Afghanistan-Einsatz: Erster Versuch einer Bilanzierung im Bundestag
Berlin. Vor zwölf Jahren, am 23. Juni 2009, fielen in Afghanistan drei Soldaten im Gefecht. Ihr Transportpanzer kam beim Ausweichen von der Fahrbahn ab und stürzte in ein Flussbett. An jenem Tag starben Hauptgefreiter Alexander Schleiernick (23), Hauptgefreiter Oleg Meiling (21) und Hauptgefreiter Martin Brunn (23). Diese Namen werden heute, zwölf Jahre später, mehrfach in einer aktuellen Stunde des Bundestages genannt – stellvertretend auch für die anderen 56 Soldaten, die ihr Leben in Afghanistan verloren. Das Engagement der Bundeswehr am Hindukusch geht in diesem Sommer nach fast 20 Jahren zu Ende. Mit der heutigen Debatte im Bundestag sollte der Anfang für eine umfassende Bewertung gesetzt werden.
Bei der Eröffnung der Sitzung begrüßte Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble einige Soldatinnen und Soldaten, Rückkehrer aus der Mission „Resolute Support“, auf der Zuschauertribüne des Parlaments. Und richtete sich mit bemerkenswerten Worten direkt an sie: „Im Namen des Deutschen Bundestages danke ich Ihnen und allen Kameradinnen und Kameraden, die am Einsatz in Afghanistan beteiligt waren für ihre Einsatzbereitschaft. Dafür, dass Sie Leib und Leben riskiert haben, und wir vergessen nicht die Soldatinnen und Soldaten, die in Afghanistan ihr Leben verloren haben. Wir wissen um den schweren Verlust für ihre Familien. Wir denken auch an alle Veteranen, die körperlich oder seelisch versehrt zurückgekehrt sind.
Die Bundeswehr hat in diesem Einsatz manches erreicht, für die Sicherheit in Deutschland und für die Menschen in Afghanistan, aber wir müssen ehrlich Bilanz ziehen. Viele Hoffnungen sind nicht in Erfüllung gegangen – und das liegt ganz sicher nicht an Ihnen, den Soldatinnen und Soldaten. Die heutige aktuelle Stunde ist ein Anfang für eine umfassende Gesamtbilanz.
Die Erfahrungen aus Afghanistan mahnen uns, unsere Schutzverpflichtung gegenüber der Bundeswehr ernst zu nehmen. Im Übrigen auch gegenüber den afghanischen Ortskräften, die für die Bundeswehr, die Bundespolizei und andere deutsch Organisationen tätig gewesen sind. Aber von unserem Auftrag, den Frieden in der Welt zu sichern, rücken wir nicht ab.“
Was wurde in diesen zwei Jahrzehnten, die aus der Bundeswehr endgültig eine Einsatzarmee gemacht haben, erreicht? Die Abgeordneten des Bundestages versuchten sich an einer ersten Bilanzierung. Es gab Licht, aber beim Blick auf die aktuelle Lage in Afghanistan wird klar: Es gibt auch viel Schatten.
Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer verwies auf die drei Soldaten, die an diesem Tag vor zwölf Jahren bei dem Gefecht in der Nähe von Kundus fielen. „Wir dürfen nie vergessen: Es war dieses Parlament, das auch diesen drei Soldaten den Auftrag erteilt hat, in Afghanistan in einen wichtigen und gefährlichen Einsatz zu gehen“, sagte die Ministerin. Nun sei es an der Zeit, die richtigen Schlüsse aus 20 Jahren zu ziehen. Man müsse jetzt kritisch hinterfragen, ob das, was man sich an politischen Zielen gesetzt habe, nachhaltig erhalten werden könne. Sicher sei aber auch, dass die vergangenen 20 Jahre auch Dank des Einsatzes der Bundeswehr Raum geschaffen habe für Veränderungen, so etwa bei den Frauenrechten in Afghanistan.
Kramp-Karrenbauer versicherte, dass man alles daran setze, die Soldatinnen und Soldaten sicher nach Hause zu holen. „Wir sind auf einem guten Weg, das Re-Deployment findet geordnet statt“, sagte die Ministerin.
Die Bundeswehr habe sich als Ganzes, aber auch die Männer und Frauen, die im Einsatz waren, in ihren Persönlichkeiten verändert, sagte die CDU-Politikerin. Und weiter: „Wir haben als Bundeswehr vieles gelernt, auch harte Lektionen. Wir haben uns in unserem Umgang mit Traumatisierungen, mit Veteranen auch verändert aufgestellt.“ Die Soldatinnen und Soldaten könnten mit Fug und Recht sagen, dass sie stolz sind auf diesen Einsatz.
„Mut, Ausdauer und Tapferkeit“
Auch Außenminister Heiko Maas betonte, dass die Soldatinnen und Soldaten Außergewöhnliches in Afghanistan geleistet hätten. „Ihr Einsatz hat über den gesamten Zeitraum höchste Wertschätzung erfahren, sowohl von unseren Verbündeten als auch von der afghanischen Bevölkerung“, sagte Maas und dankte den Soldaten für „Mut, Ausdauer und Tapferkeit“. „Wir werden in enger Abstimmung mit der afghanischen Regierung mit zivilen Mitteln fortführen, wofür Sie gekämpft haben“, sagte er in Richtung der Gäste in Uniform auf der Zuschauertribüne. Maas versprach, dass Deutschland ein verlässlicher Partner bleiben werde.
„Unser Hauptziel war von Anfang an, dass von afghanischem Boden aus kein terroristischer Anschlag mehr geplant und ausgeführt werden kann“, sagte der Außenminister, „dieses Ziel haben wir erreicht.“ Die Taliban müssten zur Kenntnis nehmen, dass es ein Zurück ins Jahr 2001 nicht geben werde. Auch Maas verwies auf Erfolge im Bildungs- und Gesundheitswesen sowie im Aufbau der afghanischen Sicherheitskräfte. Der Außenminister abschließend: „Auch das wird bleiben von diesem Einsatz: Das Bild von einem Deutschland, das sich seiner Verantwortung stellt, das sicherheitspolitisch erwachsen geworden ist.“
Auch andere Abgeordnete unterstrichen die Bedeutung der Bündnistreue Deutschlands im Einsatz. So sagte Johann Wadephul (CDU), dass die Verlässlichkeit Deutschlands im Bündnis auch ein Sicherheitsgarant für Europa sei. Auch sein Parteikollege Henning Otte sieht im Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr einen Beweis für die Bündnistreue Deutschlands: „Unsere Soldaten haben bewiesen, dass sie mutig und tapfer kämpfen können. Damit ist das Ansehen Deutschlands gemehrt und gestärkt worden.“ Als Lehren aus Afghanistan stellte Otte Forderungen auf: „Wir müssen den Soldatinnen und Soldaten das Gerät zur Verfügung stellen, das sie brauchen für Schutz und Wirkung.“ Zudem müsse die Politik die Dinge deutlich beim Namen nennen, „mit Klarheit und mit Wahrheit“. Nicht die Soldatinnen müssten ihren Familien und Freunden erklären, warum sie im Einsatz sind, dies sei Aufgabe der Politik.
Zu anderen Schlüssen, insbesondere was die erzielten Erfolge in Afghanistan betrifft, kommen AfD und Linke. Armin-Paulus Hampel (AfD) sprach von einem Krieg, der von Anfang an nicht zu gewinnen gewesen sei. Das Parlament hätte durch die Geschichte gewarnt sein müssen, sagte Hampel und verwies auf Niederlagen der Briten und Sowjets in Afghanistan. Dietmar Bartsch (Die Linke), sagte, der Abzug der Nato sei keineswegs geordnet, sondern vielmehr überstürzt. Die einzigen Profiteure des Einsatzes in Afghanistan seien die Taliban und die Rüstungsindustrie.
Alle Parteien stimmen darin überein, dass eine weitere Aufarbeitung des Einsatzes erfolgen muss. Der FDP-Politiker Bijan Djir-Sarai sagte: „Zu unseren Pflichten gehört auch Evaluierung des Einsatzes: Das sind wir zum einen den Soldatinnen und Soldaten schuldig, zum anderen ist es wichtig, Lehren für die Zukunft und andere Auslandseinsätze zu ziehen.“
Auch Omid Nouripour (Bündnis 90/Die Grünen) sagte, dass eine Bilanzierung des Einsatzes überfällig sei. Die Menschen, die sich zivil oder militärisch in Afghanistan eingesetzt haben, hätten eine ehrliche Evaluation des Einsatzes verdient: „Es ist dringend notwendig, daraus zu lernen.“