Generalleutnant Alfons Mais, Jamila Schäfer (B‘90/Die Grünen), Oberst André Wüstner, DBwV-Bundesvorsitzender, General a.D. Riho Terras und Moderatorin Nora Müller (v.l.) auf dem Panel der 10. Königsbronner Gespräche Foto: DBwV/Oliver Krause

Generalleutnant Alfons Mais, Jamila Schäfer (B‘90/Die Grünen), Oberst André Wüstner, DBwV-Bundesvorsitzender, General a.D. Riho Terras und Moderatorin Nora Müller (v.l.) auf dem Panel der 10. Königsbronner Gespräche Foto: DBwV/Oliver Krause

29.04.2023
Von Gunnar Kruse

Im Spannungsfeld von Anspruch und Realität

Königsbronn. Seit mehr als einem Jahr tobt der völkerrechtswidrige Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine – mit großen Auswirkungen auch auf die Sicherheitspolitik in der Welt, Europa und hierzulande. „Deutschland in der Zeitenwende – Zwischen Anspruch und Wirklichkeit“ waren denn auch die 10. Königsbronner Gespräche am 29. April 2023 überschrieben, die auch live gestreamt wurden.

Oberst a.D. Roderich Kiesewetter (CDU), Mitglied des deutschen Bundestags und Sprecher für Krisenprävention der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, redete gleich zum Auftakt Klartext. Fragen wie Energiesicherheit, Cybersicherheit und die Gleichzeitigkeit von Krisen verdichten sich in der Zeitenwende nach dem Überfall auf die Ukraine wie in einer „Nussschale“, so der Spiritus Rector der Königsbronner Gespräche.

Für die Ukraine sei eine Zeitenwende spätestens 2014 mit der russischen Annexion der Krim angebrochen. „Ein Krieg, der uns fast kaltgelassen hat“, sagte er. „Jetzt zahlen wir im Rahmen der Zeitenwende den Preis dafür, dass wir damals zu blauäugig waren.“ Zeichen der Deeskalation führten bei Russland nicht zur Deeskalation. Putins nächste Ziele dürften nicht Moldau und das Baltikum werden, mahnte Kiesewetter. „Nicht das Recht des Stärkeren, sondern die Stärke des Rechts muss gewinnen.“

Ukrainischer Botschafter zeigt sich siegessicher

„Wir werden den Krieg gewinnen und unsere Menschen befreien“, sagte in einer Grußbotschaft der per Video zugeschaltete Botschafter der Ukraine in Deutschland, Oleksii Makeiev. Dafür werde weiter Unterstützung benötigt. „Deutsche Waffen schützen ukrainische Leben“, sagte er. „Wir müssen einen gerechten Frieden erkämpfen und die Weltgerechtigkeit wieder herstellen.“ Künftig werde die Ukraine Teil der europäischen Sicherheitsarchitektur sein: „Wir sind stärker zusammen“, so der Botschafter.

Heeresinspekteur: Sie können stolz auf diese Truppe sein

Generalleutnant Alfons Mais sagte, dass sich das deutsche Heer seit 2016 zwar in einem Anpassungsprozess befinde, aber weit von materieller Vollausstattung für die Landes- und Bündnisverteidigung (LV/BV) entfernt sei. „Wir haben aber hervorragende Soldatinnen und Soldaten, das hat unter anderem die Evakuierungsaktion aus dem Sudan wieder bewiesen. Sie können stolz auf diese Truppe sein“, so der Inspekteur des Heeres.

Dabei würden die Aufträge für die Truppe „tsunamiartig“ zunehmen. Das Heer erfülle mit dem Mali-Einsatz seinen derzeit gefährlichsten Auftrag. Der wichtigste Auftrag sei die Ausbildung ukrainischer Soldaten. 10000 ukrainische Soldaten werden nach seinen Worten auf deutschem Boden in diesem Jahr ausgebildet. Und der forderndste Auftrag sei die Herstellung der vollständigen Einsatzbereitschaft für die LV/BV. Die notwendigen Strukturen sowie ausreichend Personal und Material seien entscheidend „für Siegfähigkeit auf dem Gefechtsfeld. Denn Abschreckung wirkt nur, wenn sie glaubwürdig ist.“ Dazu müsse der Verteidigungsetat  weiter kontinuierlich ansteigen.

Oberst Wüstner mahnt erneut höheres Tempo bei Beschaffung an

Das sieht Oberst André Wüstner, DBwV-Bundesvorsitzender, ganz genauso. Alle wüssten, dass das Sondervermögen von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr nur das Fundament sein könne, auf dem es aufzubauen gelte, „sonst verpufft es.“ Ihn treibe die Frage um, ob das fraktionsübergreifend in der Bundespolitik verstanden wurde: „Gibt es neben der Zeitenwende auch eine Erkenntniswende in der Politik?“

In Sachen Beschaffung gehe es jetzt um Tempo. „Putin wird nicht im Sommer zur ,Friedenstaube´ werden. Nein, Putin stellt die russische Gesellschaft auf Systemkonflikt mit dem Westen ein, wir müssen uns entsprechend rüsten.“ Wüstner hob dabei den neuen Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) hervor. „Er geht sehr motiviert an die Sache“, so Wüstner.

Manche würden glauben, dass der Krieg in der Ukraine im Sommer vorbei ist. „Aber wir wissen, womit wir rechnen müssen. Die NATO geht von mindestens einer Dekade der Bedrohung aus“, so der DBwV-Bundesvorsitzende. Deshalb müsse die NATO in der Abschreckung besser werden.

Wüstner erneuerte seine Forderung, schnellstmöglich zu ersetzen, was an Material und Gerät an die Ukraine abgegeben wurde. „Ich kann nicht nachvollziehen, dass wir die Systeme nur in homöopathischen Dosen nachbestellen.“

Kernthema sei jetzt die Munition. „Die Ukraine verschießt in einem Monat, was wir in Europa in einem Jahr produzieren können. Die Kapazitäten müssen deshalb dringend ausgebaut werden“, sagte Wüstner. Er mahnte, auch an den Worst Case zu denken, wie sich dieser Krieg entwickeln könnte und deshalb Wehrhaftigkeit langfristig zu entwickeln. Dazu müsse die gesamtstaatliche Sicherheitsvorsorge wieder ganzheitlich gedacht werden.   

Sicherheit umfassend denken

Jamila Schäfer (Bündnis 90/Die Grünen), Mitglied im Auswärtigen Ausschuss des Deutschen Bundestags, betonte ebenfalls, dass Sicherheit umfassend gedacht werden müsse. Es gehe nicht nur um die Bundeswehr, sondern unter anderem auch um Zivilschutz und Cybersicherheit. „Diese Punkte dürfen aber nicht gegeneinander ausgespielt werden, da sie insgesamt für unsere Resilienz entscheidend sind.“ Mit Blick auf die Ukraine erklärte sie, froh zu sein, dass die Debatten über jedes einzelne Waffensystem beendet wurden. Sie unterstütze die eingeschlagene Linie, „dass wir alles machen, was militärisch notwendig ist, aber nicht zur Kriegspartei werden lässt, statt ständig rote Linien zu definieren und zu diskutieren.“

Für Führungsrolle Deutschlands in Europa

Für den estnischen General a.D. Riho Terras, EVP-Abgeordneter im Europäischen Parlament, ist wichtig, dass die Menschen verstehen, dass es Putin nicht um die Ukraine geht, sondern seine Feinde die NATO und die USA sind. „Die Ukraine ist nur Mittel zum Zweck. Und wir müssen alles tun, dass die Ukraine den Krieg nicht verliert“, betonte er.

Zudem plädierte er für eine Führungsrolle Deutschlands in Europa, auch wenn dies politisch umstritten sei. „Doch wer sollte dies übernehmen, wenn nicht Deutschland?“, fragte Terras.

In die NATO würde Terras die Ukraine sofort aufnehmen, auch wenn es politisch momentan unmöglich ist. „Aber ich bin optimistisch“, so der General a.D. Seine Hoffnung ruhe nun erst einmal in einem anderen Punkt auf dem NATO-Gipfel in Vilnius. Er wünsche sich, dass sich alle Partnerländer einigen, mindestens zwei Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts für Verteidigungsausgaben aufzuwenden. 

„Taiwan ist keine Frage, Taiwan ist die Antwort“

Den zweiten Teil des traditionellen Diskussionsformats zur außen- und sicherheitspolitischen Debatte im ländlichen Raum eröffnete Prof. Dr. Jhy-Wey Shieh, Repräsentant von Taiwan in Deutschland. China zählt die Insel zum eigenen Staatsgebiet und droht immer wieder mit der Eroberung Taiwans. In den Medien wird oft über die sogenannte Taiwan-Frage gesprochen. „Doch Taiwan ist keine Frage, Taiwan ist die Antwort“, so Shieh über den Konflikt mit dem autokratischen China und den immer häufigeren und realeren Bedrohungen.

Deshalb habe der Ukrainekrieg nicht nur Europa sondern ganz Asien beeinflusst. „Der Widerstandskampf der Ukrainer ist ein mutiges Zeichen auch für die Taiwaner“, sagte er. Die Ukraine dürfe nicht verlieren. „Würde sie verlieren, dann wäre die Ukraine in der Hand von Putins Russland. Das wäre das Gleiche wie mit dem demokratischen Taiwan und China.“ Der Schulterschluss des Westens mit der Ukraine und mit Taiwan sei deshalb gleichermaßen wichtig. Ebenso wichtig sei neben einer starken NATO eine indopazifische strategische Allianz. Prof. Dr. Jhy-Wey Shieh bewies in seinem Impulsvortrag, dass auch schwere und komplexe Themen mitunter einen Schuss Ironie vertragen können: „China und Taiwan sind großartig: China ist groß, Taiwan ist artig“, beendete er mit einem Augenzwinkern seinen Impulsvortrag.

Anschließend diskutierte er mit Gerd Friedsam, Präsident der Bundesanstalt Technisches Hilfswerk, Prof. Dr.-Ing. Martina Hofmann, Professur für Erneuerbare Energien an der Hochschule Aalen und  Charlotte Helzle, Geschäftsführerin hema electronic GmbH, über integrierte Sicherheit als Antwort auf die Zeitenwende.

„Wir brauchen eine starke Bundeswehr und ein neues Verständnis von Wehrhaftigkeit"

Dr. Hans-Peter Bartels, Präsident der Gesellschaft für Sicherheitspolitik und ehemaliger Wehrbeauftragter des Deutschen Bundestages, schloss die 10. Königsbronner Gespräche mit klaren Worten. Handel könne eine Waffe sein, Öl könne eine Waffe sein. Das seien potenzielle Mittel, mit denen Autokraten versuchen, die Demokraten zu spalten.

„Aber sie dürfen keinen Erfolg haben. Wir brauchen ein demokratisches Selbstbewusstsein, insbesondere in Deutschland mit Blick auf unsere Geschichte, und damit einen klaren Blick in die Zukunft. Wir brauchen eine starke Bundeswehr als Teil unserer Demokratie und ein neues Verständnis von Wehrhaftigkeit“, forderte Bartels.

Veranstalter der 10. Königsbronner Gespräche waren erneut Roderich Kiesewetter, das Politische Bildungsforum Baden-Württemberg der Konrad-Adenauer-Stiftung, das Bildungswerk des Deutschen BundeswehrVerbandes  sowie die Gesellschaft für Sicherheitspolitik.

Die gesamte Veranstaltung können Sie in dieser Aufzeichnung nachverfolgen.

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