Die Panzerhaubitze RCH 155 von Krauss-Maffei-Nexter ist die modernste mobile Artillerie der Welt. Sie kann während des Fahrens schießen und gilt als unverwundbar. Foto: KMW

10.12.2022
Von Frank Jungbluth

Bedingt abwehrbereit

Die Verteidigungsministerin sagt, sie arbeite daran, die Zeitenwende zu gestalten. Experten wissen aber, dass alles viel zu langsam geht. Polen lässt sich inzwischen von Südkorea und den USA beliefern und Deutschland schaut aus der Ferne zu.

Manchmal sind es die kleinen Dinge, die so groß werden, dass sie vergessen machen, was es ansonsten Gutes gibt: Als Christine Lambrecht kurz nach dem Überfall von Putins Mördertruppen auf die Ukraine ein paar Zehntausend Gefechtshelme zur Lieferung freigab, machte sie sich zum Gespött – hierzulange und auch im Ausland. Dass danach Panzer-Haubitzen vom Typ 2000, Gepard-Flakpanzer, gepanzerte Fahrzeuge, Munition, Luftabwehrraketen und Panzerfäuste an die Fronten des Ukraine-Krieges von Deutschland aus geliefert wurden, nahm die Öffentlichkeit zwar zur Kenntnis, aber die Persiflage mit den Helmen blieb dabei immer im Sinn.

So ist das mit mehr als 30.000 Wolldecken, die das Bundesministerium der Verteidigung jetzt versteigern lassen wollte, während ukrainische Soldaten im eisigen Ost-Winter in den Schützengräben frieren. Sie frieren dort auch stellvertretend für den Rest Europas, dessen Soldaten zwar an der Ostflanke des Bündnisses abschrecken, aber das ist doch noch etwas anderes, als im Granatenhagel und Raketenbeschuss durch russische Soldaten auszuhalten, wie es die ukrainischen Streitkräfte tun. Finanzminister Christian Lindner war es, der schließlich die Deckenposse beendete, indem er die Versteigerung anhielt und das Material jetzt in die Ukraine liefern lässt, wie die „Welt am Sonntag“ in ihrer neuesten Ausgabe berichtet.

Während Wladimir Putin hunderte, es heißt neue Kampfpanzer vom Typ T-90-M nach Luhansk rasseln lässt, kommen in Polens Ostseehäfen brandneue Kampfpanzer K2 und Haubitzen K9 aus südkoreanischer Produktion an. Das regt in zweierlei Hinsicht zum Grübeln an. Die Polen haben ihre Aufrüstung erst vor wenigen Monaten verkündet und das Material wird schon geliefert. Zum anderen bestellt der Nachbar nicht mehr in Deutschland. Was können die Südkoreaner, was Deutschland nicht (mehr) kann?

Dass die von Bundeskanzler Olaf Scholz am 27. Februar ausgerufene Zeitenwende ins Stocken geraden könnte, davor hat auch der Deutsche BundeswehrVerband beharrlich gewarnt: Es gebe das „Wollen", wehrhafter zu werden, vom „Können" aber sei man weit entfernt, hat der Bundesvorsitzende Oberst André Wüstner wieder vor wenigen Tagen beim Sicherheitsgipfel „Welt Summit Digital Security“ in Berlin gesagt. „Noch nie war die Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit so enorm wie jetzt."

Deutschland könnte auch eine Haubitze im Bestand haben, die mit ihren Fähigkeiten selbst die der vielgelobten Panzerhaubitze 2000 übertrifft. Es ist das Modell RCH 155. Die Panzerhaubitze der neuesten Generation aus der Schmiede von Krauss Maffei Nexter hat man sich auch bei der Bundeswehr vorführen lassen, die Ukraine will das Waffensystem jetzt bestellen. „Bedingt abwehrbereit“, ist der Titel eines Interviews, das die „Süddeutsche Zeitung“ am Wochenende mit dem Chef des deutsch-französischen Unternehmens, Frank Haun, geführt hat. Die Anspielung auf die Schlagzeile des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“ vom Oktober des Jahre 1962 ist kein Zufall. Damals allerdings hatte diese bittere Feststellung, die das Magazin nach dem NATO-Manöver „Fallex 62“ anhand der Berichte hochrangiger Quellen aus dem Verteidigungsministerium traf, einen Großeinsatz von Polizei und Justiz gegen die Journalisten des SPIEGEL ausgelöst. Daraus wurde eine handfeste Staatskrise, die mit dem Rücktritt von Verteidigungsminister Franz-Josef Strauß (CSU) endete. Auch Kanzler Konrad Adenauer musste sein Amt ein Jahr später auch wegen der SPIEGEL-Affäre abgeben.

Damals hatte das Nachrichtenmagazin den Nimbus, das „Sturmgeschütz“ der Demokratie zu sein. „Fallex 62“ machte deutlich, dass die damalige Bundesrepublik in kurzer Zeit von der Roten Armee überrannt und zerstört worden wäre. Das brachte Verteidigungsminister Strauß dazu, eigene Atomwaffen für die Truppe zu fordern. US-Verteidigungsminister Robert McNamara wollte dagegen eine größere Bundeswehr mit bis zu 750.000 Mann. Beides trat nicht ein.

60 Jahre und einen großen Krieg später ringt man bei der Bundeswehr um die Beschaffung eines Jets aus US-Produktion, der die Fähigkeit der Luftwaffe, Atombomben in Ziel zu bekommen, erhalten kann. Bestellt sind die modernen F-35 allerdings noch nicht. Der 16. Rüstungsbericht des BMVg, der in diesen Tagen öffentlich gemacht worden ist, weist für das Haushaltsjahr 2023 eine Entnahme von 8,4 Milliarden Euro aus dem Sondervermögen für Ausrüstung aus. Das sind weniger als 10 Prozent der 100 Milliarden, die der Bundestag im Sommer 2022 beschlossen hat.

„Dem Ziel, den Streitkräften eine hochmoderne, einsatzbereite und durchhaltefähige Ausrüstung bereitzustellen, widmen sich alle Beteiligten im Beschaffungswesen der Bundeswehr mit vollem Einsatz. Neben hinreichenden personellen Ressourcen und einer soliden, nachhaltigen Finanzierung bedarf es hierfür auch einer leistungsstarken und verlässlichen Rüstungsindustrie“, heißt es im Vorwort zum Rüstungsbericht. Auf die Frage der „Süddeutschen Zeitung“ an Frank Haun, Chef von Krauss-Maffei-Nexter, wie viel die Bundeswehr denn schon bei seinem Unternehmen bestellt habe, muss der zerknirscht feststellen: „Bisher nichts. Von den 100 Milliarden geht ein großer Teil an die Luftwaffe. Was die Landstreitkräfte angeht, sehe ich bisher beim Großgerät nicht viel und bei der Artillerie nichts. Und das passt für mich nicht zu dem Bild des Krieges, den ich gerade in der Ukraine sehe. Da wird hauptsächlich mit den Waffen des Ersten und Zweiten Weltkriegs gekämpft: Panzer und Artillerie. Und da ist die Bundeswehr nicht gut gerüstet.“

Für Rüstungsmanager Haun ist klar, was der BundeswehrVerband immer wieder angemahnt und angeprangert hat: „Der Krieg in der Ukraine hat gezeigt, wir brauchen die Bundeswehr. Aber sie ist in den vergangenen Jahren ausgepresst worden wie eine Zitrone. Wir sollten nicht glauben, dass aus dem Überbleibsel wieder eine Zitrone wird, wenn wir lediglich Fruchtsaft im Wert von 100 Milliarden Euro da hineinpumpen. Wir haben eine Menge Defizite, die wir jetzt aufholen müssen.“ Das passt zur Einschätzung des Bundesvorsitzenden Oberst André Wüstner, für den klar ist. „Die 100 Milliarden können nur ein Anschub sein.“ In den kommenden Jahren müsse sich der Verteidigungshaushalt weiterentwickeln und erhöht werden, betont der Bundesvorsitzende. „Die Landes- und Bündnisverteidigung wurde in den vergangenen Jahren mehr oder weniger bewusst abgeschafft.“ Nun gehe es darum, diese Fähigkeiten wieder aufzubauen, was keineswegs einfach sei, da die Industrie gleichzeitig Kapazitäten abgebaut habe.

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