Im Vorfeld des NATO-Verteidigungsministertreffens tauschte sich Christine Lambrecht mit Generalsekretär Jens Stoltenberg aus. Foto: BMVg/Twitter

16.02.2022
dpa/yb

Vorsichtiger Optimismus in der Ukraine-Krise – NATO-Verteidigungsminister beraten in Brüssel

Die Moskau-Reise von Bundeskanzler Olaf Scholz und die russische Ankündigung, einen Teil seiner Truppen aus der Grenzregion zur Ukraine abzuziehen, geben wieder Grund zum verhaltenen Optimismus, dass die aktuelle Krise mit diplomatischen Mitteln abgewendet werden kann. Heute und morgen beraten die NATO-Verteidigungsminister über die Lage.

Mit der Ankündigung eines teilweisen Truppenabzugs hat Russland am Dienstag überraschend ein Zeichen der Entspannung in der Ukraine-Krise gesetzt. Bei einem Treffen mit Bundeskanzler Olaf Scholz erklärte Präsident Wladimir Putin anschließend in Moskau, dass Russland keinen neuen Krieg in Europa wolle. „Dazu, ob wir das wollen oder nicht: Natürlich nicht!“, sagte Putin im Kreml nach dem dreistündigen Gespräch. Scholz verwies auf einen großen Spielraum für Verhandlungen. „Die diplomatischen Möglichkeiten sind bei weitem nicht ausgeschöpft“, sagte er.

Stunden vor dem Antrittsbesuch von Scholz in Moskau begann Russland nach eigenen Angaben mit dem Abzug von Truppen im Süden und Westen des Landes. Dort seien einzeln Manöver abgeschlossen, hieß es. Andere Übungen – darunter im Nachbarland Belarus – liefen aber weiter.

Ähnlich wie Scholz warb auch US-Präsident Joe Biden in Washington für eine friedliche Lösung. „Wir sollten Diplomatie jede Chance auf Erfolg geben“, sagte er – auch wenn ein russischer Einmarsch „immer noch“ eine klare Möglichkeit sei. Er betonte zugleich: „Die Vereinigten Staaten und die Nato stellen keine Bedrohung für Russland dar. Die Ukraine bedroht Russland nicht.“ Die USA versuchten auch nicht, Russland zu destabilisieren. Auch an die Bürgerinnen und Bürger Russlands richtete Biden eine Botschaft: „Sie sind nicht unser Feind.“

Zu Meldungen der russischen Regierung, einige Militäreinheiten zögen ab, sagte Biden: „Das wäre gut, aber wir haben das noch nicht verifiziert.“

Scholz sprach bei einer Pressekonferenz mit Putin von einem „guten Zeichen“. Er hoffe, dass ein weiterer Truppenabzug folge. „Wir sind bereit, gemeinsam mit allen Partnern und Verbündeten in der EU und der Nato und mit Russland über ganz konkrete Schritte zur Verbesserung der gegenseitigen – oder noch besser, der gemeinsamen – Sicherheit zu reden.“

Die USA und Europa hatten auf die russischen Manöver äußerst besorgt reagiert. Die USA befürchten, dass die Truppenbewegungen sowie ein Aufmarsch Zehntausender Soldaten entlang der ukrainischen Grenze der Vorbereitung eines Krieges dienen. Russland weist das zurück.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier erklärte zum russischen Truppenabzug zurückhaltend, man wisse noch nicht, ob er wirklich stattfinde. „Wir brauchen klare, belastbare, glaubwürdige Signale der Deeskalation“, sagte er am Dienstag bei einem Besuch in Lettland. Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba erklärte: „Erst wenn wir einen Abzug sehen, dann glauben wir an eine Deeskalation.“

Ähnlich erklärte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg in Brüssel: „Bislang haben wir vor Ort keine Deeskalation gesehen, keine Anzeichen einer reduzierten russischen Militärpräsenz an den Grenzen zur Ukraine.“

Die Verteidigungsminister der 30 Nato-Staaten beraten an diesem Mittwoch in Brüssel über Planungen für eine zusätzliche Abschreckung Russlands. Angesichts des russischen Truppenaufmarsches sollen so auch in südwestlich der Ukraine gelegenen Nato-Ländern wie Rumänien multinationale Kampftruppen stationiert werden.

Über eine dauerhafte Verstärkung der Nato-Ostflanke soll nach Angaben von Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht erst in einigen Monaten entschieden werden. Es sei wichtig, dass man klare Signale setze, dass die Ostflanke wichtig sei, sagte die SPD-Politikerin am Rande des Treffens der Verteidigungsminister der Bündnisstaaten. Beschlüsse über eine dauerhafte Präsenz sollten aber „nicht in dieser aktuellen Situation“, sondern im Sommer „nach einer intensiven Prüfung und unter Beobachtung der Situation dann“ getroffen werden.

Die aktuelle Verstärkung der Ostflanke zum Beispiel über die Entsendung von rund 350 zusätzlichen deutschen Soldaten nach Litauen und mit Eurofightern für die Luftraumüberwachung ist nur vorübergehend und als Abschreckung gegenüber Russland gedacht.

„Es ist wieder die Stunde der Diplomatie“, sagte Lambrecht. „Wir müssen im Gespräch bleiben. Wir sind alle aufgefordert, einen Krieg mitten in Europa zu verhindern.“

Zu den jüngsten Signalen aus Moskau, die auf eine Fortsetzung des Dialogs hindeuten, äußerte sich Lambrecht vorsichtig optimistisch. „Es gibt Signale, die uns zumindest hoffnungsvoll stimmen lassen. Aber es ist wichtig, genau zu beobachten, ob diesen Worten auch Taten folgen“, sagte sie. „Es muss zu einer deutlichen Deeskalation kommen.“ Dabei sei wichtig, dass nicht nur Truppen abgezogen würden, die sowieso abgezogen werden sollten. „Wie ernst gemeint, wie nachhaltig sind diese Signale? Darum geht es“, erklärte Lambrecht.

Putin hatte im Gespräch mit Scholz die Bereitschaft zu weiteren Gesprächen mit der Nato und den USA über Sicherheitsgarantien für Moskau bekräftigt. Bisherige Gespräche brachten keine greifbaren Ergebnisse. Er verlangte auch schriftliche Garantien, dass die Nato sich nicht auf die Ukraine ausdehne. Zudem forderte er den Westen auf, die ukrainischen Führung zur Umsetzung des Minsker Friedensplans für die Ostukraine zu drängen.

Scholz drohte erneut mit weitreichenden Konsequenzen bei einem militärischen Vorgehen Russlands gegen die Ukraine. „Wir jedenfalls wissen, was dann zu tun ist“, betonte er. „Und mein Eindruck ist, dass das auch alle anderen ganz genau wissen.“ Zur Rolle der Gasfernleitung Nord Stream 2 in dem Konflikt sagte Scholz: „Was die Pipeline selber betrifft, wissen alle, was los ist.“ Anders als nach dem Treffen mit US-Präsident Joe Biden sprach Scholz in Moskau auch den Namen der umstrittenen Gaspipeline in der Ostsee aus.

Für weiteren Konfliktstoff im Verhältnis Russlands zum Westen sorgte das russische Parlament. Kurz vor Putins Treffen mit Scholz rief es den Präsidenten auf, über eine Anerkennung der abtrünnigen ostukrainischen Regionen Luhansk und Donezk als „Volksrepubliken“ zu entscheiden. Der Kreml teilte mit, dass die Staatsduma den Willen des Volkes widerspiegele, in der Sache aber nichts entschieden sei.

Die Ukraine, die Nato und die EU warnten Putin vor der Anerkennung. Stoltenberg nannte einen solchen Schritt eine Verletzung des Völkerrechts, der territorialen Unversehrtheit der Ukraine sowie der Minsker Friedensvereinbarungen. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell erklärte: „Die EU verurteilt entschieden die Entscheidung der russischen Staatsduma.“ Der ukrainische Außenminister Kuleba sagte in Kiew, im Falle der Anerkennung trete „Russland de facto und de jure aus den Minsker Vereinbarungen“ aus. Der unter deutsch-französischer Vermittlung 2015 vereinbarte Friedensplan sieht vor, dass die beiden prorussischen Separatistengebiete autonome Teile der Ukraine sind. Kiew hat allerdings kein Autonomiestatut vorgelegt.

Inmitten der Bemühungen um eine Entspannung legte am Dienstag eine Cyberattacke Internetseiten des Kiewer Verteidigungsministeriums und ukrainischer Staatsbanken lahm. Auch Kartenzahlungen funktionierten nicht mehr. Das Militär vermutete eine Überlastung der Webseiten durch eine Anfragenflut im Rahmen einer DDoS-Attacke. 

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