Was in Berlin noch an den Krieg erinnert
Noch heute, 80 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges, lassen sich in Berlin Spuren finden, die an die Zeit des Nationalsozialismus erinnern. Mal prägen sie das Stadtbild offensichtlich als Mahnmal für die schrecklichen Verbrechen der Nazis an der Menschheit. Mal offenbaren sich diese Spuren erst auf den zweiten Blick oder sind gar tief verborgen unter der Erde.
Unsere Reise in die Vergangenheit beginnt unweit der Bundesgeschäftsstelle des Deutschen BundeswehrVerbandes. Dort befinden sich Überreste des alten Anhalter Bahnhofs – dem einstigen „Tor zur Welt“. Er war ein bedeutender Fernbahnhof und der größte Umschlagplatz für Waren in ganz Berlin. Von 1876 bis 1880 entstand das imposante Bahnhofsgebäude von 170 Metern Länge und 60 Metern Breite.
Schon die deutschen Kaiser empfingen ihre Staatsgäste am „Anhalter“. Später nutzten auch die Nazis diesen Bahnhof, jedoch für Propagandazwecke, wenn Diktator Hitler von Reisen zurückkehrte – und für die Deportation der Berliner Juden. 1945 wurde der Anhalter Bahnhof bei einem Bombenangriff schwer beschädigt und wurde schließlich 1952 stillgelegt. Nach dem Abbruch des Bahnhofsgebäudes blieb nach Anwohnerprotesten zumindest ein Fragment des einstigen, prachtvollen Eingangsbereichs erhalten und erinnert bis heute an die Schrecken des Krieges. Im Technikmuseum in der Nähe sind noch die restaurierten Lokschuppen des Betriebswerks des Anhalter Bahnhofs zu besichtigen.
Eine Kirche ruft zum Erinnern auf
Mittlerweile international bekanntes Wahrzeichen der Stadt und Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg gleichermaßen ist die Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche auf dem Breitscheidplatz. 1943 wurde sie bei einem schweren Luftangriff auf Berlin zu großen Teilen zerstört. Der alte Turm blieb als Mahnmal bestehen und wurde in den 60er-Jahren durch ein neues Kirchengebäude-Ensemble ergänzt. Es ist ein Symbol der deutschen Erinnerungskultur geworden. Ein Schritt in die Zukunft, ohne das Zeugnis menschengemachter Zerstörung hinter sich zu lassen.
Görings Reichsluftfahrtministerium
Das heutige Bundesministerium für Finanzen, ein massiger Betonbau aus dem Jahr 1936, war einst das Reichsluftfahrtministerium und ein Propagandaprojekt der Nationalsozialisten. Zu dieser Zeit fand unter Hermann Göring die Reorganisation der Luftwaffe und einhergehend der Beginn der Kriegsvorbereitung statt. Diesen Krieg überstand das Gebäude überraschend unversehrt und diente nach Kriegsende bis 1948 der sowjetischen Militäradministration in der DDR. Am 7. Oktober 1949 wurde in dem großen Festsaal die Deutsche Demokratische Republik gegründet, bis zur friedlichen Revolution diente es dem Land als Haus der Ministerien. Danach zog die Treuhandanstalt ein. Ein RAF-Heckenschütze ermordete 1991 deren damaligen Präsidenten Detlev Rohwedder. Heute trägt das zwischen 1996 und 2000 umfassend sanierte und modernisierte Gebäude den Namen „Detlev-Rohwedder-Haus“. An die Gigantomanie der Nazis erinnern heute unter anderem die unendlich erscheinenden Flure, die die rund 2000 Büros verbinden.
Geschichtsträchtige Berge
Nicht offensichtlich zu verknüpfen mit der deutschen Nachkriegszeit, aber dafür umso markanter für das Berliner Stadtbild und beliebte Orte für einen Spaziergang im Grünen: der Teufelsberg im Grunewald sowie der große und kleine Bunkerberg im Volkspark Friedrichshain. Sie sind Trümmerberge.
Der Teufelsberg erreicht eine Höhe von 120 Metern. In ihm schlummert etwa ein Drittel aller zerstörten Gebäude in Berlin. Fundament des Bergs ist der Rohbau der Wehrtechnischen Fakultät, der als „kriegsunwichtiger Bau“ nie fertiggestellt wurde. Nach Kriegsende baute die amerikanische Besatzungsmacht eine Radarstation auf den Teufelsberg und hörte dort zwischen 1972 und 1992 Funk- und Telefongespräche aus der DDR ab. Anschließend entstand eine alternative Kreativ-Szene auf dem leerstehenden Gelände, die nach Scheitern des Versuchs der kommerziellen Nutzung bis heute weiter besteht. Der Teufelsberg ist nun Ankerpunkt der Street-Art-Szene und wichtiges Denkmal.
Die Bunkerberge in Friedrichshain sind mit 78 Metern und 67 Metern nicht ganz so groß wie der Teufelsberg, deren Geschichte ist aber genauso spannend. Es begann 1941 mit dem Bau von einem Flakturmpaar im Friedrichshain. Berlin wurde immer häufiger von britischen Bombern angegriffen, weshalb der Ausbau von Fliegerabwehr für die Nationalsozialisten unabdingbar wurde. Die Flaktürme waren ausgestattet mit einer Radaranlage zur Ortung der Bomber und 16 Flakgeschützen. Zudem waren sie unterirdisch verbunden und dienten auch als Luftschutzbunker, konzipiert für 15?000 Menschen. Nach Ende des Krieges, auf Befehl der Alliierten, wurden diese Flakbunker 1946 gesprengt. Der kleine Flakturm wurde dabei komplett zerstört, der größere Turm brach jedoch nur in zwei Stücke. Rund um das kaputte Flakturmpaar wurden anschließend die Trümmer der Berliner Stadtmitte aufgeschüttet und so wurde aus dem kleinen Flakbunker der kleine Bunkerberg und aus dem großen Flakbunker der große Bunkerberg im Volkspark Friedrichshain.
Boros Bananenbunker
Ungewöhnlich ist auch die Geschichte des ehemaligen „Reichsbahnbunker Friedrichstraße“, der sich nahe des Friedrichstadtpalastes in die Häusermenge der Berliner Innenstadt einreiht. Erbaut wird dieser Hochbunker 1942 zum Schutz der Zivilbevölkerung und Bahnreisender gegen Luftangriffe. Es ist ein quadratischer und komplett symmetrischer Stahlbetonbau und wurde für etwa 2000 Schutzsuchende konzipiert. Nach der Kapitulation Deutschlands besetzen Anfang Mai 1945 die sowjetischen Streitkräfte den Bunker und machen diesen zu einem Gefängnis. Etwa ab 1950 wird der Bunker auf verschiedenste Weisen, meist nur kurzfristig, genutzt. Unter anderem ist er zeitweilig ein Lager für importiere Südfrüchte des „Volkseigenen Betriebs Obst Gemüse Speisekartoffeln“, weswegen der Bunker auch „Bananenbunker“ genannt wird. Nach der Wende zieht der Technoclub „Bunker“ ein, der zu einer der wichtigsten Partylocations der Szene wird. Der Kunstsammler Christian Boros kauft schließlich 2003 das Gebäude, um darin seine Sammlung zeitgenössischer Kunst auszustellen. Diese ist im Rahmen von Führungen regelmäßig auch für die Öffentlichkeit zugänglich – Einblicke in die Bunkerarchitektur inklusive.
Graffiti im Reichstag
Im Bundestagsgebäude befinden sich Relikte, von deren Existenz ein halbes Jahrhundert lang kaum jemand wusste. Nach der Einnahme des Reichstags Anfang Mai 1945 hatten sich Soldaten der Roten Armee mit verbranntem Holz und bunter Kreide auf den Wänden verewigt. Doch der Reichstag ist eine Ruine. Notdürftig werden die Wände und damit die kyrillischen Schriftzeichen verdeckt und geraten in Vergessenheit. Erst 1995, als unter Architekt Norman Forster das Reichstagsgebäude renoviert wird, werden die Graffitis der Soldaten wiederentdeckt. Die über 200 Inschriften werden gereinigt und konserviert. Noch heute kann man dieses historische Zeugnis bei geführten Touren durch den Reichstag bestaunen.
Historische Spuren unter den Straßen
Unter der Erde, vor den Augen der Berliner und den Besuchern der Stadt versteckt, finden sich bis heute zahlreiche unterirdische Gänge und Bunker. In den Tunneln unter der Dresdner Straße beispielsweise sind nicht nur Spuren der Nationalsozialisten erkennbar, sondern auch Spuren der ehemaligen Teilung Berlins. Bunker, Tunnelabschnitte, umfunktioniert zu Luftschutzräumen, und Reste der Grenzschutzanlagen nahe des unterirdischen Mauerabschnitts führen die wechselreiche Geschichte Deutschlands an einem Ort zusammen. Ebenso interessant ist der Bunkerkomplex rund um den U-Bahnhof Gesundbrunnen. Bereits ab 1935 entstanden einige große Bunkeranlagen und Schutzräume, die sich über mehrere Etagen erstrecken.