Die bislang letzten Wehrpflichtigen leisteten  2011 ihren Dienst an der Waffe, hier Rekruten des Panzergrenadierbataillons 371 auf dem Truppenübungsplatz in Frankenberg. Um den dringend notwendigen personellen Aufwuchs der Truppe zu gewährleisten, ist ein neuer Wehrdienst ohne Pflichtelement kaum vorstellbar. Foto: Bundeswehr/Andrea Bienert

Die bislang letzten Wehrpflichtigen leisteten 2011 ihren Dienst an der Waffe, hier Rekruten des Panzergrenadierbataillons 371 auf dem Truppenübungsplatz in Frankenberg. Um den dringend notwendigen personellen Aufwuchs der Truppe zu gewährleisten, ist ein neuer Wehrdienst ohne Pflichtelement kaum vorstellbar. Foto: Bundeswehr/Andrea Bienert

13.06.2025
jun

„Es braucht jetzt politische Kraft!“

Beim NATO-Gipfel in Den Haag vom 24. bis zum 25. Juni wird das Bündnis angesichts der wachsenden Bedrohung durch Russland die neuen Fähigkeitsziele für ihre Streitkräfte beschließen. Für die Bundeswehr heißt das mittelfristig 60.000 Soldatinnen und Soldaten mehr, aktuell hat die Truppe eine Stärke von knapp 183.000. 260.000 dürften das Ziel werden. Der Bundesvorsitzende Oberst André Wüstner fordert, dass zusätzlich zum Freiwilligen Wehrdienst schon jetzt für eine Wehrpflicht geplant wird, um diese Ziele erreichen zu können.

Nicht nur die tägliche russische Aggression muss in Europa Sorgen bereiten, sondern auch ein möglicher Abzug US-amerikanischer Truppen. Daher müsse sich Friedrich Merz an die Nation wenden, sagt Oberst Wüstner dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND): „Die Bedrohungslage ist enorm, und dennoch dürfen wir uns nicht entmutigen lassen. Wir können weiter in Frieden und Freiheit leben, wenn wir nach dem Nato-Gipfel die richtigen Schritte einleiten und unserer Gesellschaft die Herausforderungen der nächsten Dekade erklären - idealerweise nicht nur durch eine Regierungserklärung, sondern durch eine gesonderte Ansprache des Kanzlers an uns alle. Eine Ansprache, die verdeutlicht, dass wir nicht Krieg führen wollen, aber ein Maximum an Verteidigungsfähigkeit erreichen müssen, um einen Krieg durch Abschreckung zu verhindern.“

Wehrpflicht für Männer ist nach wie vor im Grundgesetz verankert

Die Debatte zum Wehrdienst und zur möglichen Reaktivierung der 2011 ausgesetzten Wehrpflicht, die nach wie vor in Artikel 12a Grundgesetz für alle Männer ab 18 Jahren verankert ist, hat in dieser Woche zu einer Kontroverse geführt. Während der Bundesvorsitzende dazu aufruft, für die Wehrplicht jetzt schon vorauszuplanen, um keine Zeit zu verlieren, bremst der SPD-Fraktionsvorsitzende Matthias Miersch: Man habe in dieser Legislaturperiode einen Freiwilligen Wehrdienst vereinbart, eine Rückkehr der Wehrpflicht sei frühestens in der nächsten Wahlperiode ab 2029 möglich, sagt der SPD-Politiker.

Viel zu spät, hält wie auch der DBwV-Bundesvorsitzende André Wüstner der höchste deutsche NATO-General Christian Badia dagegen. Er ist stellvertretender Kommandeur des Nato-Transformations-Kommandos in Norfolk im US-Bundesstaat Virginia. Sein Aufgabengebiet ist unter anderem, die Planungen der NATO an die neue Lage anzupassen. Ein zentraler Punkt beim nächsten NATO-Gipfel, den Badia mit vorbereitet. Der Süddeutschen Zeitung sagte Badia: „Zu sagen, wir warten erst einmal diese Legislaturperiode ab, das passt nicht zusammen mit der dargestellten Lage. Wenn wir jetzt vier Jahre abwarten, wären wir viel zu spät, um die Fähigkeitsziele der Nato umzusetzen. Wir haben es in den letzten vier bis sechs Jahren doch schon mit den bisherigen freiwilligen Angeboten nicht geschafft, mehr Personal zu gewinnen.“

„Größte Herausforderung ist der personelle Aufwuchs“

Wüstner appelliert im Gespräch mit dem RND: „Wenn Deutschland die konventionell stärkste Armee Europas erlangen will, dann braucht es zuvorderst politische Kraft, eine wehrwillige Gesellschaft und eine leistungsfähige Industrie als Grundlage für eine dann vollausgestattete Bundeswehr. Dabei ist die größte Herausforderung der Bundeswehr der personelle Aufwuchs. Wir müssen für eine Schubumkehr sorgen. Mit Blick auf den Nato-Gipfel und darauf, was Deutschland dort zusagen wird, kann ich mir den Neuen Wehrdienst ohne ein Pflichtelement nicht vorstellen. Das ist im Koalitionsvertrag meiner Auffassung nach gut formuliert – und zwar mit dem Passus ,zunächst freiwillig‘. Man muss schnellstmöglich die Erfassung ermöglichen, das beinhaltet ein Anschreiben und sodann einen Erstkontakt, am besten gleich kombiniert mit einer neuen Form der Musterung.“

Deshalb müsse das Verteidigungsministerium unabhängig von der Frage, in welcher Zahl sich Freiwillige bis Ende 2026 melden, schon heute ein eventuelles Umschalten auf eine Pflicht vorbereiten, weil deren Planung, Organisation und Umsetzung 18 bis 20 Monate dauern würde und wir es uns nicht leisten könnten, nach einer politischen Entscheidung noch mal 20 Monate dafür ins Land gehen zu lassen. „Man muss“, so Wüstner, „also zweigleisig fahren. Die Pflicht sollte wie eine Art Versicherung im Sinne der Vorsorge vorbereitet sein, damit wir den Hebel nach einer politischen Entscheidung sofort umlegen können.“

Aktive Truppe mit bis zu 260.000 Soldaten

Der Bundesvorsitzende ist sich sicher: „Die Bundeswehr muss definitiv größer sein als die 203.300 Soldatinnen und Soldaten, die vor der Pandemie als Zielgröße ursprünglich bis 2025 benannt wurden. Die künftige Zielgröße hängt von der Ausgestaltung der NATO-Fähigkeitsziele und der Lastenübernahme durch Deutschland ab. Aber ich gehe davon aus, dass wir, je nachdem, was auf dem NATO-Gipfel beschlossen wird, zwischen 40.000 und 60.000 Soldaten zusätzlich benötigen. Das bedeutet, dass die aktive Truppe schrittweise auf bis zu 260.000 Soldaten aufwachsen müsste. Daraus muss dann gleichzeitig eine leistungsfähige Reserve entwickelt werden, um auf die vom Generalinspekteur genannte Zielgröße von insgesamt 460.000 Soldaten zu kommen.“ Dieses Ziel müsse schrittweise bis zum Jahr 2029 erreicht werden, denn das sei das Jahr, in dem Russland spätestens in der Lage sei, die NATO an den Bündnisgrenzen herauszufordern.

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