Ein Kampfschwimmer des Kommandos Spezialkräfte der Marine beobachtet eine Anlandestelle aus dem Wasser heraus. Foto: Bundeswehr/Andrea Bienert

08.01.2023
Von Marie-Agnes Strack-Zimmermann

„Wir müssen als transatlantisches Bündnis sehr wachsam sein“

Die Ostsee ist als NATO-Außengrenze wieder stärker in unser Blickfeld gerückt – und damit auch die Rolle der Marine in der Bündnisverteidigung.

Die sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen haben sich seit 2014 stetig und mit dem völkerrechtswidrigen brutalen Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine radikal geändert. Wir sehen uns Bedrohungen und Szenarien ausgesetzt, von denen wir dachten, dass sie im 21. Jahrhundert nicht mehr vorkommen werden. Wir müssen heute erleben, dass ein Staat seinen Nachbarstaat überfällt – dass die Ukraine sich in Panzerschlachten und Luftangriffen den russischen Angriffen erwehren muss. Diese neue Lage in Europa erschafft neue Anforderungen an unsere Außen- und Sicherheitspolitik und ganz besonders an die Bundeswehr.

Auch die Deutsche Marine hat immer mehr und immer komplexere Aufgaben übernommen, ist zahlenmäßig entsprechend nicht im gleichen Umfang gewachsen. Auf der einen Seite stehen eine wachsende Zahl von internationalen Einsätzen im Rahmen der Bündnisverpflichtungen, aber auch speziellen Einsatzfahrten zum Beispiel in den Indopazifik. Auf der anderen Seite hat der Umfang der Marine seinen Tiefpunkt erreicht. Hinzugekommen ist mit Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine, dass eine stärkere Fokussierung auf Bündnisverteidigung nicht mehr nur wünschenswert und perspektivisch sinnvoll ist, sondern notwendig geworden ist. Die Ostsee ist als NATO-Außengrenze wieder stärker in unser Blickfeld gerückt – und damit auch die Rolle der Marine in der Bündnisverteidigung.

Besonders wichtig ist vor diesem Hintergrund auch der NATO-Beitritt von Finnland und Schweden, der, sobald auch Ungarn und die Türkei den Beitritt ratifizieren, vollzogen werden kann. Der Beitritt ist ein wichtiges politisches Signal, aber auch ein deutlicher Zugewinn an Fähigkeiten für das Bündnis. Nicht zuletzt ist die strategische Lage dieser Länder für die Bündnisverteidigung von großer strategischer Bedeutung.

Insbesondere wird durch das erweiterte NATO-Gebiet ein einfacherer Seezugang zum Baltikum möglich, wenn der Landweg über die Suwalki-Lücke geschlossen sein sollte.

Ich unterstütze ausdrücklich den Vorstoß von Norwegen und Deutschland, unter dem Dach der NATO noch enger zusammenzuarbeiten, um den Schutz von kritischer Infrastruktur auf dem Meeresboden zu gewährleisten. Die gefährliche Sabotage an der Pipelines Nord Stream 1 und 2 hat die Verletzlichkeit dieser Infrastruktur deutlich gemacht. Hier müssen wir als transatlantisches Bündnis sehr wachsam sein, um mögliche weitere Sabotagen auf Pipelines beziehungsweise Plattformen zu verhindern. Auf deutscher Seite müssen dabei die Zuständigkeiten zwischen den Bundesländern Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern auf der einen und dem Innenministerium und der Bundeswehr auf der anderen Seite klar geregelt und entsprechend angewandt werden.

Aufgaben müssen priorisiert werden

Die angespannte Sicherheitslage zwingt uns dazu, unsere Vorhaben und Aufgaben in der Außen- und Sicherheitspolitik zu priorisieren. Immer wieder entstehen Zielkonflikte aufgrund knapper Ressourcen. Als die NATO im Februar in Folge des Angriffs auf die Ukraine ihre maritimen Verbände verstärkt hat, entsandte Deutschland die Korvette „Erfurt“ in die Ostsee, um dort zu unterstützen und ein Signal an unsere Partner zu senden. Die Erfurt war sich zu diesem Zeitpunkt jedoch vor der Küste Libanons im Einsatz, um dort im Rahmen des UNIFIL-Einsatzes einen Flottenverband zu führen. Diese Art der spontanen Priorisierung mag nachvollziehbar sein, irritiert die jeweils anderen Staaten, in diesem Fall auch die Vereinten Nationen.

Kurzfristig brauchen wir also klare Prioritäten, welche Anforderungen die Marine erfüllen muss und welche Aufgabe wir – zumindest gleichzeitig – nicht übernehmen können. Darüber braucht es einen ehrlichen und transparenten Austausch. Man muss zum Beispiel hinterfragen, ob es sinnvoll ist, die Fregatte „Bayern“ für Monate in den Indopazifik zu entsenden, wenn man den eigentlichen Zweck Flagge zu zeigen und für freie Handelswege zu sorgen nicht erfüllt, weil man die Straße von Taiwan lieber nicht passieren möchte, um nicht China zu provozieren.

Instandsetzung und Investitionen

Diese Priorisierung kann aber natürlich nur eine kurzfristige Antwort sein. Mittelfristig müssen wir, einfach ausgedrückt, die Zahl der verfügbaren Schiffe deutlich erhöhen. Dazu gehen wir aktuell zwei Wege. Zum einen erhöhen wir die Instandsetzungskapazitäten durch den neuen Marinearsenal-Standort Warnemünde. Denn durch die erhöhte Einsatzbelastung müssen die Einheiten häufiger in die Instandsetzung. Aktuell kommt es noch zu häufig zu langen Wartezeiten bei der Wartung. Dadurch fallen die Schiffe länger aus, als es nötig wäre.

Zum anderen werden wir sowohl über das Sondervermögen als auch über den „normalen“ Verteidigungshaushalt im Einzelplan 14 erheblich in die Marine investieren. Der Nachholbedarf, der sich über die letzten Jahre angestaut hat, ist wie in allen Bereichen der Bundeswehr enorm. Nichtsdestotrotz müssen die Beschaffungen jetzt geordnet und mit Plan erfolgen.

Das Verteidigungsministerium darf bei der Beschaffung neuer Schiffe und anderen Materials aber nicht die Fehler der Vergangenheit wiederholen. Denn jedes Schiff braucht ausgebildetes Personal. Das heißt: Wir brauchen sowohl genügend Soldatinnen und Soldaten als auch die Möglichkeiten sie auf dem Schiff auszubilden. Wenn mitten in der Einsatzvorbereitung die Korvette Oldenburg so große technische Ausfälle aufweist, dass sie für mehrere Monate in die Instandsetzung muss, ist das sehr ärgerlich und führt aktuell dazu, dass die Besatzung entsprechend lange auf ihren Einsatz warten muss. Dass Deutschland auf so einen Ausfall nicht kurzfristig reagieren kann und deshalb bei den Vereinten Nationen eine Vakanz anmelden muss, ist inakzeptabel.

Jedes Modernisierungsvorhaben steht und fällt letztlich aber mit der Frage, ob wir genügend Personal gewinnen können. Wenngleich die Besatzungen der neueren Schiffe immer kleiner werden, ist die Nachwuchsgewinnung auch für die Marine ein großes Problem. Neben allen Kampagnen in der Öffentlichkeit sollten wir nicht vergessen, dass die wichtigsten Multiplikatoren für den Soldatenberuf die Soldatinnen und Soldaten selbst sind. Ob auf Social-Media-Kanälen oder klassisch in der Familie und dem Freundes- und Bekanntenkreis: Es ist wichtig Kontaktpunkte zu erzeugen, um Menschen an die Streitkräfte heranzuführen. Und häufig sind es vermeintliche Kleinigkeiten, die einen großen Einfluss darauf haben, ob Menschen in der Bundeswehr zufrieden mit ihren Arbeitsbedingungen sind.

Bei meinen Besuchen der Marine bin ich von den Soldatinnen und Soldaten immer wieder auf zwei Dinge aufmerksam gemacht worden: Sie möchten gerne wieder Teil einer Besatzung „ihres Schiffes“ sein. Das stiftet Identität und sorgt für eine engere Bindung. Und: Es wurde immer wieder der Wunsch geäußert, auch am Wochenende auf dem Schiff wohnen zu dürfen, um sich nicht extra eine Wohnung anmieten zu müssen. Derzeit ist das schwer möglich, weil das die Soldatenarbeitszeitverordnung (SAZV) nicht erlaubt. An Bord zu sein gilt als reguläre Arbeitszeit. Wir brauchen nach Jahren des Versuchs Veränderungen an der SAZV. Vor allem, ob sie der Realität von modernen Streitkräften entspricht und inwieweit man bürokratische Prozesse vereinfachen kann.

Bürokratie und langatmige Prozesse verlangsamen aktuell sowohl die Arbeit in den Streitkräften als auch in der zivilen Verwaltung. Die Kampfschwimmer in Eckernförde warten inzwischen seit über 15 Jahren auf eine neue Trainingshalle. Das ist inakzeptabel. Um den Bau endlich abschließen zu können, müssen Bundeswehr und die schleswig-holsteinische Baubehörde endlich eine Lösung finden. Denn hier sorgen langwierige Prozesse dafür, dass unsere Spezialkräfte nicht ihrer Aufgabe nachkommen können.

Wir werden mit den Folgen der Zeitenwende noch lange beschäftigt sein und sie werden noch viel Kraft und Zeit in Anspruch nehmen. Es ist dabei wichtig, dass alle Akteure, die verantwortlich sind für die deutsche Sicherheitspolitik, miteinander kommunizieren und dasselbe Ziel verfolgen. Die Nationale Sicherheitsstrategie wird mit ein elementarer Baustein sein, aus dem sich viele Folgerungen ableiten lassen – auch für die Bundeswehr und ihre Teilstreitkräfte.

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