Der Wille zur Reform der Strukturen müsse ein politischer Wille sein, fordert Hans-Peter Bartels. Das Foto zeigt ihn 2016 auf dem Verbandstag des DBwV in Berlin. Foto: DBwV/Darrelmann

Der Wille zur Reform der Strukturen müsse ein politischer Wille sein, fordert Hans-Peter Bartels. Das Foto zeigt ihn 2016 auf dem Verbandstag des DBwV in Berlin. Foto: DBwV/Darrelmann

28.02.2021
Hans-Peter Bartels

Ehemaliger Wehrbeauftragter: Ohne Reform geht es nicht mehr

Für Außenstehende wirkt Militär oft wie ein monolithischer Block, eine betonfeste Ordnung, eine geheimnisvolle Black Box des staatlichen Gewaltmonopols. Wer dagegen Streitkräfte kennt, weiß, wie viel Bewegung in ihrem inneren Gefüge zu jeder gegebenen Zeit stattfindet. So sah etwa die Bundeswehr der Vorneverteidigung im Kalten Krieg anders aus als unsere Einsatzarmee in ihrer Mali-Mission heute.

Militär ist es gewohnt umzugliedern. Das Wort Gliederung beinhaltet schon die Möglichkeit, aus den einzelnen Teilen sehr unterschiedliche Truppenkörper zu formen. Neudeutsch nennt man das Modularität. Aber so war es eigentlich schon immer. Eine Kompanie, ein Bataillon, eine Brigade kann diesem oder jenem Kommando unterstellt werden. Das Ganze, das sich aus den Teilen zusammensetzt, sollte auf den jeweiligen Hauptauftrag optimiert sein. 
Bei der gegenwärtigen Bundeswehrstruktur ist das noch nicht der Fall. Die Truppe steht, ob das nun politisch schon klar angekündigt ist oder nicht, vor einer größeren Umgliederung, einer Strukturreform.

Anders als bei den diversen Bundeswehrumbauten nach der Wiedervereinigung 1990 (zuletzt die Guttenberg/de Maizière-Reform von 2011) geht es diesmal nicht in erster Linie ums Schrumpfen und Sparen, sondern um die richtige Aufstellung für die heutige Doppelaufgabe unserer Streitkräfte: erstens die kollektive Verteidigung Europas mit der ganzen voll einsatzfähigen Bundeswehr und zweitens weiterhin die durchhaltefähige Gestellung überschaubar großer Kontingente für multinationale Kriseninterventionen weltweit.

Beides ist, so sagen es die gegenwärtige Konzeption der Bundeswehr und das erweiterte Fähigkeitsprofil, aus der gleichen Grundgliederung zu gewährleisten. Dafür soll der Personalumfang moderat wachsen, Richtung 200.000 Soldatinnen und Soldaten (Corona behindert allerdings gerade etwas die Rekrutierung). Darüber hinausgehender Personalbedarf wäre vor allem aus systematischen „Strukturverbesserungen“ zu decken. Es geht also diesmal nicht um Personalreduzierung, Standortschließungen und Umstationierungen – sondern um intelligentes Umgliedern.

Mit Klein-Klein käme man dabei aber nicht weit genug. Für die kollektive Verteidigung werden wieder „organische“ Großverbände erforderlich sein: lebendige Brigaden, Geschwader, Flottillen und Divisionen, die – bildlich gesprochen – nicht nur über Arme und Beine (Kampftruppe) verfügen, sondern auch über Herz und Lunge (Logistik und Instandsetzung), Nervenstränge (CIT/Fernmeldetruppe) und ein eigenes Immunsystem (Sanität), gern auch über ein robustes Element für Essen und Trinken (IUD). All das muss in der Bewegung und im Gefecht bruchlos zusammenwirken können, muss eingeübt sein als Teile eines funktionsfähigen Ganzen.

„Die Truppe steht vor einer größeren Umgliederung, vor einer Strukturreform.“

Auf den Reformprüfstand gehört mithin die Zergliederung und Versäulung in immer mehr eigenständige Organisationsbereiche und Fähigkeitskommandos, die in der Zeit, als es ausschließlich um die Teilnahme an begrenzten Out-of-Area-Missionen ging (1990–2014), einem neuartigen Gliederungsprinzip für die Bundeswehr folgte: dem angeblich besonders sparsamen sogenannten „Toolbox“-Prinzip.

Aus den unterschiedlich beschrifteten und verwalteten Fächern des militärischen Werkzeugkastens konnten die Einsatzplaner ihre Kontingente immer aufs Neue zusammenstellen, im Extrem 500 Soldatinnen und Soldaten aus 150 unterschiedlichen Einheiten. Im Feldlager werden sie dann schon zusammenwachsen! So die Hoffnung. Das war bereits für die klassischen Auslandseinsätze, sei es auf dem Balkan, sei es in Afghanistan, nicht immer ideal. Aber für die glaubwürdige Bündnisverteidigung an der Nato-Ostflanke wären interne „Truppenstellerkonferenzen“ vor der raschen Verlegung ins Spannungsgebiet eigentlich unvorstellbar.

Wer als Kommandeur die volle Verantwortung trägt für die militärische Auftragserfüllung, muss auch über die Kompetenzen und Ressourcen, die Kräfte und Mittel verfügen, um erfolgreich sein zu können. Die Unteilbarkeit der Verantwortung ist eine Grundvoraussetzung erfolgreichen Führens. Verantwortungsdiffusion führt ins Nirwana.

Eine Reorganisation der Truppe nach dem „organischen“ Prinzip sollte auch helfen, den stark gewachsenen Überbau zu verschlanken. Nicht alle Kommandobehörden und Stäbe sind in ihrer jetzigen Form und Funktion hilfreich, wenn es um die Herstellung der vollen Einsatzbereitschaft für die anspruchsvollste Hauptaufgabe kollektive Verteidigung geht. Und nicht für jede wegfallende Mitwirkungsaufgabe sollte Beschäftigungsersatz gesucht werden. Im Moment besteht eines der nervenaufreibendsten Bundeswehrprobleme darin, dass zu viele Erwachsene sich zu lange jeweils parallel mit den gleichen zu kleinen Entscheidungen herumzuschlagen haben. Solche Überorganisation bindet Personal und tötet Motivation.

Nicht bewährt hat sich im Übrigen die Wegnahme der Materialverantwortung von den Teilstreitkräften. In der Nutzungsphase sollte der militärische Nutzer wieder die Materialerhaltungskompetenz und das Budget dafür bekommen. Das unterbesetzte Koblenzer Beschaffungsamt könnte sich dann voll auf die Beschleunigung der Beschaffung konzentrieren.

Und zu beschaffen wäre schnell einiges, wenn es gelingen soll, die bei der Nato angemeldeten Fähigkeitsziele fristgerecht zu erreichen. Die mit eigenem Gerät voll ausgestattete VJTF-Brigade 2023 erweist sich bereits jetzt als Illusion. Der Heeresinspekteur kündigt erneut das Hin- und Herleihen von Material an. Die volle Division 2027? Drei kampfstarke Divisionen 2031? Nach offiziellen Verlautbarungen gilt bisher nur die Hälfte des Ausrüstungsbedarfs als finanziell unterlegt.

„Zu viel Geld versickert in dysfunktionalen Strukturen.“

Für die ganze Bundeswehr fordert das Fähigkeitsprofil von 2018 Rüstungsinvestitionen in Höhe von über 200 Milliarden Euro bis 2031. Mit welcher Regierungskoalition nach der Bundestagswahl im September 2021 sollte das zu schaffen sein? Gegenwärtig erreicht der Bereich RüInvest im Verteidigungshaushalt nicht einmal zehn Milliarden Euro, erforderlich wären künftig 20 Milliarden im Jahr. Und obwohl der deutsche Verteidigungsetat insgesamt seit dem Nato-Strategiewechsel 2014 (Ukraine-Krise) bereits um 40 Prozent gestiegen ist, stagniert die materielle Einsatzbereitschaft immer noch auf inakzeptablem Niveau. Offensichtlich versickert eben auch zu viel Geld in dysfunktionalen Strukturen. 

Die einzelne Soldatin, der einzelne Soldat kann persönlich an diesen Strukturen wenig ändern. Mit viel Improvisationsgeschick und Liebe zum Beruf wird im Alltag oft ausgeglichen, was allein durch Dienst nach Vorschrift nicht zu schaffen wäre. Der Wille zur Reform der Strukturen muss ein politischer Wille sein, den Plan dafür können die Fachleute im Ministerium schon einmal vorbereiten (und sie arbeiten wohl auch daran), und die Entscheidungen sind dann „oben“ zu treffen, spätestens nach der Bundestagswahl.

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