Dr. Eva Högl, die Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestags, bei ihrer Rede vor Vertrauenspersonen des Deutschen BundeswehrVerbandes in Berlin. Foto: DBwV/Sarina Flachsmeier

01.10.2022
Von Frank Schauka

„Funktionieren die Toiletten? Sind die Duschen nicht verschimmelt?“ – fragte die Wehrbeauftragte

Es war eine Premiere: Der Fachbereich Beteiligungsrechte des Deutschen BundeswehrVerbandes organisierte eine Fachtagung für Vertrauenspersonen –  und der Einladung von Oberstabsfeldwebel Sascha Altenhofen als Vorsitzender Beteiligungsrechte folgten sowohl die Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, Dr. Eva Högl, als auch der Generalinspekteur der Bundeswehr, General Eberhard Zorn.

Der Titel der DBwV-Veranstaltung – „Fachtagung mit Vertrauenspersonen“ – klang zunächst einmal harmlos. Aber spätestens, als Special Guest Dr. Eva Högl, die Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestags, ans Rednerpult trat, wurde deutlich, dass die von DBwV-Bundesvorstand Oberstabsfeldwebel Sascha Altenhofen organisierte Zusammenkunft ein Treffen für „Wölfe im Schafspelz“ war.

„Was mich besonders nervt, ist das Thema Digitalisierung in der Bundeswehr“, rief Eva Högl. Donnerndes Gelächter von allen Stühlen! „Die Einrichtung eines Tele-Arbeitsplatzes dauert 18 Monate!“, legte Högl nach. „Ich war in der Bundeswehr-Universität in München. Dort studieren die Soldatinnen und Soldaten Luft- und Raumfahrttechnik – und haben kein WLAN in ihren Unterkünften.“ Vereinzeltes Lachen… „Wenn wir sagen, wir wollen die Bundeswehr modern aufstellen, dann muss beim Thema Digitalisierung etwas passieren“, sagte die Wehrbeauftragte, die – eine echte Premiere – zum ersten Mal eine Tagung des Fachbereichs Beteiligungsrechte besuchte, dem Oberstabsfeldwebel Sascha Altenhofen vorsteht.

Noch schlimmer als der Zustand der Technik ist in der Bundeswehr offensichtlich der Zustand der Kasernen, der Toiletten, der Duschen, generell der Infrastruktur. „Der Zustand, in dem unsere Kasernen landauf, landab sind, ist erbärmlich“, berichtete Dr. Högl aus eigener Anschauungserfahrung. „Da rede ich nicht über etwas Luxuriöses, sondern: Funktionieren die Toiletten? Sind die Duschen nicht verschimmelt? Haben wir überhaupt genügend Unterkünfte? Haben wir genügend Büros?“

Die Herstellung eines akzeptablen Zustandes der Infrastruktur der Bundeswehr sei eine „nationale Kraftanstrengung“, grollte die Wehrbeauftragte. Klar, man könne und müsse über Werbekampagnen reden, über Personalgewinnung – die nächste Herkulesaufgabe! –, aber das größte Hindernis für eine gut funktionierende Truppe sei etwas anders: „Die Rahmenbedingungen, unter denen Sie Dienst leisten, schrecken die Leute ab! Das kann so nicht bleiben!“

Das Personal – aus Sicht der Wehrbeauftragten ist dies das nächste Drama, besser: die größte Tragödie der Bundeswehr. „Ich stelle bei meinen Truppenbesuchen fest, dass in vielen Verbänden die Überlastung enorm ist, dass die Belastung fast nicht mehr auszuhalten ist. Ich komme in Verbände, die mir sagen: Wir haben 80 Prozent Personal. Und bei manchen ist das dann auf Grün gestellt! Dann sage ich: Wieso sind 80 Prozent Grün? Da fehlen doch 20 Prozent. 80 Prozent sind für mich Rot", sagte Högl. „Wenn 20 Prozent der Dienstposten nicht besetzt sind, und da habe ich noch nicht einmal Krankheit und Elternzeit mit eingerechnet, ist das auf jeden Fall nicht Grün. Und wenn ich dann noch höre, dass 30 bis 40 Prozent gar nicht einsatzbereit sind, dass sie aus ganz unterschiedlichen Gründen nicht in die Einsätze geschickt werden können, dann haben wir ein ernsthaftes Problem.“ Nickende Stille im Saal.

„Wir müssen ganz intensiv über Personal sprechen, über Personalgewinnung, Personalbindung, Personalentwicklung“, sagte die Wehrbeauftragte. „Da muss die Bundeswehr deutlich besser werden. Es geht gar nicht mal darum, mehr Dienstposten zu schaffen, sondern es geht darum, dass die richtige Person zur richtigen Zeit auf dem richtigen Dienstposten sitzt.“

Das Thema Vereinbarkeit Familie und Dienst sei kein Randthema, mahnte Eva Högl. „Einsatzbereitschaft heißt auch, dass ich weiß, dass zu Hause alles in Ordnung ist. Deswegen ist Vereinbarkeit von Familie und Dienst elementar für Kaltstartfähigkeit, für Einsatzbereitschaft.“

Högls Fazit: „Ich halte Personal für DIE Herausforderung in der nächsten Zeit.“

Und wenn diese drei großen internen Herausforderungen – Personal, Infrastruktur, Digitalisierung – nicht gelöst werden, wie soll dann die Herausforderung gelöst werden, vor der Deutschland, vor der Europa, vor der die freie Welt seit der Zeitenwende steht?

„Der Krieg verändert alles“, sagte Dr. Eva Högl. „Unsere Bundeswehr muss immer einsatzbereit sein; das ist am 24. Februar sehr deutlich geworden, auf eine ganz brutale Art.“

Doch Russlands Angriffskrieg biete – bei allem schrecklichen Leid – auch eine Chance. „Es ist eine Chance, deutlich zu machen, wofür wir die Bundeswehr haben und wofür wir sie brauchen.“ Dieser Krieg sei wie ein „Weckruf“. Nicht nur die Gesellschaft habe dieser erreicht. „Auch bei den politisch Verantwortlichen hat sich ganz viel verändert, wenn es darum geht, jetzt die Bundeswehr modern, kampfesbereit und voll einsatzfähig auszustatten“, sagte Högl.

„Das ist genau das, worum es geht. Es geht vor allem darum, dass unsere Bundeswehr das Vertrauen aller politisch Verantwortlichen hat.“ Denn diese seien jetzt in der Situation, dass sie die Bundeswehr neu aufstellen müssen. „Wir haben jetzt die einmalige Chance, das zu machen", sagte die Wehrbeauftragte. „Das muss in dieser Legislaturperiode geleistet werden. Jetzt gibt es eine breite parlamentarische Mehrheit. Jetzt gibt es ein Verständnis dafür, sowohl Geld zur Verfügung zu stellen als auch Prozesse zu verändern.“ Sie sei „etwas ungeduldig“, sagte Dr. Eva Högl; denn sie wisse, wie schnell vier Jahre vorbei sind. „Das erste Jahr ist jetzt schon fast rum. Das zweite Jahr ist unsere Chance, signifikante Veränderungen zu gestalten, im Deutschen Bundestag und im Ministerium. Im dritten Jahr kann man vielleicht schon an der einen oder anderen Stelle sagen, es hat sich etwas verändert, und kann gucken, wie es wirkt.“ Im vierten Jahr aber richte sich die volle Konzentration der politischen Akteure schon wieder auf die nächste Wahl. „Ich werbe jetzt an allen Stellen, diese Zeit zu nutzen und nicht zu vertrödeln“, sagte die Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, Dr. Eva Högl – und machte deutlich, warum die Bundeswehr auch „Parlamentsarmee“ heißt.

Als Eva Högl – nach ihrer Rede und der sich anschließenden lebhaften Diskussion im Kreise der Vertrauenspersonen – den Tagungsort, ein Hotel in Berlin, wieder verließ, um den nächsten Termin rechtzeitig zu erreichen, sah Oberstabsfeldwebel Sascha Altenhofen nicht unzufrieden aus, im Gegenteil.

Und dann kam der Generalinspekteur der Bundeswehr, General Eberhard Zorn, und trat ans Rednerpult. Er referierte über die Weltlage, über Russland und die Ukraine, über Europa und die NATO, über Deutschland und die Bundeswehr. Die Truppe habe ein gravierendes Munitionsbeschaffungsproblem, sagte der General. Es bestehe ein Nachholbedarf von 20 Milliarden Euro, um „unsere Munitionsbestände so hochzuziehen, dass wir die NATO-Forderungen in 2031 erfüllen“. Aber: „Im Jahr ausgegeben kriegen wir im Jahr maximal eine Milliarde – weil wir keine Industrie haben, die das produzieren kann.“ Ganz Europa habe dieses Problem.

Generalinspekteur Zorn äußerte sich auch zu der „kritischen Bestandsaufnahme“ der Bundeswehr, die – nach ursprünglicher Planung – bereits Ende Mai 2022 erstellt sein sollte, die aber – auch wegen des Ukrainekrieges – noch immer auf sich warten lässt.

Nun aber steht die „kritische Bestandsaufnahme“, die die Ampel-Fraktionen am 24. November 2021 in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart hatten, offenbar nur noch wenige Wochen vor dem Abschluss. „Es wird im November den Schlussbericht geben“, sagte Generalinspekteur Eberhard Zorn bei einer DBwV-Tagung des Fachbereichs Beteiligungsrechte am 28. September 2022 in Berlin. Im Anschluss daran müsse rasch „eine Entscheidung zu bestimmten Dingen her, damit wir diese in den Jahren ‘23 und ‘24 beginnen umzusetzen“, sagte Vier-Sterne-General Zorn. Denn es gebe „kein Erkenntnisproblem“. Sondern: „Wir müssen jetzt endlich ran an das Thema.“

Wichtige Strukturveränderungen wurden – als direkte Reaktion auf den die europäische Friedensordnung erschütternden russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine – dennoch bereits auf den Weg gebracht, allem voran die Einrichtung des Territorialen Führungskommandos, das unter der Leitung von Generalleutnant Carsten Breuer am 1. Oktober 2022 die Arbeit aufgenommen hat.

Ähnliches gilt für die bereits begonnene Umgliederung des Heeres, die darauf abzielt, dass „enger als bisher zusammengeführt wird, was im Ernstfall der Landes- und Bündnisverteidigung zusammengehört“, wie es in dem gemeinsamen Tagesbefehl von Verteidigungsministerin Lambrecht und Generalinspekteur Zorn vom 9. Juli 2022 heißt. Dieser Tagesbefehl hält zudem als „erstes Zwischenziel eine einsatzbereite und voll ausgestattete Division bis 2025“ fest. „Hierzu werden die Strukturen auf Ebene der Bataillone, Brigaden und Divisionen angepasst“, heißt es in dem Papier. „Wir erhöhen so insbesondere unsere Kaltstart- und Verlegefähigkeit.“

Mit vier jeweils zweitägigen Regionalkonferenzen, die jetzt im Oktober in Bonn, München, Berlin und Hamburg stattfinden, geht die kritische Bestandsaufnahme der Bundeswehr auf die Zielgerade. Die vier Regionalkonferenzen sind als „Phase der Partizipation“ geplant und insofern die Vorstufe des Schlussberichtes. Bei diesen Konferenzen könne „die Fachexpertise aus allen Bereichen der Bundeswehr in die Projektarbeit einfließen“, die von einem „Projektteam auf ministerieller Ebene“ vorbereitet wurde.

Generalinspekteur Zorn rief bei der DBwV-Fachtagung in Berlin alle Soldatinnen und Soldaten eindringlich und nachdrücklich dazu auf, die Beteiligungsmöglichkeiten bei den Regionalkonferenzen im Oktober so aktiv wie möglich wahrzunehmen. „Die Chance ist jetzt. Die Bereitschaft der Leitung ist da“, sagte Generalinspekteur Zorn. „Diese Chance sollten wir nicht vergehen lassen.“

Sehen Sie hier die Statements von der Wehrbeauftragten Dr. Eva Högl und dem Sprecher der Vertrauenspersonenversammlung, Stabsfeldwebel Frank Eggen.

Mit Rat und Hilfe stets an Ihrer Seite!

Nehmen Sie Kontakt zu uns auf.

Alle Ansprechpartner im Überblick