Schwertransport einer Panzerhaubitze 2000 mit niederländischem Kennzeichen auf der A1. Bei dem gemeinsamem Projekt mit Holland hat Deutschland der Ukraine bisher 14 Panzerhaubitzen 2000 geliefert (Stand: 24. März 2023). Foto: picture alliance/dpa | Thomas Frey

Schwertransport einer Panzerhaubitze 2000 mit niederländischem Kennzeichen auf der A1. Bei dem gemeinsamem Projekt mit Holland hat Deutschland der Ukraine bisher 14 Panzerhaubitzen 2000 geliefert (Stand: 24. März 2023). Foto: picture alliance/dpa | Thomas Frey

25.03.2023

Pro und Contra: Sollte Deutschland mehr Waffen an die Ukraine liefern?

Ein Thema, zwei Meinungen: Sollte Deutschland weitere Waffen an die Ukraine liefern? Für Oberst a.D. Roderich Kiesewetter (CDU) sind Kontinuität und Qualität der Waffenlieferungen entscheidend, damit die Ukraine den Nachteil auf dem Schlachtfeld ausgleichen und unsere Lebensordnung bestehen kann.

Johannes Varwick spricht sich gegen weitere Waffenlieferungen aus. Die Lieferung von deutschen Kampfpanzern ist seiner Meinung nach ein weiterer Tabubruch in dem von Russland verschuldeten Angriffskrieg gegen die Ukraine.
 

Pro: „Keine roten Linien mehr bei Waffenlieferungen“

Von Roderich Kiesewetter

Deutschland hat das vergangene Jahr verschlafen und nicht, wie NATO-Generalsekretär Stoltenberg fordert, die Rüstungsproduktion und Beschaffung bereits im Sommer beschleunigt. Die Industrie, der Deutsche Bundestag und die Ukraine warteten seit April 2022 auf die Entscheidung für Schützen- und Kampfpanzer. Das Zögern des Kanzleramts hat der Ukraine Zeit und Menschenleben gekostet und ihre Ausgangsposition auf dem furchtbaren Schlachtfeld verschlechtert.

Denn Russland hat Herbst und Winter genutzt, sich einzugraben, seine Truppen neu zu organisieren, zu mobilisieren und auszubilden sowie den Nachschub an Munition und Waffen in hoher Menge sicherzustellen. Es hat auf Kriegswirtschaft umgestellt und zudem neue Lieferketten für Technologie und Rüstungsgüter gefunden. Die Ukraine kann durch den russischen Dauerbeschuss auf kritische Infrastruktur und mangels Waffen- und Munitionslieferungen des Westens ihre materiellen Bestände nicht auffüllen und muss deshalb diesen eklatanten Nachteil auf dem Schlachtfeld zunächst ausgleichen.

Die jetzt zugesagten Lieferungen westlicher Panzer dienen deshalb zunächst der Stabilisierung der Ukraine. Dazu gehört auch umfangreiche Munitionsbeschaffung! Westliche Modelle schützen die Soldaten wesentlich besser und sind zudem technisch den sowjetischen Modellen weit überlegen. Raumgreifende Operationen könnten so aber erst im Frühsommer wieder realistisch sein.

Damit die Ukraine gewinnen kann, müssen Lieferungen von Munition und Waffen in Schnelligkeit, Qualität und Anzahl unbedingt erheblich steigen, damit die Ukraine im Gefecht der verbundenen Waffen ihr Staatsgebiet befreien kann. Die Freigabe der Leopard-Lieferungen darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass bislang noch keine zugesagten Kampfpanzer in der Ukraine sind und der Krieg noch lange dauern wird. Wir sollten bereits jetzt strategisch vorausschauend planen, um eine kontinuierliche militärische Unterstützung der Ukraine sicherzustellen.

Wir haben viel zu lange nicht über die logistischen Folgen von Waffenlieferungen nachgedacht und die industriepolitische Vorbereitungszeit völlig vernachlässigt. Dazu gehören auch Munition, Treibstoff und Ersatzteile. Viele Waffen werden in einem Jahr verbraucht sein. Gerade deshalb sollten wir nichts ausschließen, sondern uns heute schon über künftige Waffenlieferungen Gedanken machen und Möglichkeiten ausloten. Das alles muss auch unserer Bevölkerung drastisch vor Augen geführt werden, es geht um unsere Zukunft in Freiheit und Sicherheit!

Die anstehenden Leopard-Lieferungen allein erhöhen Moral und Einsatzwert der Ukrainer, aber sie sind für sich genommen nicht kriegsentscheidend. Entscheidend sind die Kontinuität und der erfolgreiche Einsatz im Verbund. Dazu gehören kurzfristig auch unbedingt weitreichende Munition und Kampfflugzeuge wie F-16 oder MiG 29. Da Polen bereits die Lieferung von MiG 29 angekündigt hat und die Ausbildung ukrainischer F-16-Piloten wohl bereits läuft, sind diese Typen wesentlich effektiver und sinnvoller als die schwer versorgbaren sowie aufwendigen deutschen Modelle.

Ausschließen sollten wir allerdings grundsätzlich nichts mehr! Kampfjets, Kampfhubschrauber und weitreichende Munition sind gerade bei Offensivoperationen wichtig, damit die Ukraine frühzeitig und wirksam Logistik wie Bahnlinien, Verladestationen, Treibstofflager, Munitionsdepots und militärische Anlagen Russlands in der Ukraine bekämpfen kann.

Deshalb sollten wir keine roten Linien mehr ziehen, was bestimmte Waffensysteme anbetrifft, ausgeschlossen selbstverständlich geächtete Waffen. Entscheidend sind die Effektivität, die Kontinuität der Lieferung und der Einsatz im Gefecht der verbundenen Waffen. Wir sollten alles liefern, was die NATO auch selbst einsetzen würde und was der Ukraine hilft, zu „gewinnen“, wenn man bei der Zerstörung und den Kriegsverbrechen Russlands von gewinnen sprechen kann. Die Ukraine kann eine Verhandlungsposition der Stärke nur militärisch auf dem Schlachtfeld erreichen. Deshalb sind Kontinuität und Qualität westlicher Waffenlieferungen so bedeutsam.
 

Contra: „Waffenlieferungen sind Ritt auf der Rasierklinge“

Von Johannes Varwick

Die westliche Debatte um den Krieg in der Ukraine dreht sich eindimensional um immer mehr Waffenlieferungen. Bei aller notwendigen Unterstützung der Ukraine bei der legitimen Wahrnehmung ihres Selbstverteidigungsrechtes: Westliche Waffenlieferungen sind ein Ritt auf der Rasierklinge und die Gratwanderung zwischen militärischer Unterstützung der Ukraine und dem (bisher) erklärten Willen zum Nichteintritt in den Krieg wird damit schrittweise schwieriger. Was monatelang als unverantwortliche Eskalation galt, wird inzwischen als sinnvolle Unterstützung der Ukraine verkauft.

Die Lieferung von deutschen Kampfpanzern ist insofern ein weiterer Tabubruch in dem von Russland verschuldeten Angriffskrieg gegen die Ukraine – dem vermutlich weitere folgen werden. Kampfflugzeuge, Kampfdrohnen oder Kriegsschiffe – so jedenfalls die schon lange geäußerte Forderung der Ukraine – sollten ebenfalls nicht mehr tabuisiert werden.

Der Resonanzbogen für solche Forderungen in der deutschen und internationalen Debatte nimmt zu, begleitet von einer immer schriller werdenden Rhetorik. Bundestagsabgeordnete der Grünen tragen Leopardenpullover, selbst als seriös geltende Sicherheitsexperten sprechen davon, man müsse auch bereit sein, zu eskalieren, sonst gehe dieser Krieg nie zu Ende. Es sei falsch, in eine „Eskalationsphobie zu verfallen“. In dieser Logik ist es dann wohl nur eine Frage der Zeit, bis auch Forderungen nach einer Flugverbotszone oder womöglich auch der Einsatz von westlichen Bodentruppen ins Spiel gebracht werden. Denn genau das wäre die Konsequenz, der Ukraine alles an Unterstützung zu geben, was möglich ist: Whatever it takes!

Über das politische Ziel erfährt man hingegen wenig. Will man wirklich die Ukraine ertüchtigen, ihr Territorium inklusive der Krim zurückzuerobern? Wer etwa die Rede des ukrainischen Präsidenten Selenskyj im amerikanischen Kongress oder auch in Brüssel gehört hat, der kann keinen Zweifel daran haben, dass es der Ukraine nicht um einen tragfähigen Kompromiss, sondern um den Sieg gegen Russland geht.

In ähnlicher Weise äußert sich der einflussreiche Präsidentenberater Podoljak, der gar von einem „falschen Kriegsende“ spricht. Die Ukraine werde „bis zum Ende kämpfen“. Das mag aus ukrainischer Perspektive sogar verständlich sein, völkerrechtlich zulässig ist es in gewisser Hinsicht auch. Verantwortliche Politik überlegt aber, zu welchem Preis das möglich wäre.

So verständlich die Unterstützung der Ukraine ist, so unverantwortlich ist es, der Ukraine bedingungslos in ihrer „Sieges-Rhetorik“ zu folgen und das mit zunehmenden und unkonditionierten Waffenlieferungen zu unterstützen. Denn dies befeuert entweder einen jahrelangen und verlustreichen Abnutzungskrieg oder führt zu einer unbeherrschbaren Eskalation, falls Russland tatsächlich damit massiv unter Druck geraten würde.

Über diesem Krieg schwebt mithin das Damoklesschwert einer nuklearen Eskalation. Mehr Energie in diplomatische Verhandlungen und Interessensausgleich zu legen, wäre die bessere Strategie. Genau darum geht es: Nüchtern zu überlegen, wie eine Verhandlungslösung aussehen könnte, dafür politisches Kapital investieren und nicht ein „Kämpfen bis zum letzten Ukrainer“ mit Waffenlieferungen zu befeuern.

Die Debatte sollte also unter strategischen Gesichtspunkten geführt werden und nüchtern Chancen sowie Risiken abwägen. Wenn mithin am Ende eines langen oder weiter eskalierten Krieges das gleiche Ergebnis herauskommt, das auch heute bereits möglich wäre, dann ergibt es keinen Sinn, immer weiterzukämpfen mit Zehntausenden Toten und traumatisierten Menschen – und erheblichem weiteren Eskalationspotenzial. Die Kriegsdebatte geht insofern in eine falsche Richtung und die Politik sollte wieder die Diskurshoheit beanspruchen.

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