Die Namen vermisster deutscher Soldaten aus dem Zweiten Weltkrieg und ein Erinnerungsbild prangen auf dem deutschen Soldatenfriedhof in Apscheronsk/Russland (Gebiet Krasnodar) auf einem Gedenkstein. Die Kriegsgräberstätte Apscheronsk als zentraler Sammelfriedhof für alle deutschen Gefallenen des Zweiten Weltkriegs im Kaukasus und im Gebiet des Kuba-Brückenkopfs wurde 2008 feierlich eingeweiht. 130.000 deutsche Soldaten fanden hier in den Kämpfen 1942/43 den Tod. Über 6000 Tode hat der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge hier bisher begraben- Etwa 30.000 können auf dem Gelände bestattet werden. Foto: Picture Alliance/Uwe Zucchi

Die Namen vermisster deutscher Soldaten aus dem Zweiten Weltkrieg und ein Erinnerungsbild prangen auf dem deutschen Soldatenfriedhof in Apscheronsk/Russland (Gebiet Krasnodar) auf einem Gedenkstein. Die Kriegsgräberstätte Apscheronsk als zentraler Sammelfriedhof für alle deutschen Gefallenen des Zweiten Weltkriegs im Kaukasus und im Gebiet des Kuba-Brückenkopfs wurde 2008 feierlich eingeweiht. 130.000 deutsche Soldaten fanden hier in den Kämpfen 1942/43 den Tod. Über 6000 Tode hat der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge hier bisher begraben- Etwa 30.000 können auf dem Gelände bestattet werden. Foto: Picture Alliance/Uwe Zucchi

08.05.2025
Hans-Peter Bartels

Nichts ist selbstverständlich

Der frühere Wehrbeauftragte und heutige Präsident der Gesellschaft für Sicherheitspolitik, Dr. Hans-Peter Bartels, blickt mit seinen Gedanken zum 80. Jahrestag des Kriegsendes 1945 auf die historischen Zusammenhänge, die bis heute wirken, die Herausforderungen der Gegenwart und mögliche Szenarien für die Zukunft.

Vor einer Reise nach Apscheronsk im Kaukasus besuchte ich in Berlin die „Deutsche Dienststelle“. Sie heißt wirklich so. In der Hauptstadt gibt es viele Dienststellen, aber welche könnte deutscher sein? Dort werden die Akten von mehr als 18 Millionen Soldaten verwahrt, die in deutscher Uniform am Zweiten Weltkrieg teilgenommen haben. Außerdem das Kriegsgräber-Register für 900.000 Gefallene des Ersten und drei Millionen des Zweiten Weltkriegs. Noch heute beantwortet die Dienststelle Anfragen von Angehörigen.

Wir reisten vor einigen Jahren in den Kaukasus, um einen Friedhof zu besuchen. Er liegt auf einer Lichtung, die sich zum Tal hin öffnet. Was hätten die Toten für einen schönen Ausblick! Die Sonne brennt, als unsere Gebirgsjäger die Kränze mit der schwarz-rot-goldenen Schleife ablegen. Sehr alte Veteranen der Roten Armee halten die Hand an die Mütze. Zuvor hatten wir an einem Ehrenmal der 27 Millionen Kriegstoten der Sowjetunion gedacht. Und dann halten wir unsere Reden, der Botschafter, der Bischof, der Präsident des Volksbundes. Keiner kann es ganz ohne Tränen. Hier ruhen 17.000 Gefallene der Heeresgruppe A, zehntausende liegen noch da draußen. Mein Onkel Heini könnte dabei sein, 1942 war er 20. Was um Himmels Willen hatte sie hierher gebracht, in dieses von der Heimat so weit entfernte Gebirge! Selbst heute noch sind es sechs Flugstunden von Berlin.

Vergebliches Appeasement

Inzwischen hat Putin zum zweiten Mal die Ukraine überfallen, diesmal auf breiter Front und mit ganzer Macht. Russland kämpft angeblich wieder gegen Nazis, sieht sich im Krieg mit dem „kollektiven Westen“ um die Herrschaft über das „Brudervolk“. Berlin hatte – gemeinsam mit Paris – 2014/15 versucht zu vermitteln (Minsk I und Minsk II hießen die Abkommen): Das erwies sich als vergebliches Appeasement. Und obwohl der Kreml immer aggressiver und imperialistischer auftrat, vereinbarte man noch den Bau der Gaspipeline Nord Stream 2 durch die Ostsee, um Frieden durch Handel irgendwie zu erzwingen – gegen die Warnungen aller osteuropäischen Partner, die am Ende Recht behielten.

Wenn in Deutschland gedankenlos von Russland als „Nachbar“ die Rede ist, zuckt man in den Ländern zwischen Deutschland und Russland zusammen. Denn immer, wenn in den letzten 250 Jahren tatsächlich Preußen, Österreich und das Zarenreich oder Deutschland und die Sowjetunion direkte Nachbarn waren, gab es kein Polen, kein Litauen, keine Tschechoslowakei, sondern nur deutsche und russische Fremdbestimmung. Zuletzt hatten Adolf Hitler und Josef Stalin sich 1939, am Vorabend des Zweiten Weltkrieges, über die Aufteilung Osteuropas geeinigt. Dort weiß man das noch genau. Bei uns haben viele es wieder vergessen oder nie gelernt.

In seinem Epochenbuch „Bloodlands“ beschreibt der Historiker Timothy Snyder, wo und wie in diesem Zwischenreich so massenhaft gestorben wurde: in Polen, Weißrussland, der Ukraine, Litauen, Lettland und Estland. Hier richtete die SS ihre speziellen KZs zur Vernichtung der europäischen Juden ein, Ortsnamen der Hölle: Auschwitz-Birkenau, Majdanek, Belzec, Sobibor, Treblinka, Chelmno und Maly Trostinez. Hier sollte Platz entstehen für die Deutschen, das angebliche „Volk ohne Raum“: Allein die Ukraine verlor in den drei Jahren der deutschen Besatzung ein Viertel ihrer Bevölkerung, insgesamt acht Millionen Menschen. Hitlers Krieg im Osten war kein exklusiver „Russlandfeldzug“. Wir sollten das wissen beim Gedenken, wann immer es von Moskau monopolisiert wird. Und vielleicht auch, dass Stalin im „Holodomor“ 1932/33 Millionen angeblich „konterrevolutionärer“ Ukrainer hat verhungern lassen.

Der Fall von Manstein

In den Schützengräben an der ukrainischen Front stoßen die Soldaten heute noch auf die Gebeine von Gefallenen beider Weltkriege. Es bleibt dieselbe Geografie, die den Stellungsbau einfach macht oder schwer. Durch die Ukraine hatte sich 1941/42 die deutsche 6. Armee bis nach Stalingrad an der Wolga durchgekämpft. Und wurde dort eingeschlossen. Als neuer Heeresgruppen-Befehlshaber bekam der wohl legendärste deutsche Feldmarschall, Erich von Manstein, den Auftrag, die Lage zu retten. Über der Stadt sollen Flugblätter abgeworfen worden sein: „Haltet aus! Ich hau Euch raus! Manstein“. Seine Operation „Wintergewitter“ scheiterte zwar. Doch die Großoffensive der nach dem Fall Stalingrads freigewordenen sowjetischen Armeen konnte Manstein zerschlagen. Dieser „Gegenschlag am Donezk“ mit der berühmten „Rochade“ der 4. Panzerarmee stabilisierte den Südflügel der Ostfront, verlängerte den Krieg und wurde weltweit Lehrmaterial für die Schule des operativen Denkens.

„Die verdammte Pflicht“

In seinem 1987 erschienenen Buch „Die verdammte Pflicht“ erzählt Mansteins Ordonnanzoffizier Alexander Stahlberg, wie er versuchte, im Auftrag seines Vetters Henning von Tresckow den Feldmarschall für den Widerstand gegen Hitler zu gewinnen. Manstein verriet die Verschwörer nicht, aber lehnte schließlich gegenüber Stauffenberg brüsk ab: „Preußische Feldmarschälle meutern nicht.“

Erich von Manstein überlebte den Krieg und war der letzte verurteilte Kriegsverbrecher der Wehrmacht – unter anderem wegen der systematischen Ermordung der Juden auf der Krim, die, so die zynische Argumentation der Verteidigung, ja um ihr Schicksal wussten, insofern sicher alle die Wehrmacht bekämpfen würden und deshalb, um die Operationsfreiheit der 11. Armee vor Sewastopol zu sichern, alle als Partisanen umzubringen seien. Was im Dezember 1941 auch geschah. In der Vollzugsmeldung einer einzelnen Feldkommandantur ist das Wort „liquidiert“ durchgestrichen und „umgesiedelt“ darübergeschrieben worden. Die Soldaten wussten, dass sie sich an Verbrechen beteiligten und wollten das hier nicht allzu präzise dokumentieren.

Bald wieder aus der Haft entlassen, wurde Manstein 1955 dann übrigens vom Bundestag zum Vorsitzenden des militärischen Gutachterausschusses zur künftigen Struktur der neuen Bundeswehr berufen.

Propheten in Casablanca

Dass nach mehr als zwei Jahren Krieg in Europa, nach der Besetzung des ganzen Kontinents durch Hitlers Truppen von Frankreich über Norwegen bis Griechenland, endlich auch die USA in das Geschehen eingriffen, war alles andere als selbstverständlich. In ihrem Buch „Fünf Tage im Dezember“ schildern die Historiker Brendan Simms und Charlie Laderman, wie nach dem Überfall Japans auf Pearl Harbor am 7. Dezember 1941 alles an einem seidenen Faden hing. Denn nun hatte Amerika seinen eigenen Krieg und zwar auf der anderen Seite des Globus, im Pazifik.

Die Geleitzüge mit Nachschub für Großbritannien und die Sowjetunion wurden sofort gestoppt. Kriegsmaterial brauchten die USA jetzt für sich, dringend und in großem Umfang. Also nicht einmal mehr Leih- und Pacht-Lieferungen? An jeder direkten militärischen Aktion gegen Deutschland war Präsident Franklin D. Roosevelt per Gesetz bisher ausdrücklich gehindert gewesen: Nach den schmerzlichen Verlusten im Ersten Weltkrieg sollten amerikanische Soldaten niemals wieder in die Kämpfe europäischer Mächte eingreifen. Es sei denn, die USA selbst würden angegriffen. Und so kam es tatsächlich. Am 11. Dezember erklärten Hitler und der italienische Diktator Benito Mussolini Amerika den Krieg.

Das „Manhattan-Projekt“

Damit war Roosevelt an beiden Gegenküsten, der pazifischen und der atlantischen, militärisch herausgefordert. Sofort machte der britische Premierminister Winston Churchill sich von London aus auf den Weg nach Washington. Dort vereinbarten die Regierungschefs der angloamerikanischen Welt ihre gemeinsame Kriegsstrategie und die lautete: „Germany first!“ Danach Japan. Amerikas Wirtschaft stellte voll um auf Rüstung. Bald liefen jeden Tag zwei Liberty-Frachter vom Stapel und jeden Monat ein Flugzeugträger. Das „Manhattan-Projekt“ zum Bau einer Atombombe startete.

Im November 1942 eröffneten die Alliierten eine erste „zweite Front“ gegen die Achsenmächte Deutschland und Italien, allerdings nicht wie von Stalin (der zu Lande immer noch allein gegen die Wehrmacht kämpfte) erhofft in Europa – für die Landung in der Normandie sah man sich erst anderthalb Jahre später ausreichend gerüstet – sondern in Nordafrika. US-Truppen landeten an der marokkanischen Küste bei Casablanca. Zehn Tage danach lief in den amerikanischen Kinos ein Film gleichen Namens an. Und wenige Wochen später trafen sich Roosevelt und Churchill zur Konferenz in Casablanca. Stalin sagte ab, da gerade die Schlacht um Stalingrad ihrem Ende zuging.

Das Hollywood-Melodram „Casablanca“ wurde zu einem der größten Klassiker der Filmgeschichte. Die dramatischen Nächte in „Rick’s Café“ sind eine Schlüsselerzählung über den Weg Amerikas, hier personifiziert durch den Geschäftsmann Richard Blaine (Humphrey Bogart), in den Krieg. Schon vor dem Beginn ihrer wunderbaren Freundschaft sagt der französische Capitaine Renault: „Mein lieber Rick, wann wird Ihnen endlich klar, dass in der Welt von heute der Isolationismus keine zweckmäßige Politik mehr ist?“ Der Journalist Norbert Pötzl hat diese Geschichte sehr lesenswert aufgeschrieben: „Casablanca 1943 – Das geheime Treffen, der Film und die Wende des Krieges“.

Die Lage ist ernst

Da stehen wir nun, 80 Jahre nach dem Ende dieses entsetzlichen Kampfes um die Weltherrschaft. In seiner letzten großen Rede sagte der inzwischen verstorbene Alt-Bundeskanzler Helmut Schmidt: „Wenn ich zurückschaue auf das Jahr 1945 oder zurückschauen kann auf das Jahr 1933 – damals war ich gerade 14 Jahre alt geworden – so will mir der Fortschritt, den wir bis heute erreicht haben, als fast unglaublich erscheinen.“ Fast unglaublich: Europa ist heute frei, Deutschland wieder aufgebaut, reich, in Frieden vereint, eine erfolgreiche Demokratie, die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt.

Doch längst wächst wieder die Gefahr. Das Pendel scheint zurückzuschwingen. Russland führt Krieg in Europa, droht der NATO mit Atomschlägen und versucht gemeinsam mit China, dem Iran und Nordkorea, im „globalen Süden“ antiwestliche Stimmungen zu schüren. Die USA unter Präsident Donald Trump beleidigen, verunsichern und „bestrafen“ täglich ihre eigenen Bündnispartner, die atlantischen wie die pazifischen, als gäbe es kein Morgen. Und der Historiker Sönke Neitzel warnt, Deutschland stehe möglicherweise vor seinem „letzten Friedenssommer“. Die Lage ist ernst. Deshalb muss – „whatever it takes“ – die Wehrhaftmachung Deutschlands und Europas jetzt höchste politische Priorität haben. Wenn es gut geht, wird Abschreckung funktionieren. Wenn nicht, müssen wir kämpfen.

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