Der russische Angriffskrieg in der Ukraine ist auch ein Krieg um die Dominanz im elektromagnetischen Spektrum. Gleich am ersten Tag des Krieges, am 24. Februar 2022, wurden Radaranlagen einer ukrainischen Militäreinrichtung außerhalb von Mariupol mit einer Flut von Luft- und Raketenangriffen beschädigt. Foto: picture alliance/AP|Sergei Grits

16.11.2022
Von Stephanie Lingemann und Florian Hendrich

Ein neues Zeitalter für den Elektronischen Kampf

Der Kampf im Elektromagnetischen Spektrum ist unsichtbar, aber unverzichtbar für die moderne Kriegsführung. Militärische Überlegenheit auf diesem Gebiet ist missionskritisch, hochkomplex, und kann aufgrund enormer Datenmengen nur durch KI-Systeme langfristig gesichert werden, wissen die Experten des New Defence-Unternehmens Helsing.

Der Elektronische Kampf (EK) befindet sich in einem hochdynamischen Wandel. Und der Blick in die Ukraine verdeutlicht, wie essenziell EK-Fähigkeiten für moderne Streitkräfte sind: GPS und Kommunikation werden durch Jamming gestört. In der Konsequenz weichen militärische Kräfte auf resiliente, upgradefähige zivile Kommunikationsinfrastruktur (bspw. Starlink) aus.

UAVs (Unmanned Aerial Vehicles) werden nicht nur zur optischen Aufklärung oder bewaffnet zur direkten Wirkung eingesetzt, sondern auch zur Täuschung im EMS. In der Ukraine haben russische UAVs sich durch Verwendung „falscher“ elektromagnetischer Kennungen dem Gegner als Kampfjets ausgegeben. Die ukrainischen Luftabwehrstellungen lösten aus, ihre Positionen wurden dadurch bekannt und im Anschluss selbst angegriffen.

Weiterhin verdeutlicht der zahlreiche Einsatz von radarsuchenden Lenkflugkörpern sowie die zielgerichtete Zerstörung von Sensoren, wie kritisch EK-Fähigkeiten für den militärischen Erfolg heute sind.

Wie verändert also all das die EK-Aufgabe für die Streitkräfte? Viele Veränderungen machen das Erreichen von Dominanz im elektromagnetischen Spektrum zu einer immer größer werdenden Herausforderung: Die Anzahl an militärischen Plattformen und zivilen Emittern wächst rasant und führt zu einer Vermischung und Verdichtung der Kommunikation im elektromagnetischen Spektrum (EMS). Große Mengen an missionskritischen EK-Daten müssen verarbeitet und analysiert werden. Hierfür fehlen jedoch Infrastruktur- und Datenmanagementansätze – ein großer Teil der in Missionen angefallenen EK-Daten wird heute nicht strukturiert weiterverwendet.

Neuartige Sensor- und Emittertechnologien erschweren die Aufklärung und Identifikation oder machen sie teils sogar unmöglich. In Krisenzeiten wechseln militärische Radare in unbekannte Betriebsmodi oder verschleiern ihre Emissionen durch ausgefeilte Techniken, um die Identifikation durch die Gegenseite zu erschweren. Softwaredefinierte, agile Radare und Radios passen ihre Emissionen adaptiv an ihre Umgebung an und stellen eine technologische Trendwende im EK-Bereich dar. Schon jetzt nehmen softwaredefinierte Emitter im EMS eine umfangreiche Rolle ein und werden es in naher Zukunft vollends dominieren.

Auch die wachsende Zahl neuartiger, unbemannter Plattformen ermöglicht neue (Täuschungs-)Strategien und Szenarien. Drohnenschwärme können Radarsignaturen bemannter Plattformen nachahmen oder den Jet im Zentrum des Systemverbunds vor feindlichem Aufklärungsradar schützen, indem sie im Sichtfeld des Radars fliegen oder als Stand-off oder Stand-in Jammer im Verbund agieren.

Technologischer Stillstand in diesem Bereich bedeutet angesichts wachsender Anforderungen Fähigkeitenrückschritt. Um diesem entgegenzuwirken, muss kontinuierlich in modernste Hardware- und Softwaretechnologien für den EK investiert werden.

EK-Ansätze und Fähigkeiten der Bundeswehr stoßen an Grenzen

In bestehenden Verfahren wird für die Klassifikation von Emittern typischerweise ein Abgleich des empfangenen Signals mit in der Vergangenheit aufgezeichneten Signalen (Emitterbibliotheken) vorgenommen. Diese statischen Systeme werden schon durch die wachsende Aktivität im EMS überfordert und sind nicht mehr in der Lage, die entstehenden Datenmengen zu verarbeiten – sie benötigen zu viel Rechenleistung, Zeit und Energie. Bei software-definierten Emittern erreichen traditionelle Verfahren dann endgültig ihre Grenzen: Emitter mit dynamisch wechselnden Signalen können nicht mehr mit ausreichender Genauigkeit, Geschwindigkeit und Verlässlichkeit aufgeklärt werden.

Gleichzeitig bestehen Lücken in der übergreifenden Verarbeitungskette von EK-Daten in der Bundeswehr. Um mit den großen erzeugten Datenmengen der Sensoren umzugehen, kann ein großer Teil der Rohdaten im Einsatz nicht mehr gespeichert werden. EK-Fähigkeiten werden zudem mit starkem Fokus auf einzelne Plattformen entwickelt und umgesetzt. Kollaborative EK-Missionen, in denen mehrere Plattformen in der Aufklärung und Wiedererkennung von feindlichen Sendern dynamisch im Verbund zusammenarbeiten, sind schon innerhalb einzelner TSKs nur selten und TSK-übergreifend fast überhaupt nicht möglich. Updates von Emitterbibliotheken für Einsätze dauern so viele Wochen, wenn nicht Monate.

Auch die Weiterentwicklung der Fähigkeiten im EK muss agiler werden: Trotz der Zentralität von Datenverarbeitung im EK entwickeln sich viele Projekte in diesem Bereich in der für Hardware typischen Geschwindigkeit – also in Jahren oder Jahrzehnten. Im Ergebnis kann mit neuen Herausforderungen im EK perspektivisch nicht schrittgehalten werden. Die EK-Community hat dies erkannt – neue Programme gehen dies an. Um agil auf neue Herausforderungen im EK zu reagieren, wird besonders einer Technologie eine Schlüsselrolle zukommen – Künstlicher Intelligenz.

Mit Durchbrüchen in den Bereichen Algorithmik, der Entwicklung von exponentiell leistungsfähigeren Recheninfrastrukturen sowie der kontinuierlichen Sammlung von großen Datenmengen wie Rohsignalen oder Radarsignaturen hat Künstliche Intelligenz (KI) in der Breite Einzug in militärische Produktivsysteme gehalten. Insbesondere die Herausforderungen im Elektronischen Kampf sind prädestiniert für den Einsatz Künstlicher Intelligenz: Die Entscheidungen sind hochgradig datenbasiert, oft zeit- und missionskritisch und erfordern komplexes Musterverständnis.

KI als Schlüsseltechnologie für den Elektronischen Kampf der Zukunft

KI ist die Schlüsseltechnologie für das Erreichen der nächsten Stufe des EK, der sog. „kognitiven elektronischen Kampfführung“. Kognition bezeichnet die Fähigkeit von Systemen, ihre Umwelt wahrzunehmen, mit ihrer Umwelt zu interagieren und kontinuierlich von ihren Erfahrungen zu lernen. Dieses Prinzip sieht man zum Beispiel in kognitiven Radios, die in der Lage sind, dynamisch die besten Kanäle auszuwählen und zu wechseln, um Interferenz und Überbelegung zu minimieren. Auch im EK gibt es dieses Prinzip – im Englischen sog. „Cognitive Electronic Warfare“. KI wird hier genutzt, um aktive wie auch passive EK-Fähigkeiten – auch Electronic Support Measures (ESM) und Electronic Counter Measures (ECM) genannt – kognitiv zu machen. Beispielsweise können über KI die großen Datenmengen auf Signalebene effektiv analysiert und bekannte sowie unbekannte Emitter erkannt werden. Dieses höhere Lagebewusstsein kann nicht nur einem menschlichen Operator als Information und Entscheidungsgrundlage zugespielt werden, sondern auch genutzt werden, um direkt ausgewählte ECM-Gegenmaßnahmen situativ in Echtzeit KI-basiert anzupassen.

Nur durch modernste KI-Systeme, gekoppelt mit führender Elektronik wird die hohe Komplexität im EMS, die schon auf dem Gefechtsfeld von heute vorliegt, ein lösbares Problem. Entscheidend ist dabei: KI-basierte EK-Fähigkeiten müssen nicht nur einmalig entwickelt, sondern kontinuierlich angepasst und verbessert werden. KI-basierte Softwarelösungen müssen on-board in Echtzeit dazulernen können, um sich an dynamisch veränderte Situationen anzupassen. So werden beispielsweise Herausforderungen wie die zügige und zukunftssichere EK-Befähigung des „Eurofighters“ lösbar, welcher als Nachfolger des „Tornados“ ECR für die Durchführung von EK-Missionen bis Ende 2028 einsatzfähig werden soll.

Das elektromagnetische Spektrum ist schon seit vielen Dekaden ein missionskritischer Raum. Hier werden auch in Zukunft Kriege gewonnen oder verloren. Nur durch den Aufbau von Fähigkeiten zum kognitiven EK kann die Bundeswehr auch in Zukunft Dominanz im elektromagnetischen Spektrum erreichen.

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