Auch die Fähigkeit zur Selbstreflexion sollte stärker das Ziel der Führerausbildung in der Bundeswehr sein, sagt Generalmajor a.D. Reinhardt Zudrop. Foto: dpa

Auch die Fähigkeit zur Selbstreflexion sollte stärker das Ziel der Führerausbildung in der Bundeswehr sein, sagt Generalmajor a.D. Reinhardt Zudrop. Foto: dpa

10.08.2020
Frank Jungbluth

„Vorgesetzte tragen eine besondere Verantwortung“

Reinhardt Zudrop, Generalmajor a.D., war bis zum Eintritt in den Ruhestand im März 2020 Kommandeur des Zentrums für Innere Führung. Im Gespräch erklärt er seinen Blick auf die Lage der Dinge beim KSK und in der Bundeswehr.

Berlin. Generalmajor a.D. Reinhardt Zudrop kennt das KSK aus seiner Zeit als Truppenführer in Afghanistan vor zehn Jahren. Spezialkräfte, ist Zudrop überzeugt, leisten entscheidende Beiträge zur gesamtgesellschaftlichen Sicherheitsvorsorge. Die Einsatzbereitschaft und die Einsatzfähigkeit seien entscheidend, sagt der Offizier. Das Motto des KSK, „der Wille entscheidet“, ist, so Zudrop, auch die Maxime des Handelns für die Verbannung rechtsextremer Umtriebe im Verband.Die Bundeswehr:Herr General, Sie waren Truppenführer und haben auch in Afghanistan geführt. Haben Sie in dieser Zeit das KSK als einen Verband erlebt, der – so lauten viele Vorwürfe angesichts der aufgeheizten Stimmung in den vergangenen Wochen – ein Eigenleben geführt hat?

Generalmajor a.D. Reinhardt Zudrop: Die Lage in Afghanistan und besonders auch in der Provinz Kunduz im Jahr 2010 war aus vielerlei Gründen schwierig. Ich habe von März bis September des Jahres das PRT (Provincial Reconstruction Team) Kunduz geführt. Im Camp Kunduz war, in einem eigenen Bereich, auch die TF 47 untergebracht. Sie bestand weit überwiegend aus Soldaten des KSK. Bezüglich ihrer Operationen führte die TF 47 kein Eigenleben: Als im Raum verantwortlicher militärischer Führer erhielt ich regelmäßig insoweit Kenntnis über geplante Operationen, dass ich über das Zeitfenster und den groben Operationsraum vorab gebrieft wurde. Dieses Vorgehen war erforderlich, um die Koordinierung mit der Operationsführung des PRT sicherzustellen und Konflikte zu vermeiden. Nach Ende der Operation erhielt ich zeitnah Informationen zu Verlauf und Ergebnis des Einsatzes mit Relevanz für das PRT. Insgesamt verlief die Zusammenarbeit nach dem bewährten „need-know-Prinzip“ und entsprach dem Koordinierungsverfahren mit den ebenfalls vor Ort operierenden US-Spezialkräften.

Wenn nicht in Operationen gebunden bewegten sich die Soldaten des KSK im gesamten Camp und hatten Kontakte zu den anderen Angehörigen des PRT. Zum eigenen Bereich der TF47 im Camp Kunduz hatte ich als Kommandeur jederzeit Zugang. Also auch hier kein Eigenleben über die erforderlichen Absicherungsmaßnahmen hinaus. Im Übrigen waren wir alle froh über die Anwesenheit der TF 47 und ihren Beitrag zum Schutz der eigenen Kräfte vor Ort.

Ist ein Eliteverband anfälliger für rechtsradikale Tendenzen, weil die Einsätze hart und die Zeiten in Übung und Einsatz mehr als 200 Tage im Jahr andauern?
Ich kann nicht abschließend beurteilen, ob und gegebenenfalls wodurch Eliteverbände anfälliger für radikale Tendenzen sind als andere militärische Einheiten. Mir erscheint aber einleuchtend, dass die Besonderheit der Aufträge von Spezialkräften und ihre oft langen Abwesenheiten aus dem gewohnten sozialen Umfeld Bezugsrahmen verändern können und besondere Herausforderungen für die Frauen und Männer darstellen. Schlüsselerlebnisse aus dem Einsatz wirken auch nachhaltig auf eigene Einstellungen und Haltungen ein und können diese in einem schleichenden Prozess verändern. Daher müssen wir dafür Sorge tragen, dass Erlebtes auch außerhalb des unmittelbaren Kameradenkreis besprochen und verarbeitet werden kann, um Echoblasen, die Raum für das Entstehen von kruden Ideen bieten, zu verhindern. Die Vorgesetzten vor Ort tragen eine besondere Verantwortung.

Wie wichtig ist das KSK für die Bundeswehr und die Sicherheitspolitik der Bundesrepublik?
Einsatzbereite und reaktionsschnelle militärische Spezialkräfte sind eine strategische Fähigkeit, auf die gerade in der heutigen Zeit mit ihren diffusen Bedrohungen und schwindenden Gewissheiten kein Staat verzichten kann. Sie leisten entscheidende Beiträge zur gesamtgesellschaftlichen Sicherheitsvorsorge. Zum Beispiel durch Informationsbeschaffung im Rahmen militärischer Aufklärung, den Schutz deutscher Einrichtungen und Kräfte im Ausland sowie die Fähigkeit, weltweit Personen zu retten, zu befreien und zu evakuieren. Darüber hinaus tragen Spezialkräfte maßgeblich zur Bündnisfähigkeit Deutschlands bei. Deshalb müssen Einsatzbereitschaft und Einsatzfähigkeit des Kommandos auch weiterhin mit hoher Priorität sichergestellt werden.

Als Chef des Zentrums für Innere Führung gehörte auch die politische Bildung in Ihren Verantwortungsbereich. Gibt es zu wenige Angebote für Soldatinnen und Soldaten?
Die Bildungs- und Ausbildungsangebote des Zentrums Innere Führung richten sich im Wesentlichen an die Multiplikatoren in den Streitkräften, an Vorgesetzte und Ausbilder. Diese Angebote für die politische, historische und ethischen Bildung sind umfangreich und vielfältig, regelmäßige Evaluation der Angebote garantiert Aktualität und Qualität. Aber werden die zur Verfügung stehenden Programme und Materialien in der Truppe optimal genutzt? Sicher sind fordernde Auftragslage und fehlende Zeit häufig Gründe für zum Beispiel nicht oder nur lieblos durchgeführte politische Bildung. Professionelle militärische Ausbildung und wertegebundene Persönlichkeitsbildung in ihren ethischen, politischen und historischen Dimensionen müssen aber als zwei gleichberechtigte Seiten einer Medaille verstanden und so konsequent umgesetzt werden. Nicht weniger fordert das Bild vom Staatsbürger in Uniform.

Wie erkennt man Soldaten, die den Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung verlassen haben?
Wenn die Ablehnung unserer gesellschaftlichen und staatlichen Ordnung nicht offen artikuliert wird, ist es schwierig, solche Entwicklungen zu erkennen. Was im Kopf eines Menschen vor sich geht, kann man in der Regel nicht wissen, manchmal nicht mal erahnen. Als Erste erkennen vermutlich die Kameradinnen und Kameraden im unmittelbaren Umfeld, wenn sich jemand in seinen Einstellungen verändert. Häufig sind es sehr subtile Indizien im Verhalten und in der Sprache. Es ist nicht unkameradschaftlich, dann die betreffende Person zur Rede zu stellen. Einfach wegschauen und die Dinge laufen zu lassen, ist keine Option. Vorgesetzte, die gut geschult und sensibilisiert sind, die die Ihnen anvertrauten Menschen kennen, ihr Vertrauen genießen und sie wertschätzend führen, haben alle Chancen, Fehlentwicklungen frühzeitig zu erkennen und entschlossen gegenzuhalten.

Können Sie verstehen, wenn Kommandosoldaten beklagen, dass einige wenige Extremisten in ihren Reihen dafür sorgen, dass ein ganzer Verband ins Zwielicht gerät?
In der Bundeswehr darf es keinen Platz geben für Menschen mit extremistischen Einstellungen, weder für Menschen in Uniform noch in Zivil. Pauschale Vorwürfe und Vorurteile sind jedoch auch weder akzeptabel noch hilfreich. Ich glaube, jeder kennt das bittere Gefühl, wenn man – absichtlich oder nicht – für eine Sache in Mithaftung genommen wird oder eine Mitschuld aufgeladen bekommt, an der man keinen Anteil hatte. Insofern kann ich verstehen, dass sich Kommandosoldaten darüber beklagen, wenn der Verband als Ganzes unter Verdacht gestellt wird.

Das Beklagen dieser Situation führt aber nicht weiter. Ich würde mir wünschen, dass jeder Angehörige des Verbandes in einer ruhigen Stunde einmal in sich geht und ernsthaft darüber nachdenkt, ob eigenes Verhalten oder Unterlassen vielleicht dazu beigetragen hat, dass es so weit kommen konnte. Wenn daraus die ehrliche Absicht erwächst, in Zukunft achtsamer zu sein, wäre schon viel gewonnen. Und wenn das Motto des KSK, „der Wille entscheidet“, auch für die Verbannung rechtsextremer Tendenzen im Kommando gilt, sehe ich das KSK auf einem guten Weg.

Wie kann man verhindern, dass sich Soldaten in einem Verband, einer Kompanie isolieren und sich radikalisieren, ohne dass es auffällt?
Zunächst einmal ist es wichtig, dass Menschen mit extremistischen Einstellungen der Weg in die Bundeswehr verwehrt wird. Eine wirkungsame Überprüfung der Bewerber für den Dienst in der Bundeswehr ist daher von großer Bedeutung. Hochwertige politische, ethische und historische Bildung, frühzeitig in der Grundausbildung beginnend und als regelmäßige Begleitung des militärischen Dienstes, stärkt die Urteilsfähigkeit unserer Soldatinnen und Soldaten und kann präventiv gegen populistische und extremistische Einflussnahme wirken.

Im Übrigen fallen doch Verhaltens- und Einstellungsänderungen eines Soldaten als Erstes im Kameradenkreis auf und sollten Anlass sein, ein kameradschaftliches Gespräch mit dem Betroffenen zu suchen oder zum Beispiel die Vertrauensperson zu bitten, dies zu tun. Dazu müssen wir unsere Soldatinnen und Soldaten ermutigen. Sollten sich Hinweise darauf ergeben, dass die Möglichkeit einer Radikalisierung besteht, führt indes kein Weg an der Meldung an den Vorgesetzten vorbei.

Rechtsradikalismus, sagt auch der Chef des BAMAD, sei ein ernst zu nehmendes Problem in der Bundeswehr insgesamt. Was macht Soldaten anfällig für rechtsradikales Gedankengut?
Rechtsradikalismus ist ein virulentes, ernstzunehmendes  gesamtgesellschaftliches Problem, und es wäre geradezu ein Wunder, wenn die Bundeswehr davon nicht berührt wäre. Nach meiner Kenntnis fehlen aber bis heute empirische Erkenntnisse darüber, ob Angehörige der Bundeswehr eher offen sind für rechtsextremes Gedankengut als der Rest der Gesellschaft. Im Rahmen des Projekts „Innere Führung – Heute“ hatte ich die Wahrnehmung, dass gerade Führungskräfte, die sich selbst für besonders erfolgreich halten, weniger zur Selbstreflexion neigen. Das deckt sich mit Beobachtungen, die die Philosophin Hannah Arendt beschreibt, wonach Militärs „Männer, gewohnt zu siegen“ seien und dass man bei solchen Leuten „kein großes Bemühen um unparteiische Selbstprüfung“ finde. Kann es sein, dass fehlende Reflexion des eigenen Handelns unbewusst zu schleichenden Kursabweichungen führt? Wenn dem so ist, sollten wir den Willen und die Fähigkeit zur Selbstreflexion stärker zu einem Ziel unserer Führerausbildung machen.

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