Im Gespäch: Oberstleutnant i.G. Marcel Bohnert, Marcus Grotian, Gründer des Patenschaftsnetzwerkes, und Peter Tauber (v.l.) Foto: DBwV

Im Gespäch: Oberstleutnant i.G. Marcel Bohnert, Marcus Grotian, Gründer des Patenschaftsnetzwerkes, und Peter Tauber (v.l.) Foto: DBwV

15.08.2022
Von Lena Pütz

Ein Jahr nach der Machtübernahme der Taliban – Ortskräftekongress in Berlin

Der 13. August ist ein sonniger Samstag. In der Friedrichstadtkirche am Berliner Gendarmenmarkt füllen sich die Reihen bis auf den letzten Platz. Mehr als 350 Menschen haben sich heute in der französischen Kirche eingefunden, in der die Temperaturen schon am Vormittag über die 30 Grad Marke gestiegen sind. "In Afghanistan ist es noch wärmer", scherzt ein Mann mit traditioneller afghanischer Kleidung, als Oberstleutnant i.G. Marcel Bohnert, Stellvertreter des Bundesvorsitzenden im Deutschen BundeswehrVerband, an ihm vorbei geht. Dass die Hitze nichts im Vergleich zu den Temperaturen am Hindukusch ist, weiß Bohnert zu gut. Über Monate hat er dort mit seiner Kompanie in der Provinz Kunduz patroulliert. Dabei hat das Thermometer in den Sommermonaten häufiger die 50 Grad-Marke durchbrochen.

Afghanistan wird auch heute im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen. Genauer genommen: Der Umgang mit den Ortskräften und ihr Schicksal seit dem dramatischen Ende der militärischen Mission im August 2021. Das Patenschaftsnetzwerk Afghanische Ortskräfte hat in Kooperation mit der Evangelischen Akademie zu Berlin, Pro Asyl und dem Deutschen BundeswehrVerband anlässlich des Jahrestages der Machtübernahme durch die Taliban zum ersten deutschen "Ortskräftekongress" geladen. Das Interesse ist groß: Politiker, Medienvertreter und viele ehemalige Ortskräfte sind der Einladung gefolgt.  Knapp 3.800 von über 5.000 Ortskräften, denen eine Aufnahme zugesichert wurde, sind bisher tatsächlich in Deutschland angekommen. Zusammen mit ihren engsten Familienangehörigen handelt es sich um über 23.000 Menschen, bei denen die Bundesregierung die Notwendigkeit erkannt hat.

Marcus Grotian, Gründer des Patenschaftsnetzwerkes, eröffnete den Kongress mit eindringlichen Worten: "In diesen Tagen erinnern wir uns. An ein Leben, in dem in Afghanistan neben Hoffnung auch die Chance auf ein freies Leben bestand. Wir erinnern uns an Versprechen an unsere ehemaligen Angestellten, dass man sich politisch der großen Verantwortung stets bewusst sei, und wie sie dann doch zurückgelassen wurden." Viele der anwesenden Afghanen haben Kopfhörer auf, über die seine Worte und die der anderen Redner übersetzt werden. Auch die von Oberstleutnant i.G. Bohnert: In seinem Statement hob der StellvertretendeVorsitzende im Deutschen BundeswehrVerband die Wichtigkeit klar definierter Zuständigkeiten für die Ortskräfte hervor. Die im August 2021 aufgetretene Verantwortungsdiffusion zwischen Auswärtigem Amt, dem Bundesministerium des Innern, dem Bundesministerium für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit sowie dem Verteidigungsministerium seien unwürdig für einen angesehenen Staat in der Mitte Europas: "Nicht erst mit der Evakuierungsmission hat die Bundeswehr durch zahlreiche Maßnahmen dafür gesorgt, dass tausenden Menschen das Leben gerettet werden konnte. Dieser Erfolg darf nun bei der Rückführung der verbleibenden Ortskräfte nicht aufs Spiel gesetzt werden. Wir als Bundeswehr und wir als BundeswehrVerband wissen sehr genau, was sie dort geleistet haben. Deshalb sind für uns die Folgerungen und die Lehren, die man aus diesem Einsatz ziehen muss, offensichtlich, sie liegen auf der Hand: Es darf keinen Auslandseinsatz der Bundeswehr geben ohne klares Konzept, klare Strategie, klares Ziel und regelmäßige Evaluation. Ausdrücklicher Teil dieser Strategie muss der Umgang mit den Ortskräften sein, insbesondere nach Ende des jeweiligen Einsatzes".

Schon in den ersten Fragerunden zeigte sich, wie emotional das Thema für viele Ortskräfte ist. Auch in den Pausen gab es aufgebrachte Diskussionen. Klaus Scharf, Vorsitzender des Fachbereichs Zivile Beschäftigte im Deutschen BundeswehrVerband, hat sich in den vergangenen Jahren auch verstärkt auf die prekäre Situation der Sprachmittler der Bundeswehr aufmerksam gemacht. Auch heute hört er sich tragische Schilderungen von Flucht und Vertreibung, bürokratischen Hürden und zerrissenen Familien an. Von den Afghanen werden ihm unzählige Familienfotos, Dokumentenkopien und Behördenschreiben präsentiert. "Deutschland ist bei seinem Engagement auf Ortskräfte angewiesen", ruft er in Erinnerung: "Wenn Ortskräfte auf Grund ihrer Tätigkeit für deutsche Institutionen gefährdet sind und um ihr Leben fürchten müssen, dann ist es unsere Pflicht, sie zu unterstützen."

Weitere Informationen zum Ortskräftekongress und der Situation der Ortskräfte finden sich bei Social Media unter den Hashtags #Ortskräftekongress, #RettenStattReden und #DontForgetAfghanistan. Das Patenschaftsnetzwerk Afghanische Ortskräfte ist unter www.Patenschaftsnetzwerk.de zu erreichen.

Mit Rat und Hilfe stets an Ihrer Seite!

Nehmen Sie Kontakt zu uns auf.

Alle Ansprechpartner im Überblick