Freitag, 27. August 2021: Die größte Evakuierungsoperation der Bundeswehr ist abgeschlossen. Knapp 400 Männer und Frauen sind soeben auf dem Fliegerhorst in Wunstorf gelandet. Damit endete der 20-jährige Einsatz der Bundeswehr, der lange nicht als "Krieg" bezeichnet werden durfte, in Afghanistan. 59 deutsche Soldaten verloren dort ihr Leben. Foto: Bundeswehr/Jana Neumann

08.07.2022
Frank Schauka

Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr: Bundestag setzt Untersuchungsausschuss ein

Berlin. Nach zum Teil kontroverser Debatte hat der Deutsche Bundestag in der Nacht auf Freitag einen Untersuchungsausschuss zur Aufarbeitung der Schlussphase des Afghanistan-Einsatzes der Bundeswehr eingesetzt.

Die Arbeit des aus zwölf Parlamentariern bestehenden Gremiums soll sich auf die Abzugsphase der alliierten Streitkräfte vom 29. Februar 2020, dem Tag des Doha-Abkommens zwischen den USA und den Taliban, bis zum 30.September 2021 konzentrieren. Die Evakuierungsmaßnahmen am Flughafen Kabul endeten am 31. August 2021. Ein Antrag der AfD, die gesamten 20 Jahre des Militäreinsatzes am Hindukusch zu untersuchen, wurde mit breiter Mehrheit von SPD, CDU/CSU, Grünen und FDP abgelehnt.

„Es ist nicht unser Ziel, Schuldige zu suchen, sondern alles dafür zu tun, dass die offensichtlich gemachten Fehler in Zukunft nicht noch einmal begangen werden“, sagte der designierte Ausschussvorsitzende Ralf Stegner (SPD). Diese Fehleranalyse sei nicht nur rückblickend, sondern auch für künftige Vorhaben von großer Bedeutung.

Stegner: "Die Situation in der Welt zeigt uns, dass die Bundeswehr gebraucht wird."

„Die Situation in der Welt zeigt uns, dass die Bundeswehr gebraucht wird. Es ist unsere zentrale Aufgabe, unsere Soldatinnen und Soldaten angemessen auszurüsten“, sagte Stegner. „Dazu zählt auch, konkrete Ziele für unsere Parlamentsarmee bei Landes- und Bündnisverteidigung, aber auch bei internationalen Einsätzen definieren zu können. Zudem stehen wir in der Pflicht gegenüber unseren internationalen Partnern.“

Eine weitere Frage – „die Frage nach den zukünftigen Zielen der Bundeswehreinsätze“ – steht laut Stegner ebenfalls im Mittelpunkt der Ausschussarbeit: „Ist es zum Beispiel sinnvoll, ein Land nach westlichem Vorbild demokratisieren zu wollen?“ Dies lasse sich „nur mit den Erkenntnissen der beiden Gremien verlässlich beantworten“. Flankierend zum Untersuchungsausschuss will der Deutsche Bundestag heute noch die Enquetekommission „Lehren aus Afghanistan“ einsetzen. Dieser Kommission wird auch der Bundesvorsitzende des Deutschen BundeswehrVerbands, Oberst André Wüstner, angehören.

Wichtig sei die Ausschussarbeit auch für die Beantwortung der – mit Blick auf die Notlage in Afghanistan – aktuell drängenden, aber auch grundsätzlich relevanten Frage, „ob nicht humanitäre Hilfe Vorrang vor strategischen Erwägungen haben sollte“, sagte Stegner.

Röwekamp: "Die Menschen könnten heute noch unseren Schutz und unsere Soldaten gebrauchen."

Nicht die gänzliche Abwesenheit der alliierten Streitkräfte in Afghanistan, sondern deren längere Präsenz in dem Land wäre vorteilhafter für die Menschen gewesen, betonte hingegen der CDU-Abgeordnete Thomas Röwekamp: „Die Beendigung dieses NATO-Einsatzes, an dem sich viele Nationen über die NATO hinaus beteiligt haben, war für die Menschen in Afghanistan ein Fehler. Es ginge ihnen besser, wenn der Einsatz nicht durch den damaligen Präsidenten Trump durch einseitige Erklärung beendet worden wäre. Die Menschen könnten heute noch unseren Schutz und unsere Soldaten gebrauchen.“

Seit dem hastigen Abzug der alliierten Streitkräfte aus Afghanistan gebe es wieder „schwere Menschenrechtsverletzungen“ in dem seither von den islamistischen Taliban beherrschten Land. „Das ist das Ergebnis leider auch des Abzugs der NATO aus diesem schwer verwundeten Land“, sagte Röwekamp. „Deshalb ist es richtig, dass der Deutsche Bundestag diese Vorgänge mit dem Untersuchungsausschuss und der Enquetekommission aufklären will und insbesondere im Untersuchungsausschuss der Frage nachspüren will, wie nach der Vereinbarung von Doha so unzureichende Vorbereitungen auch für die Evakuierung auch der Ortskräfte getroffen werden konnten.“

Die entscheidenden Fragen, damit aus dem chaotischen Abzug der Truppen wichtige Lehren gezogen werden können, lauten nach Auffassung des CDU-Abgeordneten Röwekamp: Welche kommunikativen Mängel lagen vor? Welche Einsatzgeschehen und Lagebilder wurden falsch bewertet? „Das machen wir nicht, um nur Fehler zu finden und Schuld zuzuweisen“, sagte Röwekamp, „sondern der Auftrag liegt darin, sicherzustellen, dass sich so etwas nicht wiederholt.“

Brandner: "Sie wollen vertuschen."

Der AfD-Bundestagsabgeordnete Stephan Brandner warf den Fraktionen von SPD, CDU/CSU, Grünen und FDP mit der Fokussierung des Untersuchungsausschusses auf den Zeitraum des Abzugs der Streitkräfte Vertuschungsabsichten vor. „Sie wollen vertuschen“, sagte Brandner. „Sie sagen, 20 Jahre können man nicht im Untersuchungsausschuss behandeln. Dann müssen Sie mir mal erklären, warum das in der Enquetekommission funktionieren soll. Die Akten sind doch wohl die gleichen. Warum nicht das scharfe Schwert des Untersuchungsausschusses, sondern eine Enquetekommission?“

In ihrem angenommenen Antrag schreiben die Fraktionen – wie es in der Berichterstattung des Deutschen Bundestags zum Thema „U-Ausschuss zum Afghanistan-Einsatz kann Arbeit aufnehmen“ heißt: Die militärische Evakuierungsoperation im August 2021 sei „unter dramatischen Umständen nach nur sehr kurzer Zeit der Vorbereitung aufgrund des raschen Zusammenbruchs der afghanischen Regierung und Sicherheitskräfte und dem daraus resultierenden schnellen Vormarsch der Taliban bis hin zur Einnahme von Kabul“ erfolgt.

Es bedürfe der Aufklärung darüber, so heißt es in dem Antrag, „wie es zu den Lageeinschätzungen und Entscheidungen von Vertretern von Bundesbehörden rund um den Abzug der Bundeswehr und die Evakuierung des Personals der deutschen Botschaft, deutscher Staatsbürgerinnen und Staatsbürger sowie den Schutz und die Aufnahme von Ortskräften, die die Arbeit der Bundesrepublik Deutschland und deutscher Organisationen und Institutionen unterstützt haben, gekommen ist“.

1. Untersuchungsausschuss der 20. Wahlperiode

Der 38 Punkte umfassende Untersuchungsauftrag des 1. Untersuchungsausschusses der 20. Wahlperiode zielt unter anderem auf die Beurteilung der Sicherheitslage in Afghanistan durch Bundesministerien, Bundesbehörden und Nachrichtendienste, auf deren Informationsaustausch und auf die Zuständigkeiten beim Abzug und der Evakuierung des deutschen Personals, der Ortskräfte und anderer betroffener Personenkreise.

Beleuchtet werden soll zudem unter anderem das Zusammenwirken mit ausländischen Stellen und Nachrichtendiensten, die Zusammenarbeit europäischer, NATO- und internationaler Ebene und die Vorbereitungen auf die jeweiligen Entscheidungen der USA und Frankreichs zum Abzug beziehungsweise zur Evakuierung und eine etwaige Einflussnahme der Bundesregierung auf das Doha-Abkommen.

Weitere Fragen zielen auf das Zustandekommen von Lageeinschätzungen der Bundesregierung, etwaigen Warnungen deutscher Stellen vor dem Fall Kabuls und die Federführung für die militärische Evakuierungsoption. Gefragt wird insbesondere nach dem Agieren des Bundeskanzleramts, des Verteidigungsministeriums, des Auswärtigen Amtes sowie des Innen- und des Entwicklungsressorts.

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