Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) und Generalinspekteur Volker Wieker beim Besuch des Jägerbataillons 291 der Bundeswehr in Illkirch Foto: dpa

Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) und Generalinspekteur Volker Wieker beim Besuch des Jägerbataillons 291 der Bundeswehr in Illkirch Foto: dpa

04.05.2017

So kommentiert die Presse die Debatte in der Bundeswehr

Berlin/Illkirch. Auch nach dem Besuch von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen beim Truppenstützpunkt im französischen Illkirch hält die Kritik an der Amtsführung der CDU-Politikerin an. Er halte es für falsch, dass sie „einen großen Tross an Journalisten“ mitgenommen habe, sagte der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Wolfgang Hellmich (SPD), der „Passauer Neuen Presse“. „Es drängt sich der Verdacht auf, es gehe der Ministerin um eine Inszenierung von Handlungsfähigkeit.“ Zwar sei Sachaufklärung notwendig, doch gelte es, Showeffekte zu vermeiden.

Am Stützpunkt der deutsch-französischen Brigade in Illkirch war der rechtsextreme und unter Terrorverdacht festgenommene Oberleutnant Franco A. stationiert. Der 28-jährige Deutsche, der sich als syrischer Flüchtling ausgegeben hatte, steht im Verdacht, einen Terroranschlag geplant zu haben.

Von der Leyen will sich an diesem Donnerstag in Berlin mit rund 100 Generälen und Admiralen treffen. Bei dem Treffen soll geklärt werden, weshalb Informationen zu Verfehlungen an einzelnen Bundeswehrstandorten zuletzt mehrfach nicht den Weg ins Ministerium gefunden hatten. Hintergrund sind neben der Affäre um den rechtsextremen Bundeswehroffizier auch Fälle von Erniedrigung, sexueller Herabwürdigung und Schikane, mit denen die Bundeswehr zuletzt für Schlagzeilen gesorgt hatte.

Nicht nur unter Politikern, sondern auch in der deutschen Presse wird heftig über den Fall und den Umgang der Ministerin damit diskutiert. Ein Überblick.

"Saarbrücker Zeitung"


Nicht von der Leyens kritische, später übrigens auch selbstkritische Worte, sind doch der eigentliche Skandal, sondern die üble Schikane in der Truppe und das dubiose Doppelleben eines terrorverdächtigen Offiziers als Flüchtling bis hin zu einem mutmaßlich rechtsextremen Netz in der Bundeswehr. (. . .) Im Kern muss die Verteidigungsministerin gleichwohl nichts von ihrer Aussage zurücknehmen. So unterschiedlich die Einzelfälle auch gelagert sind, so steckt dahinter doch offenbar ein besorgniserregendes Muster: Unregelmäßigkeiten und Verfehlungen aller Art werden in der Bundeswehr entweder stillschweigend geduldet oder schlicht vertuscht.

"Hannoversche Allgemeine Zeitung"


Richtig ist wohl die These, dass Uniform, Drill und Waffen im Vergleich zur Gesamtbevölkerung weniger für Links- als für Rechtsgesinnte attraktiv sind. Die Erkenntnis ist nicht neu und kein exklusives Problem der Bundeswehr. Einer Armee übrigens, in der viele unbescholtene Soldaten ihren Dienst versehen - und im Zweifel den Kopf hinhalten. Gerade in deren Sinn müssen die Oberen auf ihre Untergebenen achten. Und das beginnt bei der Verteidigungsministerin. Warum ist ein Generalmajor mit solch einer Haltung nicht aufgefallen? Und wie überwindet man den Korpsgeist, der ihn mutmaßlich geschützt hat? Und wer begutachtet eigentlich die Führungsstäbe?

"Rhein-Neckar-Zeitung"


Das Erstaunliche an dieser Affäre ist eigentlich weniger die Tatsache, dass es auch rechtsradikale Bundeswehroffiziere gibt. Das Erstaunliche ist vielmehr die politische Fehlleistung der zuständigen Ministerin. Ursula von der Leyen hat in einer bei ihr bisher nicht gekannten Instinktlosigkeit den Vorurteilshammer quer über die gesamte Truppe geschwungen. Bei den meisten Soldaten ist sie damit unten durch - und politisch sieht es auch eher düster aus. Reservekanzlerin? Erneut Chefin über knapp 180.000 Soldaten? Wohl kaum.

"Kölner Stadt-Anzeiger"


Man kann Ministerin Ursula von der Leyen vorwerfen, zu langsam reagiert zu haben. Und als Oberste Befehlshaberin, seit vier Jahren im Amt, hat sie mindestens eine Mitverantwortung. Falsch liegt sie aber nicht: Natürlich ist es Führungsversagen, wenn ein Soldat eine rechtsextreme Examensarbeit abliefert und nichts passiert. Es ist mehr als ein Versehen, wenn Folter und Perversion in manchen Einheiten zu Einstandsritualen gehören. Die Bundeswehr ist deswegen keine Ansammlung von Rechtsextremen und Sadisten. Aber die Grenzen von Befehl und Gehorsam scheinen nicht jeden zu erreichen, genauso wenig wie der Unterschied zwischen schräger Ansicht und Extremismus.

"Volksstimme" (Magdeburg)  


Wenn die Bundeswehr Personalprobleme hat, reichen sie vom untersten Rang bis zur Ministerin. Ursula von der Leyen hat stets die stramme Einzelführung praktiziert, statt mit der Generalität zu kooperieren. Zumal der gern als Merkel-Nachfolgerin gehandelten CDU-Politikerin die Kompetenz augenscheinlich abging. Die mit der Kita-Initiative für Soldaten gestartete frühere Familienministerin sortierte lieber Untergebene aus, wenn gravierende Mängel öffentlich wurden. Die gab es reichlich: ein Sturmgewehr, das nicht trifft, Flugzeuge, die wegen Ersatzteilmangels nicht fliegen, oder Rekruten, die in Kasernen gequält werden. Der Skandal um einen rechtsextremen Offizier schien der Ministerin gar dazu angetan, die Armee unter Generalverdacht zu stellen. Eine Katastrophe, die Truppenbesuch und Aufklärungswillen nur abmildern. Bei den Soldaten ist von der Leyen unten durch. Ihre politische Karriere scheint auf einmal endlich.

"Reutlinger General-Anzeiger"


Im Übrigen gilt, die Bundeswehr ist ein Spiegelbild der Gesellschaft. Oder doch nicht? Zumindest galt das bis zur Aussetzung der Wehrpflicht. Die Befürworter einer Beibehaltung der Wehrpflichtbefürchteten unter anderem, dass eine Berufsarmee auf Dauer zu einer geschlossenen Gesellschaft innerhalb der Gesellschaft führen könnte. Auch das Nachwuchsproblem sahen sie voraus. Es führt inzwischen dazu, dass Leute genommen werden müssen, die unter anderen Umständen kaum den Weg in die Streitkräfte gefunden hätten. Im Fall Franco A. darf es nicht verwundern, wenn es jetzt wieder heißt, die Bundeswehr ist auf dem rechten Auge blind. Es gab Hinweise genug, um entsprechend reagieren zu können.

"Leipziger Volkszeitung"


Führung und Haltung hat Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen von der Truppe eingefordert. Und sich damit massive Kritik von ihren Soldaten eingehandelt. Im Fall Franco A. hat es aber ganz offensichtlich an Führung und Haltung gemangelt. Genauso wie in dem Fall der unsäglichen Aufnahmerituale im baden-württembergischen Pfullendorf oder dem Sex-Mobbing bei Gebirgsjägern im bayerischen Bad Reichenhall. Ist die Bundeswehr also rechtsdurchwirkt, seit sie eine Berufsarmee ist? Dafür gibt es trotz des Falls Franco A. bislang keine belastbaren Fakten. Richtig ist wohl die These, dass Uniform, Drill und Waffen weniger für Links- als für Rechtsgesinnte attraktiv sind.

"Der Tagesspiegel" (Berlin)


Jetzt zeigt sich der Fluch der schlechten Tat. Mit der Wehrpflicht war die Bundeswehr tief, jedenfalls tiefer als heute, in der Gesellschaft verankert. Gerade vor diesem Hintergrund werden alle die Versäumnisse und Fehler der vergangenen Jahre deutlich. Nicht nur in den dreieinhalb Jahren der Ursula von der Leyen. Der Status der Armee ist in jeder Hinsicht besorgniserregend. Nach immer wieder veränderten Bundeswehrplänen - die stets aufs Neue erhebliche Unruhe ins ohnehin schon beunruhigte Umfeld gebracht haben - ist es so: Beim Material fährt, fliegt und schwimmt zu vieles nicht. Bei der Munition drohen Engpässe. Und dann müssen die Streitkräfte auch noch um jeden halbwegs Willigen kämpfen.

"Berliner Zeitung" 


Das Entsetzen über von der Leyens Worte scheint fast größer zu sein als das über die Taten. Die Sturzgefahr ist so akut, dass die Ministerin eine USA-Reise absagt. Es kommt da mehreres zusammen: offene Rechnungen, Wahlkampfgetöse und eine für manch Traditionalisten unbequeme Ministerin, die manchmal allerdings auch eine etwas zu große Show abzieht und die Schuld gerne bei anderen sucht. Man kann ihr vorwerfen, zu langsam und zu spät reagiert zu haben...Falsch liegt sie aber nicht: Natürlich ist es Führungsversagen, wenn ein Soldat eine offen rechtsextreme Examensarbeit abliefert und anschließend nichts passiert.

"Mittelbayerische Zeitung" (Regensburg)


Es ist nicht hilfreich, wenn rechtsextreme Haltungen von vorneherein als "Einzelfälle" abgetan werden. Das heißt nicht, dass alle Soldaten unter Generalverdacht stehen. Im Gegenteil: Unabhängige Aufklärung schützt auch sie. Dennoch, sie und ihre Vorgesetzten müssen ihre Aufgabe als "Staatsbürger in Uniform" wörtlich nehmen, wenn sie mit Extremismus konfrontiert werden. Dazu brauchen sie aber Unterstützung: Von der Leyen muss ein Klima schaffen, in dem Soldaten solche Umtriebe anzeigen. Das wird der Ministerin wohl kaum gelingen, ohne dass sie Personal auswechselt. Doch das ist der zweite Schritt vor dem ersten: Erst muss das Parlament seine Armee unter die Lupe nehmen.

"Mitteldeutsche Zeitung" (Halle) 


Immer wieder war von bedauerlichen Einzelfällen die Rede. Dann war wieder Schweigen und der Verweis darauf, dass die Vermittlung demokratischer Grundwerte zur Standardausbildung von Soldaten gehört. Das stimmt. Zum Standard wird es allerdings auch gehören, dass Unterrichtsteile wie im Traum vorbeiziehen oder aber nicht verstanden werden. Das ist nicht nur in der Bundeswehr so, aber wo Waffen im Spiel sind, wiegt Menschenverachtung besonders schwer. Dazu passt, dass Bundesinnenminister Thomas de Maizière ausgerechnet jetzt eine Leitkulturdebatte losgetreten hat.

"Frankfurter Allgemeine Zeitung"


(...) Der Fall Franco A. ist der erste, der Asylpolitik, Fremdenfeindlichkeit und Terrorverdacht auf recht verschlungene Weise mit der Bundeswehr verbindet. Das allein spricht dafür, dass nicht die Bundeswehr ein "Haltungsproblem" hat, nach dem Motto: Militär zieht die Rechtsradikalen an wie das Licht die Motten, und diese werden auch noch "gedeckt" und dürfen ein "Netzwerk" bilden. Allenfalls die Grenadiere des Journalismus sind vorerst auf diesem Trip. Es wäre zu wünschen, dass nicht immer nur die Union, sondern auch die SPD dagegenhält und Verantwortung großschreibt, wenn es um das Militärische geht. Das Wort "Haltung", das sich die SPD im Wahlkampf auf die Fahnen geschrieben hat, bekäme dadurch erst die Bedeutung, die ihm gebührt.

"Nürnberger Nachrichten"


Wer bei der Bundeswehr Probleme in seinem Arbeitsbereich nach oben weiter meldet, macht sich sehr schnell unbeliebt und verbaut sich Chancen auf eine Beförderung. Das muss sich grundlegend ändern - und hier liegt jetzt die große Aufgabe Ursula von der Leyens: Dass eine demokratische Armee weder Sadisten noch Rechtsradikale dulden kann, dass jeder Befehlshaber gegen sie vorgehen und Missstände melden muss, lässt sich aber nicht durch einen einfachen Tagesbefehl erreichen. Doch das muss künftig jeder Vorgesetzte bis hin zum letzten Hauptfeldwebel verstehen. Und er muss sicher sein, dass so eine Meldung nach oben ein dickes Plus für die Karriereleiter bedeutet.