08.08.2022
dpa/ffd

Selenskyj erwartet weitere Waffenlieferungen - Die Nacht im Überblick

Im Osten der Ukraine halten schwere Kämpfe an, Präsident Wolodymyr Selenskyj macht seinen Landsleuten Mut. belarussische Oppositionsführerin Tichanowskaja rechnet mit starkem Widerstand gegen Russland. Die Lage um das Atomkraftwerk Saporischschja bleibt angespannt. Die Nacht im Überblick und ein Ausblick auf den Tag.

Kiew. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj deutete an, dass weitere Waffen an die Ukraine geliefert werden könnten. «Nächste Woche erwarten wir Neuigkeiten von Partnern bezüglich der Hilfspakete. Gute Nachrichten!», sagte Selenskyj am Sonntag in seiner Videoansprache. Schlüssel der erfolgreichen Verteidigung seien nach wie vor Waffenlieferungen aus dem Westen.

Nach Angaben Selenskyjs verlaufen die härtesten Kämpfe im Donbass. Die Lage dort bleibe schwierig. Die Verteidigung von Orten wie «Awdijiwka, Pisky, Marjinka und Bachmut erfordern unsere Hauptanstrengung und leider viele Leben», sagte er. Zudem erneuerte er seine Vorwürfe an Russland, das AKW Saporischschja im Süden der Ukraine beschossen zu haben.

Eskalation um AKW Saporischschja droht

Zum zweiten Mal innerhalb weniger Tage warfen sich Moskau und Kiew gegenseitig den Beschuss der Anlage vor. Die ukrainische Armee habe in der Nacht zum Sonntag eine Rakete auf das AKW-Gelände abgefeuert, meldete die russische Nachrichtenagentur Interfax unter Berufung auf die Besatzungsverwaltung der Stadt Enerhodar, in der das Kraftwerk liegt.

Die ukrainische Atombehörde Enerhoatom hingegen beschuldigte die Russen, das unter ihrer Kontrolle stehende Gelände selbst beschossen zu haben. Die Angaben beider Seiten ließen sich zunächst nicht unabhängig überprüfen. Die Internationale Atombehörde fordert von beiden Seiten, unabhängigen Atomexperten den ungehinderten Zugang zu der Anlage zu ermöglichen.

Belarus: Tichanowskaja rechnet mit Widerstand gegen Ukraine-Krieg

Minsk/Vilnius. Die belarussische Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja rechnet mit starkem Widerstand gegen eine mögliche volle Teilnahme ihres Landes an Russlands Krieg gegen die Ukraine. «Unsere Partisanenbewegung wird das sabotieren. Es werden Befehle verweigert werden. Oder die belarussischen Soldaten ergeben sich dort gleich», sagte die Politikerin der Deutschen Presse-Agentur. «86 Prozent der Menschen in Belarus sind gegen den Krieg. Es gibt bei uns keine anti-ukrainische Stimmung.» Zwei Jahre nach der als gefälscht geltenden Präsidentschaftswahl in Belarus meinte Tichanowskaja, dass Russland mit der Unterstützung für Machthaber Alexander Lukaschenko die Ex-Sowjetrepublik wohl schon damals als «Brückenkopf» für einen Angriff im Blick hatte.

«Lukaschenko ist ein Kollaborateur. Er hat Belarus in diesen Krieg reingezogen und dafür, dass Russland ihn an der Macht hält, tut er nun alles, was von ihm verlangt wird», sagte Tichanowskaja vor dem zweiten Jahrestag der umstrittenen Präsidentenwahl. Heute sei klar, dass der Kreml wohl schon damals Kriegspläne gehabt und Lukaschenko deshalb an der Macht gelassen habe. Er überlasse belarussisches Gebiet, damit russische Streitkräfte von dort die Ukraine angreifen können, kritisierte die Politikerin in ihrem Exil in Vilnius.

«Aber es gab zu Kriegsbeginn auch Sabotageakte gegen die wichtigen Versorgungswege. Schienenpartisanen verlangsamten den Militärtransport; und es wurden Informationen an die ukrainischen Streitkräfte gegeben zu den Basen, von denen russische Raketen abgefeuert wurden.» Auch ein Bataillon belarussischer Kämpfer habe sich in der Ukraine gegen den russischen Einmarsch formiert.

Bei der Wahl am 9. August 2020 hatte sich der autoritäre Machthaber Lukaschenko erneut zum Sieger der Wahl ausrufen lassen und damit beispiellose Proteste in Belarus ausgelöst. Viele sehen Tichanowskaja als Siegerin des Urnengangs. Aufgrund massiver staatlicher Repressionen gibt es mittlerweile aber so gut wie keine größeren Demonstrationen mehr in der Ex-Sowjetrepublik.

Erstes Frachtschiff kommt in ukrainischem Hafen an

Nach dem Ende der russischen Seeblockade hat erstmals wieder ein Frachtschiff in einem ukrainischen Hafen angelegt. «Der Schüttgutfrachter Fulmar S ist im Hafen Tschornomorsk angekommen und bereit zum Beladen», teilte das ukrainische Infrastrukturministerium auf seinem Telegram-Kanal mit. Die in den letzten Tagen aus den ukrainischen Häfen ausgelaufenen Schiffe hingen dort bereits seit Kriegsbeginn fest. Die Wiederaufnahme des Schiffsverkehrs und der damit verbundenen Getreidelieferungen aus der Ukraine sind wichtig für die Stabilisierung der Lebensmittelpreise weltweit.

Bisher sind aus den ukrainischen Häfen seit Anfang August schon acht Schiffe mit Getreide ausgelaufen. Sie gehörten zu den Dutzenden Frachtern, die dort seit Kriegsbeginn im Februar wegen der russischen Seeblockade und der Verminung der eigenen Häfen durch das ukrainische Militär stecken geblieben waren. Mit dem Einlaufen der Fulmar S habe der Getreidekorridor nun einen «Ein- und Ausgang», erklärte Infrastrukturminister Olexander Kubrakow.

Amnesty bedauert «Schmerz» in Kiew nach umstrittenen Bericht

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International verteidigte ihren umstrittenen Bericht zur Kriegsführung der ukrainischen Armee und erklärte zugleich ihr Bedauern über dessen Auswirkungen. «Amnesty International bedauert tief den Schmerz und Ärger, den unsere Pressemeldung über die Kampftaktiken des ukrainische Militärs ausgelöst hat», heißt es in einem der Deutschen Presse-Agentur vorliegenden Statement der Organisation. Amnesty hält dabei an den wichtigsten Erkenntnissen des Berichts fest.

In dem am Donnerstag veröffentlichten Bericht hatte Amnesty der ukrainischen Armee vorgeworfen, sich in Wohnvierteln zu verschanzen und damit Zivilisten unnötig in Gefahr zu bringen. «Obwohl wir voll zu unseren Erkenntnissen stehen, bedauern wir den entstandenen Schmerz und wollen ein paar entscheidende Punkte klarstellen», teilte Amnesty nach der daraufhin einsetzenden Kritik nun mit. So habe die Organisation an 19 verschiedenen Orten ukrainische Verstöße gegen das Kriegsrecht festgestellt. Dies rechtfertige aber nicht die russischen Kriegsverbrechen. Amnesty habe diese Verbrechen in den vergangenen Monaten mehrfach thematisiert.

Pink Floyd-Musiker Roger Waters versus Oscar-Gewinnerin Jessica Chastain

Derweil sorgte der britische Musiker Roger Waters, Ex-Frontman von Pink Floyd, mit Äußerungen zum russischen Angriffskrieg für Empörung in Kiew und für Beifall in Moskau. Hatte Waters zu Kriegsbeginn den russischen Angriff noch als Akt eines Gangsters bezeichnet, schob er nun die Schuld auf US-Präsident Joe Biden, was Russlands Ex-Präsident Dmitri Medwedew freute. «Es gibt noch adäquate Leute im Westen. Pink Floyd forever», schrieb dieser auf seiner Seite im sozialen Netzwerk vkontakte.

Oscar-Preisträgerin Jessica Chastain blieb ihrer proukrainischen Haltung treu. In Kiew besuchte sie ein Kinderkrankenhaus und später die Kiewer Vorstadt Irpin, die durch russische Kriegsverbrechen bekannt wurde. Am Abend wurde sie wie andere Hollywood-Größen zuvor von Präsident Selenskyj empfangen.

Das wird am Montag wichtig

Im Gebiet Donezk verteidigt die ukrainische Armee weiter den letzten großen Ballungsraum, der im Donbass noch unter ihrer Kontrolle steht. Insbesondere die strategisch wichtige Kleinstadt Bachmut steht stark unter Druck russischer Angriffe. In den USA wird derweil Medienberichten zufolge ein neues Hilfspaket für die Ukraine geschnürt. Erwartet wird, dass US-Präsident Joe Biden heute weitere Waffenlieferungen im Wert von einer Milliarde Dollar ankündigt.

Libanon wartet hingegen weiter auf das erste mit ukrainischem Getreide beladene Schiff. Der Frachter «Razoni» war am vergangenen Montag aus dem ukrainischen Schwarzmeerhafen von Odessa ausgelaufen.