitierten bis heute Tausende Frauen, denen der Weg in alle Bereiche der Bundeswehr geebnet wurde – nur die Klagende nicht. Es sei klar gewesen, dass Tanja Kreil sich beruflich neu orientieren musste, bis es zu einer Entscheidung kommen würde, sagt Gertz. Ebenso klar sei aber auch gewesen, dass sie bis zu einer Entscheidung an ihrer Bewerbung festhalten musste, weil die Klage sonst wegen Wegfalls des Rechtsschutzinteresses in der Sache nicht mehr entschieden worden wäre. „Tanja Kreil wusste das und hat dies 1998 auch selbst so formuliert. Letztlich gehe es darum, Geschichte geschrieben zu haben und den Frauen… ein kleines Stück mehr Freiraum schenken zu können’. Wir haben uns bei Tanja Kreil bedankt und ihre Entscheidung für den Verbleib in ihrem Zivilberuf vollauf verstanden.“

Lob für Mitstreiterinnen

Vom eigenen Verband habe er in Vorbereitung und während des Rechtswegs tolle Unterstützung bekommen, so Gertz. „Herausragende Mitstreiterinnen waren für mich die damalige Vorsitzende Sanitätsdienst, Oberleutnant – heute Oberstleutnant – Katja Roeder, und auf der hauptamtlichen Seite die Juristin Gudrun Schattschneider“, wie er hervorhebt. Beide seien auch die maßgeblichen Motoren in der 1998 gegründeten Arbeitsgruppe Soldatinnen des Bundesvorstandes gewesen.

Er selbst habe heute keinen Kontakt mehr zu Tanja Kreil. „Aber ich bin ihr nach wie vor dankbar, dass sie uns geholfen hat, gemeinsam Rechtsgeschichte zu schreiben“, betont Bernhard Gertz.

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