Soldaten vom Jägerbataillon 91 fahren mit dem GTK Boxer durch das verschneite Gelände im Gefechtsübungszentrum Heer in Gardelegen. Erprobt werden neue Verfahrensweisen für die zukünftigen mittleren Kräfte des Heeres. Foto: Bundeswehr/ Julia Dahlmann

Soldaten vom Jägerbataillon 91 fahren mit dem GTK Boxer durch das verschneite Gelände im Gefechtsübungszentrum Heer in Gardelegen. Erprobt werden neue Verfahrensweisen für die zukünftigen mittleren Kräfte des Heeres. Foto: Bundeswehr/ Julia Dahlmann

14.02.2024
Dr. Johann Wadephul

Zeitenwende ist bei der Bundeswehr nur bedingt umgesetzt

Zwei Jahre nach der angekündigten Zeitenwende in der Sicherheitspolitik fehlen die Fortschritte. Die Bundeswehr stagniert, finanzielle und personelle Herausforderungen bleiben ungelöst – eine schnelle und konkrete Handlung ist jetzt gefordert.

Es gibt historische Momente, an die man sich als Politiker meiner Generation sein Leben lang erinnert: Der 9. November 1989 oder der 11. September 2001. Auch der Morgen des 24. Februar 2022, der Tag des russischen Angriffs auf die Ukraine, gehört dazu. Mehr noch aber der Sonntag drei Tage später, der 27. Februar. Während Hunderttausende Menschen auf der Straße des 17. Juni in Berlin für die Ukraine und ihr Überleben demonstrierten, kam der Bundestag zu einer Sondersitzung zusammen.

War diese Zusammenkunft an einem Sonntag schon einmalig und damit historisch, so war es auch die Rede, die Bundeskanzler Olaf Scholz hielt. Er erklärte eine Zeitenwende für Deutschland: den Beginn eines Paradigmenwechsels in der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik angesichts der russischen Aggression und Bedrohung.

“Wir müssen gemeinsam handeln"

Deutschland sollte wieder vollständig zur Landes- und Bündnisverteidigung fähig sein, die Bundeswehr wachsen und durch ein Sondervermögen in Summe von 100 Milliarden Euro und die Einhaltung des Zwei-Prozent-Ziels auch die dafür notwendigen Investitionsmittel erhalten. Die Stimmung an diesem Tag im Reichstag wechselte zwischen atemloser Überraschung und einer erleichterten Aufbruchstimmung.

Als Mitglied der CDU/CSU-Bundestagsfraktion sagte ich: “Wir müssen gemeinsam handeln. Einen großen Handlungsbedarf, nämlich im Bereich der Verteidigungspolitik, hat der Herr Bundeskanzler angesprochen.” Wir haben die Rede und die Vorschläge des Kanzlers einhellig begrüßt und unterstützt. Das war augenscheinlich nicht bei allen Angehörigen der Regierungskoalition so, wie ein Blick in viele versteinerte Gesichter und auf einige Tränen in den Reihen der SPD und Grünen zeigte.

Zwei Jahre später ist der historische Moment – gelinde gesagt – verflogen. Von der damaligen Entschlossenheit und Aufbruchstimmung ist kaum etwas übrig geblieben. Weder hat die Bundeswehr einen echten Sprung nach vorne gemacht, noch ist unser Land als ganzes resilienter, wehrhafter, geschweige denn „kriegstüchtig“ geworden. Statt beherzten Zupackens im Kleinen oder klaren Konzepten im strategischen Großen erleben wir folgenlose Ankündigungen und zaghaftes Klein-Klein. Die nüchterne Bilanz lautet: Die Bundeswehr ist heute noch weniger einsatzfähig als vor Ausrufung der Zeitenwende.

Gleichzeitig sind die zentralen Probleme unserer Streitkräfte – die Nachwuchsfrage, die langfristige und nachhaltige Finanzierung der Bundeswehr, die Beschaffungsorganisation, die Überregulierung und Verantwortungsdiffusion – größer statt kleiner geworden. Darunter leiden unsere Sicherheit, die Bundeswehr und nicht zuletzt die Soldatinnen und Soldaten sowie die zivilen Angehörigen der Bundeswehr. Niemand hat “das” Patentrezept, und vieles ist auch in unserer Verantwortung liegen geblieben oder falsch gemacht worden. Doch uns muss endlich bewusst werden, vor welchen immensen Aufgaben wir stehen.

In fünf Jahren muss Kriegstüchtigkeit erreicht sein

An Analysen und Verlautbarungen mangelt es dem Kanzler und dem Verteidigungsminister nicht. Auch nicht an der Zielformulierung, die sich in dem Satz zusammenfassen lässt, die Bundeswehr solle „das Rückgrat der konventionellen Verteidigung der NATO in Europa werden“. Dem kann die CDU/CSU-Bundestagsfraktion nur uneingeschränkt zustimmen. Auch die Zeitachse hat der Verteidigungsminister definiert: In “fünf bis acht Jahren” könne es für das Bündnis zu einer Auseinandersetzung mit Russland kommen. Daraus folgt logisch der Schluss: In fünf Jahren muss Kriegstüchtigkeit erreicht sein.

Nun gab es mit der “Nationalen Sicherheitsstrategie” und den “Verteidigungspolitischen Richtlinien” auch Grundlagenpapiere, in denen viel Richtiges steht, was auch eine unionsgeführte Bundesregierung so oder zumindest sehr ähnlich geschrieben hätte. Doch wo bleibt die Umsetzung? Dazu zwei Beispiele – sozusagen die „Megathemen“ der Bundeswehr.

Ein zentraler Aspekt der Zeitenwende für die Bundeswehr ist die finanzielle Ausstattung. Das Sondervermögen für die Bundeswehr war ein wichtiger Schritt, um große, definierte Rüstungsprojekte langfristig zu finanzieren. Auf dieser Grundlage haben wir gemeinsam die Verfassung geändert. Dann änderte die Regierung das Prinzip, wohl um die “2%” zu erreichen, die jetzt nur noch aus dem Sondervermögen finanziert werden. Doch offen ist, ob die Projekte auch langfristig finanziert werden können.

Sondervermögen könnte rechtswidrig werde

Hinzu kommt die von Anfang an bestehende Frage, was passiert, wenn das Sondervermögen 2027 aufgebraucht ist. Wir haben deshalb sofort gefordert, dass zeitgleich mit der Errichtung des Sondervermögens der Einzelplan 14 steigen muss. Denn es droht – das zeigen die Berechnungen der Regierung selbst – ab 2028 ein erhebliches Defizit von jährlich 20 bis 30 Milliarden Euro! Es war Verteidigungsminister Pistorius selbst, der den zusätzlichen Bedarf für den Einzelplan auf 10 Milliarden Euro bezifferte.

Dem konnten wir folgen, doch statt diese Summe zu erhalten, blieb es beim Ausgleich der Mehrkosten für die Gehaltssteigerungen. Das Sondervermögen soll nun sogar rechtswidrig für die Ersatzbeschaffung “Ukraine” verwendet werden. Statt eines zweistelligen Plus also ein klares Minus – und das bei allen Preissteigerungen!

Sollen die Worte von der Kriegstüchtigkeit nicht wohlfeil klingen, muss die Steigerung für den Haushalt 2025 klar über der Forderung für den laufenden liegen und die mittelfristige Finanzplanung muss das selbst erkannte Delta nach Auslaufen des Sondervermögens schließen.

Rasant wachsend ist das Nachwuchsproblem

Langfristig vermutlich bedeutsamer und derzeit rasant wachsend ist jedoch das Nachwuchsproblem der Bundeswehr. Die personelle Stärke der Bundeswehr stagniert seit Jahren und liegt unter der Sollplanung. Um das Ziel von 203.000 Soldatinnen und Soldaten bis zum Jahr 2031 zu erreichen, benötigt die Bundeswehr einen jährlichen Zuwachs von durchschnittlich rund 3.000 Personen. Angesichts der aktuellen Zahlen zur Nachwuchsgewinnung, die nicht einmal eine Regeneration ermöglichen, erscheint dies jedoch illusorisch. Die Probleme der Personalgewinnung und des Personalaufwuchses verschärfen sich durch den demographischen Wandel und den Arbeitskräftemangel.

Die Diskussion um die Wiedereinführung der Wehrpflicht oder die Wiedereinführung einer allgemeinen Dienstpflicht gewinnt daher an Bedeutung. Auch hier agiert die Bundesregierung zu zögerlich. Zwar hat Boris Pistorius mehrfach öffentlich in Interviews mit der Wiedereinführung der Wehrpflicht kokettiert und dabei konkret das schwedische Modell ins Spiel gebracht, auch hat er jüngst öffentlich über die Möglichkeit spekuliert, dass auch Menschen ohne deutschen Pass Soldat werden können.

Pistorius wird nicht konkret

Doch alle diese Äußerungen bleiben vage und damit Ideenballons. Konkret wird Pistorius nie. Vielleicht muss er das auch gar nicht, denn seine Äußerungen – etwa zur Wehrpflicht – wurden meist binnen 24 Stunden vom Bundeskanzler, dem Koalitionspartner FDP oder den Partei- und Fraktionsvorsitzenden der SPD kassiert.

So berühmt die Rede des Bundeskanzlers vom 27. Februar 2022 weltweit geworden ist, sie darf keine Sonntagsrede bleiben. Die Diskrepanz zwischen den sicherheitspolitischen Notwendigkeiten für eine Resilienzfähigkeit Deutschlands und dem tatsächlichen Zustand der Bundeswehr als notwendige Antwort darauf wird derweil immer größer. Wer auch immer politische Verantwortung für Deutschland übernimmt, muss diese Lücke zügig schließen. Die Frauen und Männer in Uniform haben das Potential dazu, die Bevölkerung ist aufgeschlossen. Wie sagte Erich Kästner so schön: „Es gibt nichts Gutes, außer man tut es“.

Mit Rat und Hilfe stets an Ihrer Seite!

Nehmen Sie Kontakt zu uns auf.

Alle Ansprechpartner im Überblick