Eine substanzielle U-Boot-Flottille im Umfang von acht bis zwölf Booten hält Hans-Peter Bartels für sinnvoll. Foto: Bundeswehr

12.12.2022
Von Hans-Peter Bartels

Die Sicherheit der Ostsee liegt in unserer Verantwortung

Es geht wieder um existenzielle Dinge, für die die Marine ertüchtigt werden muss. Und für die Verteidigung der Ostsee wäre ein von der NATO speziell designiertes Marine-Hauptquartier sinnvoll.

Kleiner war unsere Flotte nie. Aber nicht nur sie. Alle Marinen in Europa sind nach dem Ende des Kalten Krieges geschrumpft. Aus Gegnern im Sowjetblock-Militärbündnis Warschauer Pakt wurden demokratische Partner in Nato und EU. Und nach dem Ukrainekriegs-Schock schließen sich nun sogar die bisher neutralen nordischen Länder Schweden und Finnland dem atlantischen Verteidigungsbündnis an.

Bis auf Russland sitzt jetzt das ganze maritime Europa gewissermaßen in einem Boot. Wie viel Marine braucht da also Deutschland? Und welche Art Marine?

Ein wesentlicher deutscher Beitrag zur Allianz wird weiterhin mit Sicherheit unsere Verantwortung für die ungehinderte Nutzung der Ostsee und die Kontrolle der Ostseezugänge bleiben. Mitstreiter bei dieser Aufgabe sind Dänemark, Norwegen, Schweden, Finnland und Polen – mit Deutschland sechs nationale Marinen für den Schutz der Ostsee. Dazu noch die (schwachen) Bündniskräfte aus Estland, Lettland und Litauen. Das ist ein vollständig anderes Szenario als 1989, als in diesem Raum nur die BRD, Dänemark und Norwegen zur Nato gehörten.

Für den Ernstfall gewappnet sein

Auf der Gegenseite steht die Baltische Flotte Russlands. Sie ist in Baltijsk in der Enklave Kaliningrad stationiert. Im Ernstfall würden ihre 25 Kriegsschiffe (ohne Landungsboote und Minensucher) die regionalen Marinekräfte darstellen, die es sofort zu bekämpfen gälte, nach Möglichkeit am ersten Tag. Dafür kommen traditionell natürlich die Schnellboote, Korvetten, Fregatten und U-Boote der verbündeten Navies in Frage, aber tatsächlich heute wohl in erster Linie doch eher Luftstreitkräfte mit Jagdbombern und Drohnen sowie auch Cruise Missiles und andere landgestützte Flugkörper.

Für die Seezielbekämpfung aus der Luft unterhielt die westdeutsche Bundeswehr früher einmal zwei enorm starke Marinefliegergeschwader mit über 100 Tornado-Jagdbombern. Heute ist das eine Spiegelstrich-Aufgabe der Luftwaffe. Und bewaffnete Drohnen oder landbasierte Wirkmittel gibt es bei uns noch gar nicht, nur einige bewaffnete Seefernaufklärer (zur Zeit acht P3, künftig acht P8). Auch signalerfassende Aufklärung aus der Luft bleibt wünschenswert – und ein belastbarer Austausch der alliierten Satellitendaten. Hier sind Lücken, die es zu schließen gilt, am besten in Abstimmung mit den anderen Ostsee-Anrainern, Frankreich, Großbritannien sowie den USA.

Mehr als sechs Korvetten im Bestand der deutschen Ostseeflotte (zur Zeit geplant: zehn) sollten angesichts des gewachsenen Bündnisses wohl nicht erforderlich sein (plus sechs bis zehn moderne bemannte Sperr- und Minenabwehreinheiten). Dazu Drohnen, etwa der Sea-Guardian-Klasse, und zum Beispiel weiterentwickelte Taurus-Marschflugkörper mobil an Land.

Gute Grundlage gibt es bereits

Für die Verteidigung der Ostsee wäre ein von der NATO speziell designiertes Marine-Hauptquartier sinnvoll. Rostock könnte, multinational ausgebaut, diese Aufgabe übernehmen. Die von der deutschen Marine initiierte jährliche Baltic Commanders Conference dürfte bereits eine gute Grundlage gelegt haben.

Bedrohung unter der Wasseroberfläche

Zu koordinieren und im Ernstfall zu führen wären auch alle zivilen und militärischen Aktivitäten zum Schutz der kritischen Infrastruktur unter Wasser. Nach den Russland zuzurechnenden Anschlägen auf die Erdgas-Pipelines Nord-Stream 1 und Nord-Stream 2 handelt es sich dabei nicht mehr nur um theoretische, sondern um jederzeit gegenwärtige Gefahren für Seekabel und Röhren. Die Bedrohung beginnt nicht erst, wenn es tatsächlich zum Krieg käme. Deshalb braucht das Bündnis neue Sensoren und Wirkmittel, vor allem aber ab sofort ein besseres Lagebild durch die Zusammenführung aller verfügbaren zivilen und militärischen Daten. Das gilt nicht nur für den Ostseeraum. Ähnlich wie in den Zeiten des Kalten Krieges wird die Seeverbindung zwischen Nordamerika und Europa unter allen Umständen offen zu halten sein.

Dafür werden Trägerkampfgruppen und U-Boote der (wiederbelebten) 2. und der 6. US-Flotte zur Verfügung stehen. Außerdem die Flotten aller anderen maritimen Nato-Staaten: Großbritannien, Frankreich, Kanada, Spanien, Portugal, Belgien, Niederlande, Italien, Kroatien, Griechenland und Türkei, soweit sie nicht wie Rumänien und Bulgarien gegen die russische Schwarzmeer-Flotte (Stützpunkte: Sewastopol auf der Krim und Tartus in Syrien) gebunden sind.

Im Nordatlantik ist von Deutschland nicht mehr als ein angemessener Beitrag gefordert, keine exponierte Führungsverantwortung, kein Rahmennation-Modell.

Auf der Gegenseite steht die russische Nordflotte mit ihren Barentsee- und Weißmeer-Basen. Die tödlichste Gefahr dieser Kräftegruppe sind U-Boote und weitreichende Hyperschall-Flugkörper. Deshalb sind zusätzliche Einheiten zur U-Jagd und zur Raketenabwehr hochwillkommen, auch von Deutschland.

In den Zeiten vorwiegend asymmetrischer Bedrohungen und Präsenz zeigender Dauermissionen gegen Terror, Piraterie, Schlepper und Waffenschmuggel spielten HighTech-Fähigkeiten dieser Art kaum mehr eine Rolle. Sie müssen auch in der deutschen Marine nun erst wieder ertüchtigt werden. Das gequälte Aufgabensuchen von „Artilleriewirkung an Land“ bis „Spezialkräfte-Verbringung“ (Klasse F-125) führt zu nichts mehr. Es geht wieder um existenziellere Dinge.

Deshalb sind Überlegungen der Marineführung, die Zielgröße der beiden Fregattengeschwader von 15 auf insgesamt zwölf Schiffe zu reduzieren und diese 6:6 auf U-Jagd/ASW (Klasse F-126) und Luftabwehr/BMD (Klasse F-127) – alle mit ASW-fähigen Hubschraubern oder Drohnen – aufzuteilen, sehr nachvollziehbar.

Darüber hinaus sollten die Bündnispartner erwarten dürfen, dass Deutschland nicht nur in großem Maßstab U-Boote in alle Welt exportiert, sondern auch eine eigene, substanzielle (U-jagdfähige) U-Boot-Flottille im Umfang von vielleicht acht bis zwölf Booten (Klasse U-212/212 CD) selbst einbringt (Bestand zur Zeit: sechs, geplant: acht).

Alle diese Beiträge zum Schutz der Nordatlantik-Route würden sich in einem alternativen Szenario auch zur Beteiligung an gegebenenfalls notwendig werdender europäischer oder alliierter Power-Projection im indo-pazifischen Raum eignen. Die großen Einsatzgruppen-Versorger dafür gibt es bereits.

Deutsche Fregatten, die wie die amerikanischen Aegis-Zerstörer Teil der strategischen Raketenabwehr der Nato wären, würden den deutschen Führungsanspruch in der europäischen Hälfte des atlantischen Bündnisses auf eine neue Ebene heben: erstens als globale Ergänzung zur landgebundenen Ballistic Missile Defence (künftig Arrow-3) für den deutschen Raumschutz und zweitens als rein defensives Äquivalent zur deutschen nuklearen Teilhabe durch US-Atombomben und F-35-Jagdbomber. Die nukleare Gefahr ist real, Putin verfügt über 6000 Sprengköpfe. Und er droht mit Atomschlägen.

In diese teure BMD-Technologie werden nicht viele Nato-Mitgliedstaaten investieren können. Das reichste Land Europas, das im Übrigen nicht für eigene Atomwaffen, Atom-U-Boote und Flugzeugträger aufkommen muss (wie die ständigen UN-Sicherheitsratsmitglieder Frankreich und Großbritannien), sollte das aber leisten wollen.

Mehr denn je kommt es heute wieder auf das scharfe Ende an, konventionell und nuklear. Nur echte, tatsächlich vorhandene Fähigkeiten schrecken ab. Das heißt auch: Es eilt.

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