Zwischen NATO-Gipfel und Verwaltungsrealität – Zivilpersonal gefordert
Wenn sich am 24. und 25. Juni 2025 die Staats- und Regierungschefs der NATO in Den Haag versammeln, steht mehr auf dem Spiel als symbolträchtige Familienfotos und diplomatische Erklärungen. Es geht um nichts Geringeres als die Verteidigungsfähigkeit Europas und damit auch um die Zukunft der Bundeswehr, ihrer Soldatinnen und Soldaten – und in der Folge auch ihrer zivilen Beschäftigten. Nach Jahrzehnten des Friedens in Deutschland mit einer auf Auslandseinsätze fokussierten Bundeswehr rückt besonders seit Ausrufung der „Zeitenwende“ die Landes- und Bündnisverteidigung in den Mittelpunkt. Mit fundamentalen Änderungen nicht nur für den militärischen, sondern auch für den Arbeitsalltag der zurzeit über 70.000 aktiven zivilen Beschäftigten in der Bundeswehr. Beim NATO-Gipfel könnte zum ersten Mal seit Jahren wieder eine umfassende Strategie zur Abschreckung und Verteidigung im Zentrum stehen – inklusive konkreter Zielvorgaben für Truppenbereitschaft, Logistik, Cybersicherheit und industrielle Verteidigungsfähigkeit.
Deutschland als „führungsbereiter" Partner – was bedeutet das für uns Zivilpersonal?
Für Deutschland bedeutet das neue NATO-Konzept: Das Versprechen, „führungsbereit" zu sein, muss mit Leben gefüllt werden – und das erfordert nicht nur militärische Präsenz, sondern auch administrative, technische und infrastrukturelle Schlagkraft. Hier kommen wir ins Spiel – die zivilen Beschäftigten. Ob in der Beschaffung, in der Wehrverwaltung, in der Forschung oder in den Instandsetzungswerken: Ohne unsere Expertise kann die Bundeswehr keinen Beitrag zur NATO-Leistungsfähigkeit leisten. Dennoch wird unsere Rolle in der politischen Debatte oft übersehen. Die aktuellen weltpolitischen Entwicklungen stellen uns vor neue Aufgaben: Die Beschaffung und die Infrastrukturmaßnahmen müssen beschleunigt werden, die Logistik muss robuster werden, und die gesamte Verwaltungsstruktur muss sich an eine Realität anpassen, in der Landes- und Bündnisverteidigung wieder im Zentrum stehen.
Herausforderungen zwischen Milliardenbudgets und Verwaltungsrealität
Als zivile Beschäftigte erleben wir täglich, wie sich diese großen politischen Veränderungen in konkrete Arbeitsanforderungen übersetzen. Das 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen und der zukünftige scheinbar unbegrenzte Verteidigungshaushalt sind nicht nur beeindruckende Größen in Haushaltsdebatten – es bedeutet für uns mehr Projekte, komplexere Beschaffungsverfahren und höhere Verantwortung bei der Mittelverwendung. Während Milliardenbeträge für neue Waffensysteme bewilligt werden, bleibt die Modernisierung der zivilen Strukturen hinter den Erwartungen zurück. Gleichzeitig kämpfen wir mit strukturellen Problemen, die nicht über Nacht zu lösen sind: veraltete IT-Systeme, langwierige Genehmigungsverfahren und ein chronischer Personalmangel in vielen Bereichen. Die Ironie ist offensichtlich: Während die politische Führung schnelle Antworten auf neue Bedrohungen fordert, arbeiten wir oft noch mit Strukturen und Prozessen, die für eine andere Zeit konzipiert wurden.
Der Spagat zwischen NATO-Anspruch und administrativer Realität
Die Diskrepanz zwischen politischen Ankündigungen und administrativer Realität ist für uns besonders spürbar. Wenn Verteidigungsminister Pistorius von „kriegstüchtiger" Bundeswehr spricht und gleichzeitig NATO-Verpflichtungen erfüllt werden müssen, denken wir an die praktischen Fragen: Wie beschaffen wir Material schneller? Wie digitalisieren wir Prozesse effektiver? Wie schaffen wir trotz Fachkräftemangel qualifizierte Kolleginnen und Kollegen zu gewinnen und zu halten? Diese Fragen sind nicht abstrakt – sie bestimmen unseren Arbeitsalltag. Jeder verzögerte Beschaffungsvorgang, jedes nicht besetzte Referat, jedes veraltete IT-System wird in Zeiten erhöhter Bedrohungslagen und gestiegener NATO-Anforderungen zu einem potenziellen Sicherheitsrisiko. Digitalisierung, Personalgewinnung und Arbeitsplatzattraktivität – all das sind zentrale Stellschrauben, wenn Deutschland seinen NATO-Verpflichtungen wirklich gerecht werden will. Dabei sind nicht die noch fehlenden nationalen politischen und rechtlichen Vorgaben außer Acht zu lassen wie die Ausgestaltung der zukünftigen Wehrpflicht, die Schaffung und Anpassung der Vorsorge- und Sicherstellungsgesetze für den Krisen-, Spannungs- und Verteidigungsfall. Daraus erwachsen weitere umfangreiche Aufgaben, die das Zivilpersonal zu stemmen haben wird.
Unsere Rolle als Stabilitätsanker und tragende Säule
Trotz aller Herausforderungen dürfen wir unsere wichtige Rolle nicht unterschätzen. Als Zivilpersonal der Bundeswehr sind wir das Rückgrat der Organisation. Während sich die sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen ändern, sorgen wir für Kontinuität und professionelle Verwaltung. Wir sind diejenigen, die aus politischen Vorgaben und NATO-Anforderungen praktikable Lösungen entwickeln müssen. Diese Aufgabe wird in unsicheren Zeiten noch wichtiger. Eine funktionierende Wehrverwaltung ist nicht nur administrativer Selbstzweck, sondern ein wesentlicher Baustein der Verteidigungs- und Bündnisfähigkeit. Jeder korrekt abgewickelte Beschaffungsvorgang, jede effizient organisierte Logistikkette, jede präzise Personalplanung trägt zur Sicherheit bei. Die Bundeswehr ist mehr als ihre Waffensysteme. Sie ist ein komplexes System, in dem Menschen unterschiedlichster Qualifikationen gemeinsam Verantwortung tragen. In einer Zeit, in der viele Strukturen auf dem Prüfstand stehen, dürfen wir nicht vergessen: Die Zukunft der Bundeswehr beginnt nicht nur auf dem Gefechtsfeld – sondern auch im Büro, in der Werkstatt und in der Verwaltung.
Den Haag als Wendepunkt?
Die aktuellen Herausforderungen bieten auch Chancen. Der politische Rückenwind für Reformen in der Bundeswehr war selten so stark wie heute. Projekte, die jahrelang in Schubladen lagen, bekommen plötzlich Priorität und Ressourcen. Die Digitalisierung der Verwaltung, die Modernisierung der Beschaffung, die Verbesserung der Arbeitsbedingungen – vieles, was wir lange gefordert haben, steht nun auf der politischen Agenda. Es ist zu hoffen, dass der Gipfel in Den Haag ein klares politisches Signal sendet: zur Stärkung der Verteidigungsfähigkeit, zur Aufgabenteilung innerhalb der Allianz und zur Anerkennung der zivilen Kräfte als tragende Säule. Als DBwV haben wir die Gelegenheit, diese Reformdynamik mitzugestalten. Unsere Expertise aus dem Verwaltungsalltag ist gefragt wie nie. Politiker und Militärs brauchen unser Wissen, um ihre Pläne und NATO-Verpflichtungen in die Realität umzusetzen.