Der Einsatz von SFOR-Truppen im Rahmen der NATO-Operation Joint Forge begann am 20. Juni 1998 und endete am 2. Dezember 2004. Die Operation Joint Forge diente der Sicherstellung von Frieden und Sicherheit der infolge des Bosnienkrieges destabilisierten Region. Die Bundeswehr hatte unter anderem CH-53 im Einsatz. Foto: Bundeswehr/Michael Maletz

25.09.2022
Von Christian Schmidt

Niemand wünscht sich die erneute Katastrophe

Die Menschen in Bosnien-Herzegowina wünschen sich nichts sehnlicher als Frieden – doch Aussöhnung im Sinne des Friedensabkommens von Dayton ist noch immer eine weitgehend unerfüllte und politisch leider torpedierte Aufgabe.

Bosnien-Herzegowina ist ein lebensfähiger Staat, ökonomisch mit viel ungenutztem Potential, gut ausgebildeten jungen Menschen auf europäischem Niveau und mit dem sehnsuchtsvollen Blick auf die Integration in das gemeinsame Europa. Dennoch wird dieses Land, ehemals Teilrepublik von Titos Jugoslawien, oft nur unter dem Blickwinkel von Krise betrachtet. Und dafür sorgt maßgeblich eine perspektivisch oft eindimensionale Politikerklasse im Lande. Dabei wäre internationale Aufmerksamkeit und Engagement der Schlüssel, um Krisen zu vermeiden.

Immerhin: der Angriff Russlands auf die Ukraine am 24. Februar hat das Interesse am Westbalkan intensiviert und auch Bewegung in Bosnien-Herzegowina gebracht. Dabei darf man nicht vergessen, dass hier Krieg und Völkermord noch nicht einmal dreißig Jahre her sind. Wer hier in Bosnien-Herzegowina die Bilder aus der Ukraine sieht, besonders die Kriegsverbrechen wie etwa in Bucha, der zuckt zwangsläufig zusammen. Meine Wahrnehmung ist, dass dies für Menschen aller Volksgruppen gilt, gleich ob Bosniaken, Kroaten, Serben oder andere. Niemand hier hat Sehnsucht nach einer Wiederholung dieser Katastrophe. Das hält aber auch führende politische Kräfte nicht von breitbeiniger Rhetorik und gezielter Provokation ab. Aussöhnung im Sinne des Friedensabkommens von Dayton ist noch immer eine weitgehend unerfüllte und politisch leider torpedierte Aufgabe.

2022 ist Wahljahr in Bosnien-Herzegowina, das macht die politisch ohnehin nicht unproblematische Konstellation im Land noch komplizierter. Die drei tonangebenden nationalistischen Parteien, die vorgeben, alleine die Interessen der Bosniaken (SDA), Serben (SNSD) und Kroaten (HDZ) zu vertreten, zeigen kein großes Interesse an einer Veränderung des Status Quo, in dem sie sich gut eingerichtet haben. Abgesehen von der Dayton-widrigen gezielten Segregation von den jeweils anderen Volksgruppen sind sie Weltmeister in der gegenseitigen Blockade. Zudem versucht die Republika Srpska, neben der Bosniakisch-Kroatischen Föderation die andere Entität des Landes, weiterhin – mittlerweile mit etwas weniger Furor – autonom zu werden und sich einseitig Kompetenzen vom Bundesniveau auf die Entität anzumaßen.

Leider sind auch manche kroatische Stimmen, die de facto das Washingtoner Abkommen in Frage stellen wollen, nicht zu überhören. Im April habe ich als Hoher Repräsentant meine sogenannten „Bonn Powers“, (Gesetzgebungs- und Anordnungskompetenzen mit unmittelbarer Wirkung) einsetzen müssen, um ein Gesetz außer Kraft zu setzen, dass verfassungswidrig vorsieht den kompletten ehemaligen Staatsbesitz auf dem Gebiet der Republika Srpska dieser Entität zuzuschlagen. In der Internationalen Gemeinschaft wurde der Einsatz der Bonn Powers ambivalent gesehen. Das sollte natürlich die große Ausnahme sein, denn längst müsste das eigene Parlament und die eigene Regierung Entscheidungen treffen können. Wer in die EU will, kann nicht noch von einem internationalen Gouverneur kontrolliert werden, dessen Machtfülle Anklänge an Lucius D. Clay hat. Dazu bedarf es aber eines Sinneswandels, der noch nicht weit genug gediehen ist. Gegenwärtig muss ich immer noch Dauerblockaden auflösen, die völlig überflüssig sind, dem Land schaden – und die einen manchmal in Rage bringen können.

Dabei kommt große Unterstützung von der Bevölkerung, gleich ob ich ein Sonderbudget anordnen musste, das die ordentlichen Parlaments- und Präsidentschaftswahlen wie gesetzlich vorgesehen am 2. Oktober diesen Jahres überhaupt technisch stattfinden können oder ob ich zur Erschwerung von Wahlbetrug schärfere Regeln anordnen musste, die das Parlament keine Kraft gehabt hatte zu verabschieden.

Auch für die Politiker hat der Kriegsausbruch in der Ukraine aber Parameter verschoben. So hat man in der Republika Srpska verstanden, dass der große Freund Russland derzeit nichts für sie tun kann. Für die Verantwortlichen der Republika Srpska, insbesondere Milorad Dodik, der bisherigen Nummer eins in der serbisch dominierten Teilrepublik, wurde das unter anderem klar erkennbar, als ich als Hoher Repräsentant im Mai vor dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen sprach, ohne das Russland irgendetwas dagegen unternehmen konnte. Die Diskussion um die vermeintliche Illegitimität des Hohen Repräsentanten, ein Versuch der Republika Srpska, sich der Kontrolle der Internationalen Gemeinschaft zu entziehen, ist seitdem verstummt.

Aber ein Blick richtet sich auf den „militärischen Zwillingsbruder“ des Hohen Repräsentanten, des anderen internationalen exekutiven Organs, das der Dayton-Vertrag vorsieht: EUFOR Althea, die militärische Stabilisierungsmission, die wir in Deutschland und der Bundeswehr noch aus der Vorgängermission SFOR gut kennen. Bis 2007 war SFOR unter deutschem Kommando, bis 2012 mit Bundeswehrbeteiligung. Nunmehr ist EUFOR Althea die einzige EU-Militärmission, die über die Berlin-plus-Vereinbarung mit der NATO gemeinsam betrieben wird. Sie muss jährlich vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen verlängert werden, im Gegensatz zum unbefristeten Mandat des Hohen Repräsentanten.

Da nicht absehbar ist, ob das kriegführende Russland bei der Entscheidung im November ein Veto einlegen will, gilt es deutlich zu machen, dass die NATO nach hiesiger Ansicht direkt auch aus dem Dayton-Vertrag die Möglichkeit hätte, notfalls bei Verweigerung auch ohne Sicherheitsratsbeschluss die Sicherheit in Bosnien-Herzegowina zu gewährleisten. Für die Bürgerinnen und Bürger gilt die Präsenz der gerade in Bataillonsstärke ohne schwere Bewaffnung aktiven Truppe und der Reserven als eine essentielle vertrauensbildende Maßnahme für die Sicherung einer friedlichen Zukunft, insbesondere im vorstellbaren Falle regionaler oder lokaler destruktiver Provokationen.

Der jüngste Beschluss des Deutschen Bundestages, ein kleines Kontingent jetzt zu EUFOR Althea zu entsenden, wirkt vor Ort als ein kraftvolles Bekenntnis Deutschlands zur Sicherheit und Verantwortung für Bosnien-Herzegowina. Ich war 1992 zum ersten Mal in Bosnien und dann natürlich in meinen Jahren als Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung viele Male – nicht nur in Rajlovac. Vieles hat sich durchaus normalisiert und trotz der politischen und ethnischen Destruktionen gut entwickelt.

Was geblieben ist, ist das hohe Ansehen, das Deutschland und seine Vertreter – die Bundeswehr insbesondere – in allen Teilen Bosnien-Herzegowinas genießt. Dies gibt uns Verantwortung und mir Unterstützung bei der nachhaltigen Stabilisierung des Landes.

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