Jared Sembritzki (r.) 2010 während seines Einsatzes in Afghanistan am Highway Triangle zwischen Kundus, Masar-e-Sharif und dem Hindukusch. Foto: privat

Jared Sembritzki (r.) 2010 während seines Einsatzes in Afghanistan am Highway Triangle zwischen Kundus, Masar-e-Sharif und dem Hindukusch. Foto: privat

11.08.2021
Christine Hepner

„Wir haben in Afghanistan gezeigt, dass wir militärisch mithalten können“

Brigadegeneral Jared Sembritzki ist der erste Offizier, der in seiner damaligen Verwendung als Bataillonskommandeur des Gebirgsjägerbataillons 231 mit dem Ehrenkreuz der Bundeswehr für Tapferkeit ausgezeichnet wurde. Der heutige Chef des Stabes der U.S. Army Europe and Africa berichtet von seinen drei Einsätzen in Afghanistan, welche Entwicklung er in dem Land wahrgenommen hat und welche Bedeutung der Einsatz am Hindukusch für ihn, für die Bundeswehr und auch für Deutschland hat.

Die Bundeswehr: Ihre Erfahrungen im Afghanistan-Einsatz haben Sie geprägt, kann man das so sagen?

Brigadegeneral Jared Sembritzki: Ganz sicher. Ich war in zehn Jahren dreimal da – zwischen 2006 und 2016. Ich glaube tatsächlich, dass der Afghanistan-Einsatz mein Soldatsein geprägt hat. Ich bin seit 1990 bei der Bundeswehr, war 2001 in meinem ersten Einsatz im Kosovo, in einer Phase, als dort im Grunde genommen schon alles geklärt war. Zum selben Zeitpunkt fanden die Anschläge 9/11 in den USA statt und die Bundeswehr begann ihren Einsatz in Afghanistan. Spätestens nach dem Busanschlag in Kabul und den gefallenen deutschen Kameraden hat man schon gesehen, dass Afghanistan eine andere Nummer wird. Ich selbst war dann erstmals 2006 mit den Spezialkräften dort. Damals änderte sich gerade die Wahrnehmung auf der politischen Ebene von: „Es ist alles Frieden und wir bauen da mal was auf“ dahingehend, dass man merkte, dass es in Afghanistan Kräfte gibt, die dem strategischen Ziel stark entgegenwirken – ob man sie Feinde oder Taliban nennt, sei mal dahingestellt. Ich habe verfolgt, wie es dort immer gefährlicher wurde, wie wir immer mehr beschossen und angegriffen wurden. 2010 bin ich dann mit meinem Bataillon in die Phase der startenden Kampfeinsätze gekommen. 2009, 2010 ging das ja wirklich los. Da gab es dann ein offensiveres Vorgehen, es wurde gesagt: Wir haben Militär da, die müssen jetzt auch kämpfen, um die Sache voranzubringen. Ich war mit meiner Truppe außerhalb des Lagers eingesetzt und es war schon eine sehr soldatische und harte Zeit. Die hat mich in meinem Selbstverständnis sehr geprägt, denn es ging da um Leben und Tod, um die Auftragserfüllung unter Anwendung von Gewalt. Dafür, dass man da in richtige Gefechte kommt, muss man die Truppe auch ausbilden und aufstellen.

Wie hat sich das Land in den zehn Jahren zwischen Ihrem ersten und Ihrem letzten Einsatz verändert?

Ich kann nur aus dem militärischen Zusammenhang erzählen und davon, was ich vor Ort selbst gesehen habe. Natürlich ist Nordafghanistan nicht die Provinz Helmand und Westafghanistan ist nicht Ostafghanistan. Wenn man aber die Situation vor 9/11 nimmt, wie die Taliban damals geherrscht haben – das war grausam, das konnten wir uns kaum vorstellen. Im Vergleich dazu habe ich doch deutliche Fortschritte gesehen – zumindest in den Gebieten, in denen westliche Soldaten ein gewisses Maß an Sicherheit hergestellt haben. Da konnte man sich tagsüber in den Ballungszentren frei bewegen, man konnte auf den Markt gehen und einkaufen. Die Schulbildung fand zunehmend wieder statt. In Dörfern, die noch Wochen zuvor in den Händen von Taliban waren, wurde Kindern und Erwachsenen in Zelten das Lesen und Schreiben beigebracht, ohne dass sie Angst haben mussten, an der nächsten Ecke gesteinigt zu werden. Als wir das letzte Mal da waren, 2016, hatten sich auch die afghanischen Streitkräfte weiterentwickelt. In der jüngeren Generation wurden Piloten ausgebildet, die wirklich nicht schlecht waren. Das Land hat sich aus meiner Sicht wirklich, mit Einschränkungen, zum Besseren entwickelt. Es ging ja nicht darum, dort die Bundesrepublik aufzubauen – die Menschen wollten einfach überleben.

2011 erhielten Sie als erster Stabsoffizier die höchste Auszeichnung der Bundeswehr, das Ehrenkreuz für Tapferkeit. Wie kam es dazu?

Einige meiner Soldaten haben auch das Ehrenkreuz für Tapferkeit bekommen. Ich war nur der erste Stabsoffizier, weil ich als Bataillonskommandeur eingesetzt war. Im Wesentlichen lässt es sich auf eine Gefechtshandlung zurückführen, ganz zum Schluss, im September 2010, als wir im Grunde schon wenige Wochen vor unserem „Out“ waren. In einem stark umkämpften Bereich, den wir zusammen mit Afghanen und amerikanischen Spezialkräften eingenommen hatten, dem sogenannten Highway Triangle zwischen Kundus, Masar-e-Sharif und dem Hindukusch, hatten wir eine gewisse Sicherheit herstellen können. Die Taliban haben dann quasi eine Gegenoffensive durchgeführt und viele der mit uns verbündeten Afghanen vertrieben oder getötet und unsere Präsenz wieder zunichte gemacht. Das war im Zuge der damaligen Parlamentswahl, da gab es überall sehr viele Angriffe. Mir war aber klar: Wenn wir das durchgehen und uns da verdrängen lassen, dann wäre alles, was wir mit Blut, Schweiß und Tränen bezahlt hatten, vergeblich gewesen. Wir haben deshalb diesen Kampf angenommen und zurückgeschlagen und hatten eine relativ schwierige Offensive, um den verlorenen Raum wieder einzunehmen. So etwas kann man nicht irgendwo aus dem Gefechtsstand befehlen, da muss man bei der Truppe sein. Also war ich natürlich mit dabei und wurde später für meine Führungsleistung ausgezeichnet – die ich aber nur bringen konnte, weil die Truppe so gut war.

Was bedeutet Ihnen diese Auszeichnung?

Ich habe tatsächlich nicht damit gerechnet. Der Einsatz war auch schon lange vorbei, als ich erfahren habe, dass ich ausgezeichnet werde. Also dieser Einsatz war schon prägend. Jetzt zitiere ich mal einen meiner Zugführer: „Es war die härteste, aber auch die beste, militärischste Zeit.“ Denn irgendwie ist das der Kern dessen, wofür man zum Militär geht. Es macht einen stolz, wenn offensichtlich die eigene militärische Leistung von außen so hoch anerkannt wird. Aber ich habe das für mich auch immer so verstanden: Mit dieser Truppe zu kämpfen, das macht es aus. Wirklich zu merken, wie ein eingespieltes Team den militärischen Auftrag ausführt, mit allen Schwierigkeiten und allen Härten, die es da so gibt.

Wie sind Sie mit dem weit verbreiteten Desinteresse der deutschen Öffentlichkeit am Einsatz in Afghanistan umgegangen?

Ich weiß immer nicht, ob das wirklich Desinteresse ist oder ob wir nicht genug in der Lage sind, in der Öffentlichkeit präsent zu sein und unser Anliegen anzubringen. Früher gab es in jedem Dorf eine Kaserne, da wussten die Leute, dass es eine Bundeswehr gibt und vielleicht auch eher, was die Bundeswehr macht. Heute sind wir nicht mehr wirklich präsent, die Menschen werden nicht mehr mit den Streitkräften konfrontiert. Schwieriger finde ich es, wenn die Bundeswehr und damit auch ich als Soldat quasi angegriffen werden für das, was wir in Afghanistan machen. Denn klar ist, dass nicht die Bundeswehr in Afghanistan war, sondern die Bundesrepublik. Hier habe ich den Eindruck, dass es weniger Desinteresse ist als eher die Frage nach der Akzeptanz von militärischem Handeln und der Rolle der Streitkräfte.

Am 30. Juni sind die letzten Soldaten aus Afghanistan zurückgekehrt und der Einsatz ist damit beendet. Wie sehen Sie den Einsatz aus heutiger Sicht?

Ich glaube, dieser Einsatz war völlig richtig. Es gibt die Unkenrufe, die sagen, dass alles wertlos sei und die infrage stellen, wofür dort Soldaten gefallen sind. Man muss aber mal überlegen, dass es nach 9/11 offensichtlich Bedarf gab, als westliche Welt zu zeigen, dass wir unsere Werte verteidigen. Der damalige Verteidigungsminister hat ganz richtig gesagt, dass Deutschlands Freiheit auch am Hindukusch verteidigt wird. Dass die Ziele eventuell etwas zu ambitioniert waren, dass man glaubte, man könne dort mit militärischer Präsenz eine Kultur, eine Gesellschaft schaffen, das liegt nicht in der Verantwortung des Militärs. Die Aufträge, die wir bekommen haben, haben wir erfüllt. Wir sollten damals kämpfen und Gebiete räumen beziehungsweise einnehmen und dort für Sicherheit sorgen. Das kostet Geld und Blut und Kraft und viel Einsatz von allen. Später sollten wir dann nur noch „Assist and Advise“ machen, das haben wir auch hinbekommen. Selbst die Taliban haben verstanden, dass sie mit der eigenen Bevölkerung nicht mehr so umgehen können und haben sich auf politische Gespräche und auch Kompromisse eingelassen. Das ist sicherlich ein Verdienst aller, die in Afghanistan eingesetzt waren.

Was hat den Afghanistan-Einsatz so besonders gemacht?

Die Bundesrepublik hat mit der Bundeswehr das erste Mal in größerem Umfang gezeigt, dass sie bereit ist, an der Seite der Alliierten über einen langen Zeitraum zu kämpfen, und wir waren auch noch da, als andere Nationen ihre Truppen schon wieder abgezogen hatten. Wir haben gezeigt, dass wir militärisch mithalten können. Einem Soldaten ist es schon wichtig zu zeigen, dass er auch international etwas mitbringen kann, was ernsthaft gewünscht ist. Alle, mit denen ich im zivilen Umfeld gesprochen habe, sagen: Ja, dafür gibt es eine Bundeswehr, dafür haben wir Soldaten. Und so tragisch jeder Gefallene, jeder Verwundete ist – das ist aber der Preis, den wir letztlich bereit sind zu zahlen. Wir haben gezeigt, dass sich die westliche Wertegemeinschaft wehrt, wenn sie angegriffen wird.

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