Homosexuelle Soldaten wurden von der Gründung der Bundeswehr im Jahr 1956 an von Vorgesetzen, den Truppendienstgerichten und der zivilen Strafjustiz verfolgt. Erst spät änderte sich diese Praxis. Foto: BMVg

Homosexuelle Soldaten wurden von der Gründung der Bundeswehr im Jahr 1956 an von Vorgesetzen, den Truppendienstgerichten und der zivilen Strafjustiz verfolgt. Erst spät änderte sich diese Praxis. Foto: BMVg

25.11.2020
dpa/yb

Kabinettsbeschluss: Homosexuelle Soldaten werden für erlittenes Unrecht entschädigt

Bis ins Jahr 2000 wurden homosexuelle Soldaten bei der Bundeswehr diskriminiert. Jetzt werden sie rehabilitiert. Die Verteidigungsministerin sagt, sie wolle die Würde der Betroffenen wiederherstellen.

Berlin. Homosexuelle Soldaten sollen für erlittenes Unrecht rehabilitiert und mit dem symbolischen Betrag entschädigt werden. Das Kabinett beschloss am Mittwoch (25. November) den Entwurf eines Gesetzes, das Urteile der Truppendienstgerichte wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen aufhebt. Die finanzielle Entschädigung erhalten neben den verurteilten Soldaten auch diejenigen, die wegen ihrer sexuellen Orientierung entlassen, nicht mehr befördert, degradiert oder nicht mehr mit verantwortungsvollen Aufgaben betraut wurden. Das gilt sowohl für Bundeswehrsoldaten als auch für Angehörige der ehemaligen Nationalen Volksarmee der DDR.
 
Der Deutsche BundeswehrVerband hatte sich gemeinsam mit dem Verein QueerBw dafür eingesetzt, dass homosexuelle Bundeswehrangehörige rehabilitiert werden.

Das Verteidigungsministerium schätzt, dass etwa 1000 Betroffene die Entschädigung beantragen werden. Der Gesetzentwurf muss noch vom Bundestag beschlossen werden. Die Zustimmung des Parlaments gilt aber als sicher. Nach Angaben des Verteidigungsministeriums sieht der Gesetzentwurf eine pauschalierte Entschädigung von 3000 Euro für jedes aufgehobene wehrdienstgerichtliche Urteil und einmalig 3000 Euro für andere erhebliche Benachteiligungen vor. Dazu zählen beispielsweise die Entlassung aus dem Dienst, die Entfernung aus der Führungsverantwortung im Truppendienst oder die Versagung von Beförderungen.  

Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer nannte den Gesetzentwurf ein „großes Zeichen gegen Diskriminierung“. Zwar könne man erlittenes Unrecht nicht wiedergutmachen. Mit der Rehabilitierung und Entschädigung setze man aber „ein Zeichen der Wiederherstellung der Würde dieser Menschen, die nichts anderes wollten, als Deutschland zu dienen“, sagte die CDU-Chefin. „Das ist ein großes persönliches Unrecht, das diesen Menschen widerfahren ist, und es ist ein Zeichen dafür, dass die Bundeswehr lange Diskriminierung in ihren eigenen Reihen geduldet, ja systematisch auch erlaubt hat.“

Homosexuelle Handlungen waren in der Bundesrepublik Deutschland bis 1969 eine Straftat und beschäftigten auch die Truppendienstgerichte. Homosexuelle Soldaten mussten in den Anfangsjahren der 1955 gegründeten Bundeswehr zudem damit rechnen, degradiert oder entlassen zu werden. Später konnten sie zwar in den Streitkräften bleiben, wurden aber nicht mehr mit verantwortungsvollen Aufgaben betraut. Erst durch die Aufhebung eines Erlasses zur Personalführung homosexueller Soldaten am 3. Juli 2000 wurde die institutionelle Diskriminierung von Schwulen und Lesben bei der Bundeswehr beendet.

Mitte September veröffentlichte das Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr unter dem Titel „Tabu und Toleranz“ eine Studie zum Umgang der Bundeswehr mit homosexuellen Soldaten. Die Diskriminierungen fingen danach im Truppenalltag mit Redensarten wie „79 Zentimeter sind schwul, 81 Zentimeter sind Fahnenflucht“ an. Das bezog sich auf die 80 Zentimeter Abstand, die man beim Marschieren im Gleichschritt zum Vordermann zu halten hat.

Drastische Konsequenzen drohten Soldaten, deren Homosexualität bekannt wurde. Klaus Storkmann, der Autor der mehr als 400-seitigen Studie, zitiert aus zahlreichen Urteilen der Truppendienstgerichte. Nur ein Beispiel aus dem Jahr 1964: Einem 32-jährigen Familienvater wurde wegen „gleichgeschlechtlicher Unzucht“ die Versorgungsansprüche gestrichen und er wurde – obwohl schon aus dem Dienst ausgeschieden – vom Stabsunteroffizier zum Obergefreiten degradiert. „Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats müssen homosexuelle Verfehlungen eines Soldaten disziplinar streng geahndet werden, weil ein derartiges Verhalten die soldatische Gemeinschaft, die Kameradschaft und die Sauberkeit der Truppe in hohem Maße gefährdet“, hieß es in dem Urteil.

Bis 1979 war Homosexualität auch ein Ausmusterungsgrund für Wehrpflichtige. Homosexuelle Offiziere und Offiziersanwärter wurden als generelles Sicherheitsrisiko angesehen. Der bekannteste Fall ist der Vier-Sterne-General und damalige stellvertretenden Nato-Oberbefehlshaber in Europa, Günter Kießling, dem 1983 Erpressbarkeit wegen angeblicher Homosexualität vorgeworfen wurde. Er wurde vorzeitig in den Ruhestand versetzt, später aber rehabilitiert, nachdem sich die Gerüchte als haltlos erwiesen.

Noch 1984 konstatierte die Personalabteilung des Verteidigungsministeriums: „Ein Offizier oder Unteroffizier, der angibt, homosexuelle Neigungen zu haben, muss damit rechnen, nicht mehr befördert oder mit höherwertigen Aufgaben betraut zu werden.“ Erst im Jahr 2000 änderte sich diese Haltung. Den Schlusspunkt setzte wieder die Personalabteilung des Ministeriums mit folgender Verfügung: „Homosexualität stellt keinen Grund für Einschränkungen hinsichtlich Verwendung oder Status und somit auch kein gesondert zu prüfendes Eignungskriterium dar.“

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