Mission beendet: Im Juni 2021 zieht sich die Bundeswehr aus Afghanistan zurück. Die Aufarbeitung des Einsatzes läuft noch. Foto: Bundeswehr/Torsten Kraatz

Mission beendet: Im Juni 2021 zieht sich die Bundeswehr aus Afghanistan zurück. Die Aufarbeitung des Einsatzes läuft noch. Foto: Bundeswehr/Torsten Kraatz

02.04.2023
Von Christian Höb und Frederik Koch

Unvergessen: Heute vor 13 Jahren fielen drei deutsche Soldaten beim Karfreitagsgefecht

Der Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr ist Geschichte, eine Enquete-Kommission arbeitet die Lehren aus den Jahren am Hindukusch auf. Dazu gehört ganz sicher auch das Karfreitagsgefecht am 2. April 2010 einer der schwärzesten Tage in der Geschichte der Bundeswehr. An diesem Tag gerieten deutsche Soldaten in einen Hinterhalt der Taliban. Hauptgefreiter Martin Augustyniak (28), Stabsgefreiter Robert Hartert (25) und Hauptfeldwebel Nils Bruns (35) fielen nahe der Ortschaft Isa Khel. Acht weitere Soldaten wurden teilweise schwer verwundet.

Vier Bundeswehrsoldaten durchstreifen ein Weizenfeld in der Nähe des Ortes Isa Khel in Afghanistan. Es ist der 2. April 2010 – Karfreitag. Der Spähtrupp sucht eine abgestürzte Drohne. „Sie hatte die Funkverbindung verloren“, erinnert sich Oberfeldwebel Maik Mutschke. Was der Spähtrupp nicht weiß: Sie werden von etwa 80 Taliban beobachtet, die sich in getarnten Stellungen und Wohnhäusern verschanzt haben. Dann schnappt die Falle zu: Die Taliban tauchen auf. Schießen mit Handfeuer- und Panzerabwehrhandwaffen. Wechseln die Stellung. Schießen weiter.

Das Gefecht wird als Karfreitagsgefecht in die Geschichte eingehen. Nie zuvor ist die Bundeswehr derart an kriegerischen Auseinandersetzungen beteiligt gewesen. Auch deshalb setzt der Bundestag im Sommer 2022 eine Enquete-Kommission ein, die aus dem deutschen Engagement in Afghanistan Lehren für die künftige Sicherheits- und Außenpolitik ziehen soll. Sie untersucht den vollständigen Zeitraum des deutschen Engagements von 2001 bis 2021. Die erste Phase der Enquete-Kommission, die sich insbesondere mit den gemachten Erfahrungen in Afghanistan beschäftigt, soll Ende des Jahres beendet sein. Dann soll es auch eine Zwischenbilanz über die bisherigen Ergebnisse geben.

Wie handeln in Krisenregionen?

Die zweite Phase befasst sich anschließend mit den Folgerungen für das zukünftige Engagement Deutschlands in Krisenregionen. Ist auch diese Phase beendet – vermutlich Ende 2024/Anfang 2025 –, folgt ein finaler Abschlussbericht inklusive Handlungsempfehlungen. Gleichzeitig wird das Plenum des Bundestages über diesen Bericht beraten und – hoffentlich – eine zukunftsgerichtete sicherheitspolitische Grundsatzdebatte führen.

Der Spähtrupp auf dem Feld ist eingeschlossen. Drei Kugeln treffen Spähtruppführer Naef Adebahr im Bein. Hauptgefreiter Martin Augustyniak und ein weiterer Kamerad versorgen den Verletzten. Handgranaten explodieren. Mutschke kämpft sich durch den Kugelhagel mehrere hundert Meter zu den eigenen Hauptkräften durch und meldet den genauen Standort des verletzten Kameraden. Der ursprüngliche Hauptauftrag, in der Nähe von Isa Khel nach Sprengfallen zu suchen, ist vergessen. Fünf Mann sollen dem Spähtrupp zu Hilfe eilen. Einer dieser Soldaten berichtet später: „Wir werden mit allem beschossen. Uns fliegen die Kugeln nur so um die Ohren.“ Zum Teil sind die Angreifer weniger als 20 Meter entfernt.

Hätte man die Taliban als Konfliktpartei am Neuaufbau des Landes besser beteiligen können? Ja, auch wenn es in der Anfangsphase gerade aus US-amerikanischer Sicht nicht denkbar gewesen wäre, so wäre zumindest ein früherer Austausch mit den Taliban für einen erfolgreicheren Friedensprozess notwendig gewesen – so eines der bisherigen Ergebnisse der Enquete-Kommission. In ihren Sitzungen hat sich die Kommission beispielsweise aber auch schon mit der Rolle der Bündnispartner in Afghanistan beschäftigt.

Nach einer Stunde kann der Spähtrupp gerettet werden. Stabsgefreiter Robert Hartert gibt mit dem Maschinengewehr Deckung, wird dabei im Oberkörper getroffen. Rettungskräfte bringen die Verwundeten zur Landezone. Als die Amerikaner sich mit ihren Black Hawks erstmals der Landezone nähern, „gerät unser Helikopter unter heftigen feindlichen Beschuss von Maschinengewehren, Raketenwerfern und Mörsern“, erzählt US-Pilot Jason LaCrosse. Der damalige Entwicklungsminister Dirk Niebel (FDP) sagt später: „Ich habe die Hubschrauber hinterher gesehen. Die sahen aus wie Siebe.“ Die US-Piloten fliegen Adebahr und Hartert aus. Hartert erliegt im Feldlager seinen Verletzungen.

Die Enquete-Kommission befragt in öffentlichen Sitzungen verschiedene Zeitzeugen und Experten. Schon jetzt zeigt sich, dass sich eine mangelnde Strategie durch die Jahre des Afghanistan-Einsatzes zieht und bemerkbar gemacht hat. Die eigentliche Arbeit der zwölf Abgeordneten sowie deren Stellvertreter und zwölf Sachverständigen in der Enquete-Kommission passiert jedoch in nicht-öffentlichen Projektgruppen.

Die Enquete-Kommission ist gemäß der Mehrheitsverhältnisse des gesamten Parlaments in den entsprechenden Fraktionen aufgeteilt, das gilt auch für die Benennung der Sachverständigen. Einer von ihnen ist Oberst André Wüstner, der als Sachverständiger einen von der Funktion des DBwV-Bundesvorsitzenden losgelösten Status innehat. Oberst Wüstner wurde von der SPD-Fraktion nominiert und bekommt so die Gelegenheit, Sicherheitspolitik zukunftsorientiert mitzugestalten.

Enquete-Kommissionen dienen der Vorbereitung von gesetzgeberischen Entscheidungen über umfangreiche und bedeutsame Sachkomplexe. Damit sind sie eine Art Beratungsgremium innerhalb des Parlaments und für die Parlamentarier, indirekt wirken sie aber auch auf die Bundesregierung ein. Insbesondere weil diese nach wie vor in ihrem Ressortdenken verhaftet ist. Das gilt auch für die jeweilige Aufarbeitung des Engagements in Afghanistan. Besonders ist diese Enquete-Kommission, weil erstmalig ein außen- und sicherheitspolitisches Thema in diesem Format behandelt und vorangebracht wird.

Die Munition wird langsam knapp. Dann gerät ein „Dingo“ in eine Sprengfalle. Die Druckwelle schleudert den Hauptgefreiten Martin Augustyniak über eine Mauer. Er stirbt noch vor Ort, genau wie Hauptfeldwebel Nils Bruns. Das Gefecht wird noch Stunden dauern. Der Zugführer erinnert sich später: „Der ganze Tag kam mir wie eine halbe Stunde vor.“

Die Enquete-Kommission unterscheidet sich deutlich vom Untersuchungsausschuss Afghanistan, der ein spezifisches Instrument parlamentarischer Kontrolle darstellt und vor allem Missstände aufdecken soll. Hier dürfen zum Beispiel Zeugen und Sachverständige vernommen und Ermittlungen veranlasst werden.

Afghanistan war „ein Fiasko“

Der Afghanistan-Untersuchungsausschuss, den der Bundestag ebenfalls im Sommer 2022 eingesetzt hat, beschäftigt sich vor allem mit den Geschehnissen im Zusammenhang mit dem Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan, also der Evakuierungsmission sowie den Ereignissen davor und danach. „Wir setzen uns damit kritisch auseinander“, sagt Ralf Stegner (SPD), Vorsitzender des Untersuchungsausschusses Afghanistan, kürzlich im TV. „Der Einsatz in Afghanistan war der größte und längste Einsatz in der Geschichte der Bundesrepublik. Mit einem Fiasko als Ergebnis.“

59 Bundeswehrsoldaten sterben in Afghanistan. In der Provinz Baghlan fallen Major Jörn Radloff, Oberstabsarzt Thomas Broer, Hauptfeldwebel Marius Dubnicki und Stabsunteroffizier Josef Kronawitter am 15. April 2010 – also kurz nach dem Karfreitagsgefecht, in dem drei Kameraden sterben. Nach dem Karfreitagsgefecht sprechen deutsche Politiker nun zumindest von „kriegsähnlichen Zuständen“ in Afghanistan. Die Legende vom „Brunnen bohrenden Soldaten“ ist nun auch für den Uninteressierten widerlegt.

Es geht schnell an diesem bewölkten Mittwoch, dem 30. Juni 2021. Innerhalb weniger Minuten setzen drei Maschinen des Typs A400M auf dem Fliegerhorst Wunstorf auf. Sie bringen die letzten 264 Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr aus Afghanistan nach Hause. Frauen umarmen stürmisch ihre Männer, Väter haben Tränen in den Augen und nehmen ihre Kinder auf den Arm. Nach rund 20 Jahren ist die Afghanistan-Mission für die Bundeswehr zu Ende. Doch die Aufarbeitung ist noch lange nicht abgeschlossen. Die Erinnerung an die Gefallenen zu wahren, hat für den Deutschen BundeswehrVerband eine besondere Bedeutung. Der Satz des DBwV-Bundesvorsitzenden Oberst André Wüstner verliert nichts von seiner Gültigkeit: „Wir vergessen keinen unserer gefallenen Kameraden.“

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