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27 Kilometer für gefallene NATO-Soldatinnen und Soldaten
Einsatz, Trauma, Heimkehr – drei Stimmen, die unter die Haut gehen
Ein Soldat mit G3 und Zielfernrohr sichert die Umgebung ab (Archivfoto vom 17. Mai 2010). Foto: Bundeswehr / PIZ Kunduz
Afghanistan“ ist kein Erfolgsmuster für internationale Interventionen in Krisenregionen geworden, im Gegenteil. Als ich vor Jahren, am Beginn eines neuen deutschen Militäreinsatzes, diesmal in Mali, mit einem Experten im Auswärtigen Amt die Lage der beiden Länder verglich, wünschte sich der Diplomat, dass jetzt bitte nicht schon wieder „das ganze internationale Chaos über einem weiteren Land ausgegossen“ werde. Es blieb ein frommer Wunsch. Das bekannte Chaos-Muster prägt jeden neuen Einsatz, aber es garantiert eben noch keinen Erfolg.
Mehr als 50 Nationen waren in Afghanistan mit Soldatinnen und Soldaten präsent, 80 Staaten leisteten zivile Aufbauhilfe, unzählige Organisationen, Vereine und Initiativen aus aller Welt brachten guten Willen und gute Werke in dieses entlegene, zerklüftete zentralasiatische Land. Die zwanzig Jahre der von den USA initiierten Intervention haben Billionen Dollar gekostet. Auf dem Höhepunkt mit über 100.000 zeitgleich eingesetzten amerikanischen Soldaten waren es 100 Milliarden Dollar in einem einzigen Jahr allein fürs US-Militär. Es gab Tausende Opfer unter den Internationalen zu beklagen und Zigtausende unter den Einheimischen.
Am Ende steht kein Frieden, sondern ein geordneter Rückzug, an keine Bedingungen mehr geknüpft, allein einem US-Abkommen mit den Taliban und den Erwartungen der amerikanischen Öffentlichkeit geschuldet. Von den 2001 und danach formulierten Interventionszielen ist nichts geblieben. Wiederaufbau und Entwicklung, Nation Building, Demokratie und gute Regierungsführung: Alles steht zur Disposition, gewissermaßen unter Bürgerkriegsvorbehalt. Und dass Afghanistan „nie wieder“ eine Ausgangsbasis bietet für Terrorplanungen gegen den Westen – wer wollte das jetzt noch sicherstellen oder kontrollieren?
Die Talibanführer pflegen weiterhin Kontakte zu Al-Qaida und anderen Terrorgruppen, auch nach der Liquidation Bin Ladens in Pakistan. Und mit der Al-Qaida-Abspaltung „Islamischer Staat“ sind jetzt auch in Afghanistan djihadistische Kräfte präsent, die ausdrücklich eine Doppelstrategie verfolgen: einerseits territoriale Eroberungen zur Ausübung totalitärer Herrschaft über die betroffenen Bevölkerungsteile und andererseits zugleich Attentate weltweit zur Demonstration ihrer Stärke und zur Verbreitung von Angst und Schrecken, nicht zuletzt bei uns. Die Gefahren des Djihadismus sind seit 2001 nicht kleiner geworden, sondern eher gewachsen. Dabei sind die Hauptleidtragenden Länder wie Mali, Niger, Burkina Faso, Tschad, Mauretanien, Nigeria, Somalia, Mozambique, Indonesien, Pakistan, Ägypten oder Libyen.
Inzwischen scheint die ganze islamische Welt vom djihadistischen Furor infiziert zu sein. Binnen weniger Wochen eroberte der IS unter Führung des Predigers Abu Bakr al-Baghdadi 2014 weite Teile Syriens und des Iraks, darunter die Millionenstadt Mossul. Die amerikanischen Truppen waren 2011 vollständig aus dem seit 2003 besetzten Irak abgezogen, nachdem Präsident Barack Obama die Befreiung vom Regime des Diktators Saddam Hussein, den Aufbau eines „demokratischen“ Staatswesens und die Ausbildung einer neuen irakischen Armee für abgeschlossen erklärt hatte. Zur Rückeroberung der „Kalifats“-Gebiete brauchten internationales Militär und einheimische Kräfte drei bittere Jahre, auch unterstützt von Ausbildern und Aufklärern der Bundeswehr.
Der „Kampf gegen den Terror“ ist alles andere als gewonnen. Er ist zu einer Dauerherausforderung des Westens und der ganzen internationalen Gemeinschaft geworden. Wie man den „War on Terror“ gewinnt (ohne dabei brutale Folterregime wie das von Assad in Syrien zu unterstützen), lehrt bis heute kein Masterplan. Deshalb ist es umso wichtiger, aus kleinteiligen Erfolgen und Misserfolgen der zahlreichen bisherigen Antiterror-Missionen zu lernen. Die lange geforderte „Evaluation“ des deutschen und des Nato-Engagements in Afghanistan soll nun, nach dem Abzug im Sommer, tatsächlich in Angriff genommen werden. So hat es Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer in einem Tagesbefehl für die Bundeswehr angekündigt.
Nach der 2014 zu Ende gegangenen wechselvollen ISAF-Mission gab es bundeswehrintern schon einmal eine militärische „Nachbetrachtung“, die kritisch auf Ausbildung, Personalstruktur und Ausrüstung geblickt hatte. Sie ist als geheim eingestuft und nicht einmal dem Verteidigungsausschuss des Deutschen Bundestages zur Verfügung gestellt worden.
In einem Workshop, zu dem 2016 ich als Wehrbeauftragter, der BundeswehrVerband, der Reservistenverband und das Aspen-Institut in Berlin 70 militärische und zivile Afghanistan-Experten eingeladen hatten, stand am Ende eine Frage über allen anderen Fragen: Wer führt? Und was bedeutet eigentlich „Führen“ im multinationalen zivil-militärischen Zusammenwirken?
Allein auf der Nato-Schiene gab es den Nordatlantikrat, den holländischen oder dänischen Generalsekretär, den amerikanischen Nato-Oberbefehlshaber, den zuständigen deutschen Nato-Befehlshaber in Brunssum, den amerikanischen COMISAF in Kabul und dann die Nato-Regionalkommandeure der unterschiedlichen Lead Nations. Der COMISAF unterstand aber gleichzeitig in seiner Eigenschaft als Kommandeur der US-geführten „Operation Enduring Freedom (OEF)“ dem Centcom-Befehlshaber in Tampa/Florida (und der wiederum dem amerikanischen Präsidenten).
Welche Rolle spielen jeweils die vielen unterschiedlichen nationalen Regierungen mit ihren politischen Schwerpunkten, internationalen Zusagen und nationalen Einsatzrestriktionen? Wer organisiert wo welche Projekte? Wer bildet wirklch Polizei, Justiz, Verwaltung und Militär aus? Mit welchem Personal- und Mitteleinsatz, mit welchem Ergebnis? Ist das Kontingentsystem mit dem ständigen Wechsel aller internationalen Bezugspersonen, vom Kommandeur bis zum Ausbilder, schon der Weisheit letzter Schluss, oder bräuchte es nicht auch Schlüsselpersonal auf langjährigen Auslandsdienstposten?
Alles kann, nichts muss – so gab es Dutzende wohlerwogener Einzelstrategien für die Wohlfahrt Afghanistans: komplementäre, konkurrierende, kontraproduktive. Wer hätte das alles koordinieren sollen? Die zerstrittene afghanische Regierung? Der US-Botschafter in Kabul? Selbst die Politiken unterschiedlicher US-Agencies in Afghanistan waren nicht immer aus einem Guss. Und sie änderten sich ständig, oft mit großem rhetorischem Bombast.
Selten waren dagegen die Momente, in denen die Ratlosigkeit selbst zum Thema wurde, wie in dem Bild, das der US-General Stanley McChrystal als COMISAF einmal benutzte, als er davon sprach, dass ganze amerikanische Kampfbrigaden ohne einen einzigen Dolmetscher wie „mit dem U-Boot durch Afghanistan“ gefahren seien: taub, blind und stumm, die ganze Zeit wie unter Wasser.
Es gab ja nicht nur den Westen. Pakistan und der Iran, Russland und China, Indien und auch die Türkei spielten und spielen eigene Rollen. Dazu kommen im klassischen afghanischen Konfliktszenario unterschiedliche Volksgruppen, Konfessionen, Stämme, Clans und Warlords, die sich nicht immer in Liebe und Friedfertigkeit zugetan sind. Dazu gibt es eine starke Drogenökonomie, die ohne Strukturen der organisierten Kriminalität, Waffen und das Beherrschen von Schmuggelrouten nicht funktionsfähig wäre. Dazu alle denkbaren Zeitzonen des Lebens zwischen Mittelalter und Moderne.
Dies zusammengenommen bräuchte es, sarkastisch formuliert, nicht zwingend noch zusätzliche Gewaltakteure wie Taliban, Al-Qaida und den IS, um den Eindruck der Undurchschaubarkeit und Unbeherrschbarkeit in dieser Krisenregion zu vervollständigen. Das „internationale Chaos“, vor dem man sich im Auswärtigen Amt fürchtet, hat es jedenfalls nicht vermocht, in zwanzig Jahren Afghanistan-Engagement eine friedliche, halbwegs freiheitliche, stabile Ordnung aufzubauen.
An Deutschland und der Bundeswehr lag es nicht. Viele haben viel investiert, Militär hat für den Aufbau Zeit gesichert, es reichte nicht, aber manches bleibt. Gesundheitswesen, Schulen und Hochschulen, Straßen und Flughäfen stehen auf der Habenseite. Die Bevölkerung ist allein in den letzten zehn Jahren um ein Drittel gewachsen, das Land ist extrem jung. Vieles wäre möglich.
Auch wenn am Hindukusch nun bald nicht mehr „unsere Sicherheit verteidigt“ wird (wie Verteidigungsminister Peter Struck einmal mit Blick auf den Terrorexport von dort gesagt hat), sollten wir uns weiter für Afghanistan interessieren. Aus Solidarität mit den USA ging die Bundeswehr damals in diese lange Mission. Aber aus eigenem Verantwortungsbewusstsein sollten wir jetzt auf andere Weise helfen, dass nicht ein weiterer kompletter „Failed State“ entsteht, nicht weitere Millionen aus ihrem Land fliehen müssen, der Djihadismus keine billigen Triumphe feiert. Wenn von all den Versprechungen und Strategien des Westens nichts übrig bliebe als bloß ein vages Vertrauen auf das Prinzip Hoffnung, wäre mehr verloren als nur ein Land.
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