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27.08.2025
DBwV

Wüstner: Wehrdienstgesetz ist eine fahrlässige Wette auf die Zukunft

Der Bundesvorsitzende Oberst André Wüstner fordert eine breite Diskussion im Parlament und in der Gesellschaft zum „neuen Wehrdienst“: Das Bundeskabinett hat den Gesetzentwurf für das Wehrdienst-Modernisierungsgesetz heute, Mittwoch, bei seiner Sitzung im Verteidigungsministerium beschlossen. 

Wüstner betont: „Nach meiner Bewertung ist vor dem Hintergrund der Bedrohungslage das reine Setzen auf Freiwilligkeit eine fahrlässige Wette auf die Zukunft. Dies insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Bundeswehr schnellstmöglich von 170.000 auf mindestens 260.000 Zeit- und Berufssoldaten wachsen soll.“ Wüstner appelliert, dass über den Gesetzentwurf im Parlament und in der Gesellschaft breit diskutiert werden müsse.

Der Bundesvorsitzende hat große Zweifel, dass Freiwilligkeit, wie im Gesetz vorgesehen, reicht, um die NATO-Zielvorgaben für die Bundeswehr bis 2035 zu erreichen: „Ich kann mir aktuell nicht vorstellen, dass die Bundeswehr rein auf freiwilliger Basis die personelle Zielgröße erreicht, die aus den zugesagten NATO-Planungszielen abgeleitet ist. Wladimir Putin wird sich jedenfalls sicher nicht von angeblichen Grenzen der Machbarkeit beeindrucken lassen, Donald Trump mit Blick auf mögliche Sicherheitsgarantien wahrscheinlich auch nicht.“

Deshalb fordert Oberst André Wüstner mehr Entschlossenheit von der Politik. „Wer – wie der Bundeskanzler formuliert hat – die Bundeswehr zur stärksten konventionellen Armee Europas machen will, braucht Mut. Mut, um Weichen zu stellen, die Unmögliches möglich machen. Eine schrittweise eingeführte neue Art der Wehrpflicht böte zusätzlich die Chance, die Bundeswehr wieder breiter in der Gesellschaft zu verankern.“

Wehrhaftigkeit gesellschaftlich breiter verankern

Man müsse Wehrhaftigkeit wieder breiter gesellschaftlich verankern. „Schließlich bietet auch der Ersatzdienst wieder Chancen, uns insgesamt resilienter zu machen. Beides kann unterstützen, dass ein WIR wieder stärker vor einem ICH steht und wir den Mut entwickeln, der einzelnen Politikern fehlt“, so Wüstners Appell.

Zur außerplanmäßigen Kabinettssitzung im Bendlerblock erwartete Bundeskanzler Friedrich Merz auch den NATO-Oberbefehlshaber General Alexus Grynkewich und NATO-Generalsekretär Mark Rutte. Gemeinsam haben die Mitglieder der Bundesregierung intensiv die grundlegenden sicherheitspolitischen Entscheidungen dieser Zeit beraten. Schon in den vergangenen Tagen wurden auf der Ebene der CHODs die Fragen zu möglichen politisch adressierten Sicherheitsgarantien für die Ukraine beraten und Szenarien und Optionen auch für den Einsatz deutscher Soldaten durchdacht. 

Und schon jetzt ist klar: Auch, wenn das Kabinett das Gesetz nun nach  leichten Meinungsverschiedenheiten beschließen wird – mit Blick auf den eigenen Anspruch und vor allem die Zusagen der NATO gegenüber bleibt noch einiges an Arbeit. 

„Ich hoffe sehr, dass die parlamentarischen Beratungen dazu genutzt werden, allen Beteiligten die gegenwärtige Bedrohung mit all ihren potenziellen Konsequenzen zu verdeutlichen und ihnen klarzumachen, welche Maßnahmen für eine insbesondere personell einsatzbereite Bundeswehr zu ergreifen sind. Aktuell scheinen jedenfalls noch nicht alle verstanden zu haben, dass Personalgewinnung und -bindung DIE strategische Herausforderung für die Bundeswehr ist“, erklärt der Bundesvorsitzende Oberst André Wüstner die Herausforderung.

Für die schnelle Steigerung der personellen Einsatzbereitschaft sowie der Aufwuchsfähigkeit der Bundeswehr würden weder der freiwillige „Neue Wehrdienst“ noch die bisherigen Rahmenbedingungen im Dienst- und Laufbahnrecht einschließlich der Besoldung und Versorgung ausreichen.

Wüstner macht unmissverständlich klar: „Vor allem wir Europäer müssen wieder in unsere Sicherheitsarchitektur investieren, denn Präsident Trump wird die US-Truppen in Europa schrittweise ausdünnen. Gelingt uns das nicht, bleiben wir wie zuletzt bestenfalls Beobachter schlimmer Ereignisse. Denn, obwohl wir seit der gewaltsamen Annexion der Krim, dem fortgesetzten Krieg in der Ukraine und der klaren Botschaft seitens der USA, dass sich die Europäer sich endlich selbst um ihre eigene Sicherheit kümmern müssen, haben wie viele richtige Regierungserklärungen gehört, kommen aber bei der Umsetzung – trotz einiger Fortschritte unter Boris Pistorius – nicht im notwendigen Tempo voran.“

Eine neue Art Wehrpflicht sei nur eine Seite der Medaille, macht der Bundesvorsitzende deutlich. „Sie generiert hauptsächlich junge Mannschaften - und in der Folge Reservisten. Mindestens so wichtig ist aber die andere Seite der Medaille: Gewinnung und Bindung von Zeit- und Berufssoldaten, also der „Profis“. Sie kann nur mit verbesserten dienstlichen Rahmenbedingungen gelingen. Gerade zur Gewinnung und Bindung dieser Profis muss im nächsten Jahr ein entsprechendes Artikelgesetz auf den Weg gebracht werden.“

Wüstner weiter: „Ein wesentlicher, aber bislang zu wenig diskutierter Aspekt ist dieser: Da auch im Fall einer Reaktivierung der Wehrpflicht richtigerweise niemand zum Dienst an der Waffe gezwungen werden kann, wird damit zugleich der Ersatzdienst wiederbelebt - und bietet ebenso eine Vielzahl von Chancen, denn schon heute sind die Bedarfe in Blaulichtorganisationen oder dem Gesundheitswesen, insbesondere in der Pflege, enorm. Wichtig ist auch ist in diesem Zusammenhang, dass durch einen Wehr- und Ersatzdienst auch das WIR in der Gesellschaft wieder gestärkt wird.“

„Umschaltmechanismus“ fehlt im Gesetz

Keine Frage: Der Gesetzentwurf „Neuer Wehrdienst“ enthält im Vergleich zur vergangenen Legislaturperiode viele gute Maßnahmen. „Dennoch gehe ich fest davon aus, dass die Bundeswehr schon den für dieses Jahr vorgesehenen kleinen Schritt von 10.000 auf 15.000 freiwillig Wehrdienstleistende kaum schaffen wird“, sagt der Bundesvorsitzende.

„Ob es gelingen wird, das vom BMVg bis 2029 ausgegebene Ziel von insgesamt 119.000 freiwillig Wehrdienstleistenden - und daraus mindestens 100.000 neue Reservisten zu gewinnen, erreichbar ist, ist bestenfalls zweifelhaft und eine fahrlässige Wette auf die Zukunft. Dabei dürfen gute Umfragewerte für die Bundeswehr an sich nicht täuschen, denn viele Bürger sprechen sich zwar positiver denn je für die Bundeswehr aus, zögern dann allerdings, wenn es um den eigenen Dienst oder den der Kinder in der Bundeswehr geht – insbesondere vor dem Hintergrund eines möglichen Einsatzes deutscher Soldaten in der Ukraine.“

Leider enthalte das Gesetz keinerlei Parameter, ab wann von „Freiwilligkeit“ auf „Pflicht“ umgeschaltet werden solle, wenn die Ziele des personellen Aufwuchses nicht erreichbar würden. Oberst André Wüstner: „Daraus und aus der Tatsache, dass das Modell für eine schrittweise einzuführende, verfassungskonforme neue Art Wehrpflicht nicht näher ausgeführt wird, schließe ich, dass zumindest in dieser Legislaturperiode jedenfalls nicht mehr beabsichtigt ist, von Freiwilligkeit auf Pflicht umzuschalten.“

Das sei nicht befriedigend, so der Bundesvorsitzende, zumal Verteidigungsminister Boris Pistorius wisse, dass er einen entsprechenden Umschaltmechanismus beim Nichterreichen von Zielmarken benötige. „Noch im Juni sagte er in der Talk-Show „Caren Miosga“, dass wenn allen Anstrengungen zum Trotz nicht genügend Freiwillige kämen oder die sicherheitspolitische Lage es erfordere, Kabinett und Parlament umgehend einen Mechanismus in Gang setzen können müssten, um schnell auf eine „Teilverpflichtung“ von „Teiljahrgängen“ zugreifen zu können. Leider ist von diesem Mechanismus sowie entsprechenden Rahmenbedingungen im aktuellen Gesetz nichts übriggeblieben und auch eine „erwartete Zahl“ an Freiwilligen je Jahr ist nirgends formal hinterlegt – zu stark waren die Vorbehalte in Teilen der SPD-Bundestagsfraktion“, bemängelt der Bundesvorsitzende.

Worte und Taten müssen zusammenpassen

Es könne deshalb niemanden wundern, wenn er konstatiere: „In der Bundeswehr selbst entsteht zunehmend Unverständnis über das aktuelle Gebaren. Man kann nicht einerseits (vollkommen zurecht) fortwährend die Bedrohungslage thematisieren, diese Tage über Sicherheitsgarantien in Verbindung mit deutschen Soldaten in der Ukraine debattieren, das Maximum an „Kriegstüchtigkeit“ bis 2029 von einer überalternden und schrumpfenden Truppe fordern, der NATO-Zusagen machen, die bedeuten, dass wir schnellstmöglich von rund 170.000 auf 260.000 Zeit- und Berufssoldaten anwachsen müssen – aber bei den Instrumenten dafür kneifen“, sagt André Wüstner.

Wenn durch politische Reden Erwartungen geweckt, aber nicht erkennbar erfüllt würden, führe das zwangsläufig zu Enttäuschung und Frustration. Und auch dazu, dass Soldatinnen und Soldaten, die, auch wenn sie nach wie vor zu 100 Prozent alle gegebenen Aufträge erfüllen, selbst nicht mehr voller Überzeugung für den Dienst in allen Laufbahnen der Bundeswehr werben.

„Im Klartext: In dieser Legislaturperiode müssen schnellstmöglich Worte und Taten im Handlungsfeld Personal zusammenkommen. Boris Pistorius hat bisher einiges möglich gemacht, mit dem Verständnis der Koalition in Gänze sollte und muss aber mehr möglich sein“, betont der Bundesvorsitzende.

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