Brigadegeneral Achim Werres leitet derzeit das Lagezentrum Corona im BMVg. Foto: DBwV/Christine Hepner

Brigadegeneral Achim Werres leitet derzeit das Lagezentrum Corona im BMVg. Foto: DBwV/Christine Hepner

18.10.2020
Von Christine Hepner

Brigadegeneral Werres im Interview: „Wir dürfen nicht davon ausgehen, dass wir jetzt die Blaupause haben, um jede Krise zu meistern“

Mit zunehmendem Infektionsgeschehen sind auch wieder mehr Soldatinnen und Soldaten im Corona-Einsatz – aktuell sind es rund 1600. Im Corona-Lagezentrum im BMVg laufen die Fäden für den Einsatz zusammen. Brigadegeneral Achim Werres, Unterabteilungsleiter Strategie und Einsatz I im BMVg, leitet derzeit das Lagezentrum am Dienstsitz Stauffenbergstraße in Berlin. „Die Bundeswehr“-Redakteurin Christine Hepner hat mit Brigadegeneral Werres gesprochen.

Die Bundeswehr: Am 11. März wurde das Lagezentrum Corona im BMVg aufgestellt. Welchen Auftrag erfüllt es seither?

Brigadegeneral Achim Werres: Die Aufgaben, die während der aktuellen Krise zu leisten sind, bestehen grob aus drei Bereichen. Erstens, den Schutz der Mitarbeiter des Geschäftsbereichs BMVg in der Corona-Krise sicherzustellen. Zweitens, gleichzeitig die Einsatzbereitschaft der Streitkräfte sicherzustellen, um den Kernauftrag der Streitkräfte weiterhin gewährleisten zu können, von den Kontingenten in den Einsatzgebieten bis hin zur Verteidigungsfähigkeit im Rahmen der Landes- und Bündnisverteidigung. Und die dritte Aufgabe besteht letztlich darin, andere Ressorts, die Bundesländer sowie zivile Behörden bei der Bewältigung der Pandemie unterstützen zu können. Diese drei Aufgaben übereinander zu bringen, war und ist natürlich eine Herausforderung: auf der einen Seite Personal zu schützen, am besten durch Auflockern, wobei man die Mitarbeiter nach Hause schickt, und auf der anderen Seite muss man sie verfügbar haben, um die Einsatzbereitschaft sicherzustellen und Dritte unterstützen zu können.

Um das übereinander zu bringen, wurde zunächst versucht, aus der Linie, also aus den normalen Referaten heraus, zu operieren. Dabei zeigte sich aber, dass die Lage zu komplex und neuartig ist, sodass die Informationen und Regelungsbedarfe gar nicht mehr überall transparent wurden. Wir brauchten ein übergreifendes, koordinierendes Element. Und so entschied Staatssekretär Hoofe im Februar dieses Jahres, den Abteilungsleiter Strategie und Einsatz zum Corona-Beauftragten des Geschäftsbereichs BMVg zu machen und ihm mit dem Lagezentrum einen „Arbeitsmuskel“ zur Wahrnehmung der Aufgabe beizustellen.

Wie sieht dabei die tägliche Arbeit aus und wie erreichen die Informationen das Lagezentrum?

Wir haben uns im Lagezentrum in vier Zellen aufgestellt: eine kleine Führungszelle, das sind neben mir zwei Vertreter, eine Unterstützungszelle für allgemeine Organisationsaufgaben, eine Planungszelle, die weiter nach vorne schaut, und die Operationszentrale – der eigentliche Kern unseres Lagerzentrums. Diese Operationszentrale besteht aus einer ganzen Reihe von Zellen, einer oder zwei Personen, welche im Wesentlichen die Abteilungen des BMVg widerspiegeln. Wir haben hier also eigentlich ein kleines BMVg mit Personal aus jeder Abteilung, aus jedem wichtigen Bereich.

Zurzeit arbeiten wir ab 6 Uhr im Schichtdienst bis 21.45 Uhr, am Wochenende von 8 bis 16 Uhr. So sind wir an sieben Tagen die Woche ansprechbar für die nachgeordneten Bereiche, aber auch für andere Nachbarressorts oder internationale Ansprechpartner. Es gibt ein umfängliches Meldewesen – wir haben mittlerweile sechs Weisungen geschrieben und eine Weisung beschäftigt sich fast ausschließlich mit dem Meldewesen, also wer meldet welche Information an wen. Wie viele Soldaten haben wir im Einsatz, wie viele Erkrankte im Geschäftsbereich, wie viele freie Betten in den Krankenhäusern und so weiter. All diese Zahlen, Daten, Fakten kommen aus den verschiedensten Bereichen und werden bei uns gebündelt. Auch aus dem nachgeordneten Bereich, wie dem Kommando Territoriale Aufgaben, erhalten wir gebündelte Informationen. Hinzu kommt eine ganze Menge von Formaten, die wir bestücken, wie das Corona-Kabinett, an dem unsere Ministerin teilnimmt, die Corona-Staatssekretär-Runden sowie der ressortübergreifende wöchentliche Krisenstab. Die ganzen Debriefings gehen dann wiederum an uns und wir verarbeiten und verteilen dies dann.

Das heißt, Sie haben den direkten Draht zur Ministerin?

Wir haben den direkten Draht zur Ministerin nicht durch einen regelmäßigen persönlichen Austausch, sondern durch die Vorlage von individuell vorbereiteten Unterlagen. Wir haben zum Beispiel eine Ministermappe, die wird regelmäßig aktualisiert und geht dann auf dem Dienstweg zur Ministerin und mit der geht sie dann ins Kabinett. Da sind zahlreiche Hintergrundinformationen sowie die entsprechenden Kabinettsbeschlüsse drin, mit einer Empfehlung, wo sie zustimmen kann, was das für Auswirkungen auf den Geschäftsbereich hat und so weiter.

Aus wie vielen Mitarbeitern besteht das Lagezentrum?

Unser Lagezentrum besteht im Moment aus 29 zivilen und militärischen Mitarbeitern vom Regierungsobersekretär über die Angestellte bis hin zum Brigadegeneral, der Umfang kann jedoch bedarfsgerecht aufgestockt oder abgeschmolzen werden. Um die Durchhaltefähigkeit sicherzustellen, haben wir zusätzlich 21 Mitarbeiter in Reserve.

Sie sagten, dass zuvor keine Führungseinrichtung im BMVg vorhanden war, die diese Aufgabe erfüllen konnte und bei der die verschiedenen Stränge zusammengeführt wurden. Wie waren die Erfahrungen dieser plötzlichen Aufstellung? Lässt sich das auch auf andere Führungsstrukturen anwenden?

Wir hatten bislang für bestimmte einzelne Ereignisse Ad-hoc-Möglichkeiten der Führung, so zum Beispiel bei der Rückführung deutscher Staatsbürger aus Wuhan mit einem Militärflieger und ihrer anschließenden Unterbringung in einer Bundeswehr-Liegenschaft. Das ging am Anfang noch, weil es punktuelle Ereignisse waren. Als dann aber die Anzahl der Corona-Kranken in Deutschland stieg und mehr Soldaten angefordert wurden, um beispielsweise die Bundesländer und zivilen Behörden zu unterstützen, waren plötzlich so viele Beteiligte im Spiel und jede Abteilung in irgendeiner Art und Weise betroffen. Was wir hatten, war die Liegenschaft, die für einen Krisenstab vorbereitet war. Es gab auch Grundlagenpapiere, wie so ein Krisenstab aussehen kann, gleichwohl war ein Krisenstab eigentlich weniger für eine pandemische Situation, die ganz Deutschland lahmlegt, gedacht, sondern eher für eine krisenhafte Entwicklung mit militärischem Bezug.

Wenn Sie mich jetzt fragen, ob das eine Blaupause für die Zukunft ist, dann kann ich sagen: Wir haben sicherlich viel gelernt und wir haben auch einen sehr umfänglichen Lessons-learned-Prozess initiiert. Es gibt bereits einen First Impression Report und nach Ende der Krise wird es einen großen Abschlussbericht geben. Doch es ist keine Blaupause für Krisen, mit denen wir normalerweise im BMVg rechnen müssen, also militärische Krisen. Grund dafür ist vor allen Dingen, dass die Grundlast im BMVg und auch im nachgeordneten Bereich im Zuge der Corona-Krise erheblich gesunken ist und damit auch Personal zur Verfügung stand, um die anderen Ressorts und die Bundesländer zu unterstützen. Wenn man sich jetzt eine militärische Krise vorstellt, dann wird das eher umgekehrt sein. Und da kommen dann auch die Reservisten noch stärker zum Tragen. Jetzt war es nicht so schwierig, Personal zu akquirieren, auch Reservisten. Die konnten zum Teil ja auch in ihren zivilen Berufen nicht mehr voll beschäftigt werden, insofern war es eine Win-win-Situation.Wir haben also sicherlich viel gelernt, aber wir dürfen nicht davon ausgehen, dass wir jetzt die Blaupause haben, um jede Krise zu meistern.

Welche Rolle spielt der Einsatz von Reservisten für das Lagezentrum?

Ein halbes Jahr gibt es das Lagezentrum Corona und wir hatten bisher insgesamt 18 Reservisten bei uns eingesetzt. Das ist schon eine sehr stolze Zahl. Besonders positiv ist, dass die Reservisten mit durchschnittlich zwei Monaten eine längere Stehzeit im Lagezentrum haben als die aktiven Soldaten. Diese werden meistens für drei bis sechs Wochen abgestellt. Interessanterweise sind also hier die Reservisten die Konstante und damit wichtige Erfahrungsträger. Ein DBwV-Mitglied und Mandatsträger war beispielsweise im Informationsmanagement eingesetzt, also in einer querschnittlichen Aufgabe. Damit haben wir sehr gute Erfahrungen gemacht. Etwa die Hälfte der Dienstposten im Lagezentrum hat querschnittliche Funktionen, da können die Reservisten mit ihren Fähigkeiten doch sehr gut und schnell ansetzen.

Was wurde aus der „ersten Welle“ gelernt, was kann man bei einer möglichen zweiten Welle anders machen?

Wir haben mittlerweile erfahrenes Personal in allen Bereichen, von der Beschaffung bis hin zu den Einsätzen. Der Sanitätsdienst der Bundeswehr ist sehr gut aufgestellt. Wir haben die Regularien in den Dienststellen, wir haben sehr durchdachte Weisungslagen über das Meldewesen, wie wir Übungen oder Auslandseinsätze durchführen, wie wir Grundausbildungen einberufen. All dies ist mittlerweile geregelt. Aber es kann bei einer Verschärfung der pandemischen Lage neue Herausforderungen geben. Und am Ende des Tages muss man neben den unmittelbaren auch Langzeitauswirkungen betrachten. Sprich, wenn wir jetzt Einschränkungen bei Ausbildungen und Übungen haben, betrifft uns das möglicherweise noch nicht heute oder morgen, aber übermorgen. Insgesamt sehe ich uns aber sehr gut aufgestellt, sowohl in Deutschland, aber auch in der Bundeswehr und auch mit dem Lagezentrum im BMVg.

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