In seinem Vortrag erinnert Roderich Kiesewetter (MdB, CDU/CSU) an politische Entwicklungen, die zur Zeitenwende führten. Fotos: DBwV/Ingo Kaminsky

In seinem Vortrag erinnert Roderich Kiesewetter (MdB, CDU/CSU) an politische Entwicklungen, die zur Zeitenwende führten. Fotos: DBwV/Ingo Kaminsky

24.01.2024
IK

„ZEITENWENDE – Wo steht Deutschland aus außenpolitischer und verteidigungspolitischer Sicht?“

Dornstadt. Die erste sicherheitspolitische Veranstaltung der Kooperationspartner Deutscher BundeswehrVerband (DBwV), Gesellschaft für Sicherheitspolitik (GSP) Sektion Ulm und der Gesellschaft für Deutsche Wehrtechnik (DWT) Sektion Ulm im neuen Jahr unter Leitung von Bezirksvorsitzendem  Oberstabsfeldwebel a.D. Harald Lott zog mit dem aufgerufenen Thema über 150 Interessierte in das Casino der Rommelkaserne, darunter Kommandeure und Soldaten Ulmer Kommandos und Dienststellen.

Mit Roderich Kiesewetter (MdB) hatte Lott einen ausgewiesenen Kenner der Entwicklungen in der Bundeswehr und der Sicherheitspolitik Deutschlands für den Vortrag gewonnen, der als Oberst a.D. viele Jahre Präsident des Reservistenverbandes war und als Abgeordneter u.a. Obmann im Auswärtigen Ausschuss und Stellvertretender Vorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums ist.

Als ehemaliger Soldat mit Ausbildung und Erfahrungen eines Generalstabsoffiziers kennt Kiesewetter die Lehren von Carl von Clausewitz. Eine dieser Erkenntnisse, dass Erfolg in einem Krieg „den gleichzeitigen Einsatz aller für einen Stoß bestimmter Kräfte“ erfordert, hat sein Haltung insbesondere bei der entschlossenen Unterstützung der Ukraine bestimmt. Rückblickend auf die sicherheitspolitischen Entwicklungen sieht er in dem, was sehr leutselig beschrieben wird als Besonnenheit, Zurückhaltung und Vermeidung von Eskalation, „ein Ausweichen vor dem koordinierten Stoß, den Russland mit China, Nordkorea und dem Iran gegen die regelbasierte Ordnung führt.“

Die politischen Entwicklungen bis zur Zeitenwende

In einer detaillierten Rückschau erinnerte Kiesewetter an die politischen Entwicklungen beginnend beim Cyberangriff Russlands auf Estland in 2007 über den Einmarsch in Georgien 2008 und die völkerrechtswidrige Annexion der Krim in 2014 bis hin zum Krieg Russlands gegen die Ukraine in 2022. Die Reaktionen deutscher Politik, auch der NATO und der EU, waren Verhandlungen und die Einbindung Russlands in die NATO (u.a. Partnership for Peace 1994, NATO-Russland-Rat 1997). Deutsche Antworten auf die Annexion der Krim waren nicht nur Minsk 1 und 2, sondern 2015 ein Veto gegen die Ausrüstung und Ausbildung ukrainischer Soldaten und Nordstream 2.

Nichts davon habe Putin von seinem Ziel abgehalten, Russland wieder zur einstigen Größe führen zu wollen. Zur Erreichung seiner Ziele nutzte Putin die Energie- und Nahrungsmittelversorgung als Waffe, bereitete den Krieg gegen die Ukraine langfristig in Tschetschenien, Georgien und Syrien vor. Proteste im Innern bricht er mit Gewalt, beseitigt Oppositionelle und anderer Gegner. Er baute Russland um zu einer gelenkten Form staatlicher Führung um, weil er Demokratien zwar als schwach, aber Freiheitsbestrebungen wie einst in Belorussland und in Russland selbst sowie prosperierende Volkswirtschaften um Russland herum als Bedrohung ansieht.

Putins Gründe für den Krieg sind vorgeschoben. Der Krieg Putins gegen die Ukraine ist ein Angriff Russlands auf die regelbasierte Ordnung der Welt und führte in der deutschen Politik zur Zeitenwende mit einem 100 Mrd. Euro Sondervermögen.

Deutschland nach dem Zeitenwende-Ruf

Nach dem Zeitenwende-Ruf zeigte sich Deutschland wenig entschlossen: Nach 5.000 Helmen lieferte Deutschland 18 Kampfpanzer, 14 Panzerhaubitzen, 4 Raketenwerfer und 80 Schützenpanzer für einen Frontabschnitt von 1.200 km, ohne die erforderlichen Ersatzteile und zusätzliche Munition bereitzustellen. Die Rüstungsindustrie erhielt keine zusätzlichen Aufträge. Das Sondervermögen wird dem 2%-Ziel für Verteidigungsausgaben angerechnet. Es gab keine europäische Kampfpanzerinitiative oder eine Koordination der Produktion von Munition. Die Ukraine erhielt Luftverteidigungsmittel unter der Auflage, diese ausschließlich für den Schutz ziviler Infrastruktur einzusetzen.

Ukrainischen Soldaten konnten so den an deutschen Ausbildungseinrichtungen gelehrten Kampf der verbundenen Waffen nicht führen, die Offensive in 2023 brachte auch deshalb nicht den erhofften Erfolg. Solche Restriktionen für den Einsatz gelieferter, auch weit reichender Waffen gäbe es von anderen Nationen nicht. „Wir haben der Ukraine einen Arm auf den Rücken gebunden und Blei an den Fuß!“, so Kiesewetter.

Sorge bereitet Kiesewetter, dass das russische Vorgehen zur Blaupause werde für Länder wie Serbien, Türkei, Iran oder China gegenüber deren Nachbarn. Einer regelbasierten Ordnung zugewandte Länder wie Tunesien, Marokko und Ägypten könnten sich zudem vom Westen abwenden, wenn die Ukraine, die für diese regelbasierte Ordnung und westliche Werte kämpft, fallen gelassen werde. Eine Niederlage der Ukraine werde zudem weitere Fluchtbewegungen von bis zu 14 Millionen Menschen auslösen mit Auswirkungen auf die Migration und den sozialen Zusammenhalt in Deutschland (z.B. Wohnungsbau, Ernährungssituation, Gesundheitssystem).

Lösung ist der Erhalt der regelbasierten Ordnung

Dazu forderte Kiesewetter, der Ukraine die Botschaft zu senden: „Das ist unser Krieg!“. Der Ukraine müsse eine Perspektive in der westlichen Gemeinschaft gegeben werden. Den USA sollte glaubhaft signalisiert werden: „Wir haben verstanden!“, was eine konsequente Unterstützung der Ukraine und den Aufbau eigener verteidigungsfähiger Streitkräfte bedeute. Dazu brauche es eine leistungsfähige Rüstungsindustrie mit Aufträgen für die Produktion von Rüstungsgütern. Die Forderung an Russland müsse gestellt werden, das Existenzrecht der Nachbarländer uneingeschränkt anzuerkennen. Und letztendlich sei Sicherheit als eine Aufgabe der Gesellschaft zu betrachten.

Kiesewetter appellierte, gesellschaftlich den bundesfreiwilligen Dienst auszuweiten, um sowohl eine zivile als auch eine militärische Reserve aufzubauen. Über die Haltung in der Bevölkerung dazu, wie dies alles gelingen kann und über mögliche Gründe des Bundeskanzlers für seine Zurückhaltung gegenüber Putin diskutierten die Teilnehmer im Anschluss mit dem Bundestagsabgeordneten.

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