Mehr als 2000 Atombomben wurden seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges weltweit getestet. Die mit Abstand meisten Versuche führten die USA und die Sowjetunion durch.

02.08.2022
dpa/Frank Schauka

Baerbock und Blinken verurteilen Russlands Atomwaffen-Drohungen - Putin beschwichtigt

Der Atomwaffensperrvertrag soll seit mehr als 50 Jahren dafür sorgen, dass die nukleare Rüstung nicht außer Kontrolle gerät. Jetzt droht der Vertrag, dem 191 Staaten beigetreten sind, zur Makulatur zu werden. Außenministerin Baerbock und ihr US-Kollege Blinken geben Russland die Schuld dafür. Putin weist die Vorwürfe zurück.

New York. Bundesaußenministerin Annalena Baerbock und ihr US-Amtskollege Antony Blinken haben die atomaren Drohgebärden Russlands vor den Vereinten Nationen scharf verurteilt. Russland habe wiederholt «rücksichtslose nukleare Rhetorik» verwendet, mit der es die Bemühungen der letzten 50 Jahre um die Eindämmung von Atomwaffen weltweit aufs Spiel setze, sagte Baerbock am Montag bei der UN-Konferenz zur Überprüfung des Atomwaffensperrvertrags. Mit der Ukraine habe Russland ein Land ohne Atomwaffen angegriffen und damit frühere Zusicherungen «brutal verletzt».

Blinken warf Russland vor, seine Atomwaffen für rücksichtlose Kriegsdrohungen einzusetzen. Frühere Äußerungen von Kremlchef Wladimir Putin, wonach militärische Hilfe für die Ukraine beispiellose Folgen haben könne, seien «gefährliches nukleares Säbelrasseln», sagte Blinken am Montag zum Start der Überprüfungskonferenz zum Atomwaffensperrvertrag (NVV) in New York. Blinken warf Russland «gefährliches nukleares Säbelrasseln» vor. «In unserer Welt ist kein Platz für nukleare Abschreckung auf der Grundlage von Gewalt und Einschüchterung oder Erpressung. Wir müssen zusammenstehen, um dies abzulehnen», sagte Blinken.

US-Außenminister Antony Blinken: Russland setzt im Ukraine-Krieg Atomkraftwerke wie Schutzschilde ein

Am Rande der Konferenz kritisierte Blinken zudem, dass Russland im Ukraine-Krieg Atomkraftwerke militärisch einsetze. Die US-Regierung sei «zutiefst besorgt» darüber, dass Russland im Krieg gegen die Ukraine mehrere dortige Atomkraftanlagen eingenommen habe, sagte Blinken. Mit Blick auf das ukrainische Kernkraftwerk Saporischschja etwa gebe es glaubhafte Berichte, dass Russland die Anlage als eine Art Schutzschild benutze - also aus der Nähe der Anlage auf ukrainische Kräfte schieße. Die Ukrainer könnten nicht zurückschießen, weil es dadurch zu einem schrecklichen atomaren Unfall kommen könnte.

Auch der stellvertretende ukrainische Außenminister Mykola Totschyzkyj kritisierte Moskau für indirekte Drohungen zum Einsatz von Atomwaffen im Zuge des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine. «Die Welt wird Zeuge, wie nuklearer Terrorismus, gesponsert von einem Atomwaffenstaat, Wirklichkeit wird», sagte Totschyzkyj am Montag in New York. Es bedürfe robuster gemeinsamer Maßnahmen, um eine nukleare Katastrophe zu verhindern. Über ukrainischen Kernkraftwerken müssten Flugverbotszonen eingerichtet werden. Der Aggressor Russland dürfe nicht ungestraft mit dem Einmarsch in die Ukraine davonkommen, nur weil er Atomwaffen besitzt.

US-Präsident Joe Biden erklärte in einer Stellungnahme, seine Regierung sei bereit, «zügig» über einen neuen Rahmen für die Rüstungskontrolle zu verhandeln, der den New-Start-Vertrag nach dessen Auslaufen im Jahr 2026 ersetzen soll. «Aber Verhandlungen erfordern einen willigen Partner, der in gutem Glauben handelt», betonte Biden. Russlands Krieg gegen die Ukraine stelle einen Angriff auf die Grundpfeiler der internationalen Ordnung dar.

Der Abrüstungsvertrag New Start ist das einzig noch verbliebene große Abkommen zur Rüstungskontrolle zwischen den USA und Russland. Kurz vor dessen Auslaufen im Februar 2021 hatten sich Biden und Russlands Präsident Wladimir Putin auf eine Verlängerung geeinigt. Der Vertrag begrenzt die Nukleararsenale beider Länder auf je 800 Trägersysteme und je 1550 einsatzbereite Atomsprengköpfe.

Putin: «Wir gehen davon aus, dass es in einem Atomkrieg keine Sieger geben kann und er niemals begonnen werden darf.»

Putin beteuerte in Moskau, dass er nicht vorhabe, einen Atomkrieg vom Zaun zu brechen. «Wir gehen davon aus, dass es in einem Atomkrieg keine Sieger geben kann und er niemals begonnen werden darf», schrieb er in einem auf der Webseite des Kremls veröffentlichten Grußwort an die Konferenzteilnehmer. Damit trat er seit Kriegsbeginn wachsenden Befürchtungen entgegen, dass Moskau in der Ukraine womöglich Atomwaffen einsetzen könnte. Putin hatte die russischen Atomstreitkräfte kurz nach dem Angriff auf das Nachbarland in erhöhte Alarmbereitschaft versetzt. Nun betonte er, dass Russland seine Verpflichtungen als Gründungsmitglied des Atomwaffensperrvertrags erfülle und auch weiter erfüllen wolle.

Guterres: «Menschheit läuft Gefahr, die Lehren zu vergessen, die in den schrecklichen Feuern von Hiroshima und Nagasaki geschmiedet wurden.»

UN-Generalsekretär António Guterres mahnte, die Welt befinde sich in einer «Zeit nuklearer Gefahr, wie es sie seit dem Höhepunkt des Kalten Krieges nicht mehr gegeben» habe. «Die Menschheit läuft Gefahr, die Lehren zu vergessen, die in den schrecklichen Feuern von Hiroshima und Nagasaki geschmiedet wurden. Die Welt sei nur ein Missverständnis oder eine Fehlkalkulation von der nuklearen Vernichtung entfernt.

Das mehr als 50 Jahre alte Abkommen über die Nichtverbreitung von Kernwaffen (NVV), dem 191 Staaten beigetreten sind, bildet die Grundlage für atomare Abrüstung weltweit. Es besagt, dass nur die USA, Russland, China, Frankreich und Großbritannien Atomwaffen besitzen dürfen. Die vier anderen mutmaßlichen Atommächte Indien, Pakistan, Israel und Nordkorea sind dem Vertrag entweder nicht bei- oder wieder ausgetreten. Ziel des Vertrags ist es, die Verbreitung von Atomwaffen zu verhindern, nukleare Abrüstung voranzutreiben und die friedliche Nutzung von Kernenergie zu fördern.

Baerbock: «Der brutale Angriffskrieg Russlands macht deutlich, dass Nuklearwaffen leider eine bittere Realität sind.»

Alle fünf Jahre ist eine Überprüfung des Erreichten vorgesehen. Die zehnte Überprüfungskonferenz sollte bereits 2020 stattfinden, wurde wegen der Corona-Pandemie aber verschoben, und läuft nun bis zum 26. August. Die atomare Abrüstung war schon vor Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine ins Stocken geraten. Jetzt wird die Reduzierung der knapp 13.000 Atomwaffen weltweit noch schwerer.

Baerbock machte sich in New York trotzdem für konkrete Schritte bei der Abrüstung stark. Gleichzeitig bekannte sie sich zur deutschen Beteiligung an atomarer Abschreckung. «Der brutale Angriffskrieg Russlands macht deutlich, dass Nuklearwaffen leider eine bittere Realität sind», sagte sie. «Der Einsatz für nukleare Nichtverbreitung und nukleare Abschreckung sind in diesen Zeiten kein Widerspruch.»

Im Fliegerhorst Büchel lagern bis zu 20 US-Atombomben

Deutschland besitzt selbst keine Atomwaffen. Allerdings sind auf dem Fliegerhorst Büchel in Rheinland-Pfalz nach Expertenschätzungen bis zu 20 US-Atombomben stationiert, die im Ernstfall von Kampfjets der Bundeswehr eingesetzt werden sollen. Im Rahmen dieser nuklearen Teilhabe beteiligt sich Deutschland an der nuklearen Abschreckung der Nato.

Nach einem Bericht des schwedischen Friedensforschungsinstituts Sipri verfügt Russland heute über 6255 atomare Sprengköpfe, deutlich mehr als die USA mit 5590. Insgesamt besitzen die neun Atommächte etwa 13.400 Atomwaffen. Bei einem Teil von ihnen handelt es sich allerdings um Sprengköpfe, die bereits ausrangiert wurden oder wegen einschlägiger internationaler Abkommen noch ausrangiert werden sollen. Fast 1900 nukleare Waffen können nach Schätzungen amerikanischer Wissenschaftler aber jederzeit abgefeuert werden und ihr Ziel binnen weniger Minuten erreichen. 970 von ihnen sollen die USA in Bereitschaft halten, 900 die russische Armee.

 

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