Einer der wenigen Kameraden der Bundeswehr, die man im Einsatzgebiet Irak treffen kann: Oberstleutnant Marcel Bohnert (r.) im Austausch mit einem Hauptfeldwebel. Foto: Privat

Einer der wenigen Kameraden der Bundeswehr, die man im Einsatzgebiet Irak treffen kann: Oberstleutnant Marcel Bohnert (r.) im Austausch mit einem Hauptfeldwebel. Foto: Privat

13.08.2023
Von Frank Jungbluth

Ein Veteran kommt zurück, auch wenn das Land ein ganz anderes ist

Oberstleutnant i.G. Marcel Bohnert ist seit 1997 Soldat. Er hat sich früh entschieden, den Dienst in der Bundeswehr zu seinem Beruf zu machen. Bohnert ist ein Veteran, der im Kosovo, in Afghanistan und jetzt im Irak gedient hat. Eine Geschichte von Pflicht und Mitgefühl.

 

Der Irak ist orange, das heißt, die Bedrohungslage ist erheblich. In der Vorlage „Unterrichtung des Parlaments über die Auslandseinsätze der Bundeswehr“, der von der Abteilung III 1, Strategie und Einsatz im Verteidigungsministerium jeden Monat geschrieben wird, sind die Länder, in denen Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr gefährlichen Dienst leisten nach Farben sortiert. Bosnien ist grün, Mali orange, der Libanon gelb. Vor wenigen Tagen brannte die schwedische Botschaft in Bagdad. Oberstleutnant i.G. Marcel Bohnert war da kurz vor seiner Rückkehr in die Heimat.

Der stellvertretende Vorsitzende des Deutschen BundeswehrVerbandes flog Anfang 2023 nach Bagdad zu einer besonderen, einer geheimen Mission, bei der er in ein Land kommen sollte, das vom Krieg mit den Alliierten der NATO ab 2003, vom darauffolgenden Bürgerkrieg und vom Abwehrkampf mit dem Islamischen Staat IS zerstört und zerrüttet ist. Deutsche Soldaten sind hier Teil einer Mission. Das Sagen hat ein US-amerikanischer General. Die Möglichkeiten, etwas vom Land und von den Leuten zu sehen oder gar Besuch zu empfangen, sind streng limitiert.

Wer also die Last auf sich nimmt, jeden Abend in einen zehn Quadratmeter großen weißen Container zu gehen, um dort die Nacht auf einem Feldbett zu verbringen und Verbindung zur Heimat nur über einen mobilen Computer halten kann, der muss schon aus besonders hartem Holz geschnitzt sein. Denn draußen geht der Krieg, das Sterben und die Zerstörung weiter. Anschläge im Irak, erbarmungslose Kämpfe im Nachbarland Syrien. Es sind nur andere Dimensionen.

Der Gegner ist erfahren mit den digitalen Waffen

„Counter Daesh“ hieß der Einsatz hier früher, an dem sich die Bundeswehr auch beteiligt hatte. Heute ist es friedlicher in Bagdad, der Hauptstadt des Irak, in dem der Diktator Saddam Hussein mit eiserner Hand regierte, bis US-Präsident George W. Bush ihn am 30. Dezember 2006 aufhängen ließ. Marcel Bohnert trainiert im Irak Offiziere, auch Generale, im Umgang mit den sozialen Netzwerken. Die Gegner vom Islamischen Staat sind erfolgreich mit dieser digitalen Waffe. Nur so konnten sie in kurzer Zeit Mitte der 2000er Jahre ein Reich formen und mordend, plündernd und zerstörend weitermarschieren.

„Dabei lernt man, wie es dem IS möglich war, mit 1500 Kämpfern in eine Millionenstadt wie Mosul innerhalb von vier Tagen einzugehen. Ich habe mal einen Bericht gesehen, da sagt jemand aus den Sicherheitskräften, das war wie ein Invisible Bombardement, also Social Media ist wie unsichtbare Artillerie auf die Kampfmoral der irakischen Sicherheitskräfte eingetrommelt und hat diese blitzschnell zerstört.“

In seinem persönlichen Bereich, also Informationsoperation, hat Bohnert in dem halben Jahr an Euphrat und Tigris zentrale Fortschritte erlebt. „Ich konnte mein Wissen hier vermitteln, ob Unterricht zu Theorie, Algorithmen, Dynamiken von Social Video und vieles mehr weitergeben. Wir haben Monitoring Tools getestet, um Medien zu beobachten. Und ich konnte sehen, wie sich zusehends die Fähigkeiten der irakischen Kameraden in diesem Bereich gebessert haben und wie stark vor allem auch der Wille ist, das tatsächlich in die eigene tägliche Arbeit mitzunehmen“, berichtet Bohnert von seinem Einsatz.

Marcel Bohnert, der Veteran, ist seit 1997 Soldat. Er war Gruppenführer im Kosovo 1999. 2011 war er Kompaniechef in Afghanistan und mehr als ein halbes Jahr lang für die Sicherheit im Distrikt Char Darah in Kundus verantwortlich. Der Sand im Irak ist wie der in Afghanistan. Vor zwei Jahren, als die Bundeswehr fluchtartig Afghanistan verließ, war die Vergangenheit für den Veteranen Marcel Bohnert wieder Gegenwart. Da war das Karfreitagsgefecht von Isa Kehl nahe Kundus im April 2010, bei dem drei Kameraden gefallen waren. Die Tür eines Panzerspähwagens vom Typ Dingo blieb zurück. Bohnert ging mit seinen Männern und Frauen ein knappes Jahr später zum Ort des Gefechts zurück und barg die Tür. Es war ein symbolischer Akt, aber auch ein Signal: „Wir sind hier. Wir bleiben hier. Wir lassen uns nicht unterkriegen.“

„Ein Veteranentag gibt Halt und Orientierung”

Diese Tür, zerbeult und lädiert, wird zum Thema im Museum der legendären Varusschlacht bei Kalkriese in Niedersachsen. Dort haben im Spätsommer des Jahres neun nach Christus germanische Stämme unter Führung von Arminius in einem wochenlangen Gemetzel drei römische Legionen vernichtet. Es war eine Zeitenwende, der Vormarsch Roms nach Norden war vorbei. Die Ausstellung „Tod eines Legionärs“, zeigt den weltweit einzig erhaltenen Schienenpanzer, der bei Kalkriese gefunden wurde. Genutzt hat er dem römischen Soldaten nichts. Auch er wurde ein Opfer der germanischen Heerschaaren. Die Dingo-Tür, die Bohnert mit einer Truppe 2010 bergen ließ, ist ein Symbol wie der römische Schienenpanzer. Eine Sonderausstellung, die noch bis November zu sehen sein wird, erzählt die Geschichte.

Im alten Rom wurden Veteranen hoch wertgeschätzt. Sie bekamen nach 20 Dienstjahren Latifundien, also Land, eine Pension und andere Privilegien. Sie waren beim Gegner gefürchtet als Eisenmänner, deren Kampfkraft nach der Rückkehr in den Dienst gefürchtet war. „Veteranin oder Veteran der Bundeswehr ist, wer als Soldatin oder Soldat der Bundeswehr im aktiven Dienst steht oder aus diesem Dienstverhältnis ehrenhaft ausgeschieden ist, also den Dienstgrad nicht verloren hat.“

Gut zehn Millionen Veteranen dürfte es demnach in Deutschland geben. Einen Veteranentag gibt es bis heute nicht. Aber das soll sich ändern. „Das Land braucht diesen Tag. Und alle, die diesem Land treu gedient haben und treu dienen“, sagt Oberstleutnant Marcel Bohnert.

Nicht wenige derer, die im Kosovo, in Bosnien und Afghanistan Schlimmes erlebt haben, sind nicht allein aus dem Kriegs- und Krisengebiet zurückgekehrt. PTBS, die gefürchtete “Posttraumatische Belastungsstörung” ist ihr Begleiter, der sich hartnäckig in die Seele gefressen hat. Die Krankheit verändert Frauen und Männer und man bleibt eine PTBS-Geisel ein Leben lang. „Auch deshalb ist ein Veteranentag so wichtig, weil er Halt und Orientierung gibt“, sagt Marcel Bohnert. Für manche ist so ein Tag vielleicht nichts Großes, für manche wird er alles sein. Ein Tag, an dem man den Kameradinnen und Kameraden wieder in die Augen blickt, ein Tag, der alles wachruft.

Aber die Erinnerung muss nicht nur ein schlechter Begleiter sein, sie kann auch ein treuer Kamerad werden. Es gibt inzwischen Veteranenabzeichen der Bundeswehr, ein kleines eisernes Kreuz mit dem Bundesadler in der Mitte. Man soll es an der Zivilkleidung tragen, die meisten von zehntausenden Abzeichen lagern noch in den Behörden der Bundeswehr. „Das Abzeichen kann einen Veteranentag aber nicht ersetzen“, ist Oberstleutnant Bohnert überzeugt. Ein solcher Tag, sagt er, würde die vielen, die mit ihrem Dienst, ihrem Einsatz im Ausland ihr Leben riskiert haben – mehr als 50 deutsche Soldatinnen und Soldaten haben es allein in Afghanistan verloren – endlich ins Licht und aus der Dunkelheit holen.

„Der Blick auf Veteranen ist bisher eher durch das Periskop eines U-Bootes auf das Thema gerichtet. Das U-Boot fährt unter Wasser, manchmal taucht es auf, aber es bleibt kaum sichtbar. Auch darunter leiden nicht wenige unserer Veteraninnen und Veteranen“, beschreibt Bohnert die Lage. Ein Tag für sie, in vielen Ländern seit vielen Jahrzehnten üblich, wäre von unschätzbarem Wert.

In Großbritannien gibt es den Armed Forces Act, in dem die Angelegenheiten der Veteranen als Gesetz geregelt sind. In Deutschland klafft hier noch eine Lücke.Die alten Kriegervereine, die noch auf der Tradition des Deutsch-Französischen Krieges von 1870/71 gegründet waren, sind ausgestorben. Nach dem Zweiten Weltkrieg war der Blick nach den Kriegsverbrechen während der nationalsozialistischen Diktatur auf alles Militärische, auf Tradition und Gegenwart, getrübt. Dass die Bundeswehr, als Parlamentsarmee mit Staatsbürgern in Uniform, seit 70 Jahren verlässlich für die Verteidigung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung steht, wollen viele Politiker kaum öffentlich sagen. Man schweigt lieber beredt.

Das soll anders werden. Unter dem schützenden Dach des DBwV haben sich mehr als ein Dutzend Veteranenverbände zusammengeschlossen, um eine deutlich vernehmbare Stimme in der Politik zu sein. „Das ist unser Weg. Wir wollen gemeinsam streiten, um viel für viele zu erreichen“, sagt Marcel Bohnert.

Weitere Informationen zum Status Quo der Veteranenkultur und zu den Forderungen der deutschen Veteranenbewegung unter https://www.dbwv.de/veteranen

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Im DBwV-Podcast "Die Lage" berichtet Oberstleutnant i.G. Marcel Bohnert über seine Zeit im Irak. Zum Podcast gelangen Sie >>hier.

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