CDU-Chef Friedrich Merz warb im Bundestag für eine Änderung des Grundgesetzes, um Milliarden-Investitionen in Verteidigung und Infrastruktur zu ermöglichen. Foto: picture alliance / REUTERS / Lisi Niesner

CDU-Chef Friedrich Merz warb im Bundestag für eine Änderung des Grundgesetzes, um Milliarden-Investitionen in Verteidigung und Infrastruktur zu ermöglichen. Foto: picture alliance / REUTERS / Lisi Niesner

13.03.2025
Von Yann Bombeke und Antonia Wolf

Abgeordnete debattieren über Grundgesetzänderung – „Tiefgreifende, historische Entscheidung unseres Landes“

Die neue schwarz-rote Koalition ist noch gar nicht im Amt – die Koalitionsverhandlungen starten erst heute – und doch soll der Bundestag noch in seiner alten Zusammensetzung die finanzielle Grundlage für die wichtigsten Vorhaben einer künftigen Regierung aus Union und SPD schaffen. Grüne und Liberale haben andere Vorstellungen, wenn es um das Schließen von Milliardenlöchern bei Verteidigung und Infrastruktur geht. Im Bundestag kam es zur erwartet heftigen Debatte.

Berlin. Eine solche Lage hat es in der Geschichte der Bundesrepublik wohl noch nicht gegeben: Eine neue Regierung, die noch gar nicht im Amt ist, ruft den alten, eigentlich abgewählten Bundestag zusammen, um eine Mehrheit für eine Grundgesetzänderung zu erhalten, welche dann die Basis für ein Multimilliarden-Finanzpaket für Verteidigung und Infrastruktur wäre. Konkret sollen Verteidigungsausgaben nur noch bis zu einer Grenze von einem Prozent des Bruttoinlandsprodukts – aktuell sind dies etwa 44 Milliarden Euro – unter die Schuldenbremse fallen. Darüberhinausgehende, erforderliche Ausgaben sollen mit Krediten finanziert werden. So soll die Finanzierung einer einsatzbereiten Bundeswehr langfristig gesichert werden. Zweite große Baustelle ist die Infrastruktur im Land. Mit einem Sondervermögen von 500 Milliarden Euro soll sie wieder auf Vordermann gebracht werden. Zudem sollen Länder und Kommunen durch Kredite mehr Spielraum für die eigene Verschuldung bekommen.

Das geht nicht ohne eine Änderung des Grundgesetzes, für die eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag notwendig ist. Nach den vorgezogenen Bundestagswahlen im Februar sind im neuen Bundestag AfD und Linke gemeinsam so stark, dass sie über Sperrminorität verfügen – sie könnten das Vorhaben blockieren. Deshalb soll jetzt noch der alte Bundestag mit Stimmen von Grünen oder FDP entscheiden, doch die haben andere Vorstellungen. Eine hitzige Debatte war daher vorprogrammiert.

Militärische, wirtschaftliche und soziale Stärke

Nachdem die Abgeordneten zunächst einen Antrag der AfD, den Tagesordnungspunkt zur Änderung des Grundgesetzes abzusetzen, abgelehnt hatten, warb Lars Klingbeil für das Mega-Milliarden-Vorhaben. Deutschland müsse vorangehen, forderte der SPD-Vorsitzende. „Es geht um unsere Stärke, militärisch, ja. Aber es geht im gleichen Maße auch um wirtschaftliche und soziale Stärke. Wir wollen, dass Deutschland ein starkes Land in einem starken Europa ist.“ Klingbeil gab sich optimistisch, dass man eine gemeinsame Lösung finden könne, um die notwendige Mehrheit zur Grundgesetzänderung zu erhalten.

Der CDU-Chef Friedrich Merz warnte vor weiteren Verzögerungen – diese wären „unverantwortlich“. Der mögliche nächste Bundeskanzler weiter: „Wir müssen jetzt den Blick nach vorne richten, wir müssen jetzt unserer Verantwortung gerecht werden und wir stehen möglicherweise vor einer tiefgreifenden, historischen Entscheidung unseres Landes, ob wir weiter nach innen schauen wollen, ob wir weiter denen nachgeben wollen, die von ganz links oder ganz rechts unsere Demokratie untergraben.“

Auf die Grünen, die sich bislang ablehnend gegenüber den rot-schwarzen Finanzplänen zeigten, ging Merz zu. In Bezug auf den Klimaschutz sagte der CDU-Politiker: „Es kann niemand bezweifeln, dass wir ein großes Problem gemeinsam zu bewältigen haben.“ Merz sagte, dass bis zu 50 Milliarden Euro aus dem Sondervermögen in den Klima- und Transformationsfonds fließen könnten. „Was wollen Sie noch mehr?“, fragte er die Grünen.

Grüne bleiben skeptisch

Doch die so Angesprochenen zeigten sich von den Avancen des CDU-Vorsitzenden wenig angetan. Katharina Dröge, Fraktionschefin von Bündnis 90/Die Grünen, warf Merz Parteitaktik vor. So werde nirgends garantiert, dass die Ausgaben aus dem Infrastruktur-Sondervermögen wirklich zusätzlich seien. „Und wer von uns die Zustimmung für Hunderte von Milliarden Euro haben will für die Investitionen in dieses Land, der muss damit rechnen, dass wir darauf schauen, dass das Geld auch wirklich in die Infrastruktur in diesem Land gesteckt wird und nicht in Steuersenkungen“, so die Grünen-Politikerin weiter.

Kritik kam auch von den Liberalen, die im neuen Bundestag nicht mehr vertreten sein werden. Der FDP-Fraktionsvorsitzende Christian Dürr hielt Friedrich Merz vor, entgegen seiner Wahlversprechen „linke Wirtschaftspolitik“ zu betreiben. Dürr warf Merz „lauter Subventionen, lauter neue Schulden ohne echte wirtschaftspolitische Reformpolitik“ machen zu wollen, vor. Union und SPD würden mit ihrem Finanzpaket die Schuldenbremse de facto abschaffen, so Dürr. Der Liberale wies auf den Vorschlag seiner Fraktion hin, einen Verteidigungsfonds einzurichten, in dem das bestehende Sondervermögen der Bundeswehr von 100 auf 300 Milliarden aufgestockt werde.

Die AfD beschuldigte Friedrich Merz des Wortbruchs und des Wahlbetrugs. Alice Weidel sagte: „Sie werden in die Geschichte eingehen, als den Totengräber der Schuldenbremse.“ Der Antrag zur Grundgesetzänderung sei ein „skrupelloser Angriff auf unsere Verfassung“. Heidi Reichinnek, Vorsitzende der Gruppe Die Linke, beklagte, dass für Aufrüstung Geld da sei, nicht aber für soziale Belange. Sahra Wagenknecht (BSW) bezeichnete die geplante Grundgesetzänderung als „Schurkenstück“.

Anhörung im Haushaltsausschuss

Die unterschiedlichen Auffassungen der Parteien zum Milliarden-Finanzpaket wurden auch in einer Anhörung des Haushaltsausschusses deutlich, in der von den Parteien eingeladene Wirtschaftsexperten und Juristen ihre Einschätzungen zu den geplanten Änderungen der Schuldenbremse im Grundgesetz vorstellten. Prof. Dr. Sina Fontana von der Juristischen Fakultät der Universität Augsburg sieht es als rechtlich legitim an, wenn der alte Bundestag noch gesetzgeberisch tätig wird. Mangels Konstituierung sei der neue Bundestag noch nicht handlungsfähig.

Für Prof. Dr. Veronika Grimm von der Technischen Universität Nürnberg ist die zusätzliche Kreditaufnahme zur Erhöhung der Verteidigungsausgaben dringend geboten. Sie schlägt jedoch vor, den Sockel der Verteidigungsausgaben, die aus dem Kernhaushalt finanziert werden, über die Zeit zu erhöhen. Ein Sondervermögen Infrastruktur sei jedoch nicht in gleicher Art dringlich. Zusätzliche Schulden stünden im Konflikt mit dem europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt. Grimm schlägt vor, Ausgaben für Infrastrukturinvestitionen über den regulären Haushalt zu finanzieren und gegebenenfalls schrittweise zu erhöhen.

Auch für Prof. Dr. Hanno Kube vom Institut für Finanz- und Steuerrecht der Universität Heidelberg würden erforderliche Investitionen zur Ertüchtigung der Bundeswehr durch eine Kreditfinanzierung erleichtert – verfassungsrechtlich sei diese Bereichsausnahme unproblematisch. Auch das Infrastruktur-Sondervermögen von 500 Milliarden Euro könne ins Grundgesetz aufgenommen werden. Es sei jedoch auf eine kluge Ausgestaltung zu achten. Der Deutsche Städte- und Gemeindebund bezeichnet das Sondervermögen als einen bedeutenden Schritt, um den Standort Deutschland zu stärken.

Reiner Braun vom International Peace Bureau in Berlin sieht keine besondere Bedrohung durch Russland und damit keinen Anlass für eine Änderung des Grundgesetzes. Braun wirft der NATO vor, durch die Osterweiterung Russland mit dem Rücken an die „politische Wand“ gedrückt zu haben. Für Prof. Tom Krebs von der Universität Mannheim wäre die von Union und SPD geplante Änderung des Grundgesetzes ein klimapolitischer Rückschritt, der das Erreichen der gesteckten Klimaziele stark gefährden würde.

Die Abgeordneten des Deutschen Bundestags werden am Dienstag, 18. März 2025, in zweiter und dritter Lesung namentlich über das Gesetz abstimmen.

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