Das LNG-Schiff Neptune liegt Ende November 2022 im Hafen Mukran auf der Insel Rügen. Foto: picture alliance/Jens Köhler

28.12.2022
Von Antje Nötzold

Explosionen zeigen die Verletzlichkeit von maritimer Infrastruktur

Die deutsche Energie- und Versorgungssicherheit umfasst auch maritime Dimensionen.

Energiepolitik und Versorgungssicherheit haben in den letzten Monaten erhöhte Brisanz und über Expertenkreise hinaus öffentliche Aufmerksamkeit erhalten durch die Entwicklungen in Europa im Zuge des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine als auch durch die stetig wachsenden Herausforderungen an die internationale Ordnung durch China. Die Reaktionen fokussieren sich auf eine Verringerung strategischer Verwundbarkeiten der Wirtschaft ebenso wie der politischen Erpressbarkeit von Regierungen mittels besserer Versorgungssicherung durch Diversifizierungsbemühungen zum Ersatz russischer Erdöl- & Erdgaslieferungen sowie durch eine beschleunigte Transformation des Energiesystems in Deutschland und Europa.

Beide Aufgaben mit jeweils kurz- bis langfristigen Aspekten umfassen auch Sicherheitsfragen im maritimen Bereich. Bei fossilen Energien betrifft dies die Sicherung von Offshore-Energieförderung und maritimer Energieträgertransportwege. Die Explosionen, die Ende September 2022 drei der vier Nordstream-Pipelinestränge beschädigt und vermutlich unbrauchbar gemacht haben, verdeutlichen die Verletzlichkeit maritimer Energieinfrastruktur. Die europäische Energieversorgungssicherheit wird maßgeblich gestützt von Offshore-Gasförderung in Norwegen und perspektivisch im östlichen Mittelmeer sowie dem Gastransport über Unterwasserpipelines – Europipe I & II und Baltic Pipe aus Norwegen sowie verschiedene Gaspipelines aus Nordafrika nach Spanien und Italien. Diese kritischen Energieinfrastrukturen, ebenso wie Unterwasser-Datenkabel, stellen hochwertige mögliche Angriffsziele einer potenziellen „Kriegsführung auf dem Meeresboden“ dar. Die kürzlich angekündigte Einrichtung eines NATO-Zentrum zur Überwachung der Offshore-Infrastruktur soll verschiedene Akteure und Aufgaben koordinieren und auch militärische Kräfte mit einbinden. Welche Rolle die Marine zum Schutz der mehrheitlich unternehmerischen Infrastruktur dabei leisten soll und kann, ist jedoch eine politisch noch zu klärende Frage.

Von globaler Bedeutung

Neben der vor allem regionalen Bedeutung von Offshore-Förderung und -Pipelines ist der Tankertransport von Erdöl und zunehmend auch Erdgas von energiepolitisch globaler Bedeutung. Ein Großteil des gehandelten Erdöls, dessen Menge absolut seit 2011 um fast 20 Prozent zugenommen hat, wird per Tanker transportiert. Hinzu kommt ein stetig wachsender interregionaler Gashandel, ermöglicht durch die Verflüssigung von Erdgas zu LNG. Hat Europa 2021 bereits ein Drittel seiner Gasimporte per LNG (und zwei Drittel per Pipeline) bezogen, werden der russische Angriffskrieg auf die Ukraine und die Pläne der EU-Staaten, Energieimporte aus Russland in den nächsten Jahren komplett einzustellen, diesen Trend sprunghaft verstärken. Die Internationale Energieagentur schätzt, dass schon in der nächsten Fünf-Jahres-Periode bis 2027 LNG knapp 60 Prozent der nicht-russischen Gasimporte in die EU ausmachen wird. Ermöglicht wird dies durch massive Investitionen in neue Importinfrastruktur. Während deutsche Energieunternehmen bisher keine eigenen LNG-Terminals hatten, sondern Kontingente u.a. am Gate Terminal Rotterdam hielten, hat der letztlich komplette Ausfall russischer Gaslieferungen per Pipeline zu einem rasanten Umschwung geführt. Aufgrund massiver politischer Unterstützung werden bis zum Winter 2023/24 voraussichtlich vier LNG-Terminals in Deutschland in Betrieb sein und gut ein Drittel des deutschen Gasbedarf decken können – gemessen am Verbrauch 2021. Neben den Bemühungen um neue langfristige Lieferverträge wird außerdem der globale Spotmarkt mehr Bedeutung erlangen, um künftige Abhängigkeiten zu vermeiden. Studien schätzen, dass bis 2030 die installierten weltweiten Verflüssigungskapazitäten um mehr als zwei Drittel ansteigen werden – mit Australien, USA und Katar als den größten, aber auch weiteren neuen LNG-Produzenten – und damit wachsende Dynamik im globalen Gasmarkt entsteht.

Trend zeichnet sich ab

Der Trend zunehmenden Handels von Erdgas als LNG per Schiff auch außerhalb Asiens hat sich bereits im letzten Jahrzehnt abgezeichnet, insbesondere durch die sogenannte „Shale Gas Revolution“ in den USA. Nach Zahlen des BP Statistical Review of World Energy hat der interregionale LNG-Handel zwischen 2011 und 2021 in absoluten Zahlen um fast 60 Prozent zugenommen und auch seinen Anteil am insgesamt merklich gestiegenen interregionalen Gashandel von 41 auf über 50 Prozent ausgebaut. Allein 2021 stieg der globale LNG-Handel um 8,5 Prozent, was 2022 angesichts sinkender russischer Gaslieferungen nach Europa massiv steigen wird. Die Gaslieferungen von Russland nach Europa machten fast 19 Prozent des 2021 global per Pipeline gehandelten Gases aus. Neben den Lieferstopps von russischer Seite in einige europäische Staaten möchte auch die EU so schnell wie möglich alle Gasimporte aus Russland einstellen, wofür nur in begrenztem Umfang Gas aus alternativen pipelinegebundenen Bezugsquellen wie Norwegen, Aserbaidschan oder Algerien bezogen werden kann. Ihren zusätzlichen Gasimportbedarf wird die EU daher durch LNG decken müssen, das voraussichtlich insbesondere aus den USA und in geringerem Maße aus Katar kommen wird. Eine Studie des Energiewirtschaftlichen Instituts in Köln prognostiziert, dass die LNG-Importe aus den USA daher bis 2030 einen Anteil an den Gesamtgasimporten der EU von circa 40 Prozent erreichen werden.

Neuralgische Punkte

Mit diesen Trends wird die bereits seit Jahrzehnten gewichtige Bedeutung freier Schifffahrtswege nicht nur für Deutschland und Europa, sondern für die gesamte globale Energieversorgung weiter massiv zunehmen. Von besonderer strategischer Bedeutung sind dabei die neuralgischen Punkte der Schifffahrtswege, sogenannte „choke points“ wie beispielsweise die Straße von Hormuz am Ausgang des Persischen Golfs. Diese strategische Meerenge müssen täglich 25 Prozent des globalen Ölhandels passieren sowie die LNG-Exporte aus dem Mittleren Osten, die 2021 laut BP ebenfalls rund 25 Prozent des globalen LNG-Handels ausmachten. Eine eingeschränkte Nutzbarkeit oder gar Blockade von strategischen Seewegen aufgrund von gewaltsam ausgetragenen Konflikten oder Unfällen, wie die tagelange Blockade des Suezkanals durch das Containerschiff „Ever Given“ 2021 gezeigt hat, hätte erhebliche Folgen für die Öl- und Gasmärkte weltweit ebenso wie für die globalen Lieferketten.

Mit der fortschreitenden Umstellung des Energiesystems auf erneuerbare Energien werden fossile Energieträger zwar zunehmend an Bedeutung verlieren, jedoch nicht die maritimen Aspekte der Versorgungssicherheit. Zum einen bleibt weiterhin der Schutz maritimer Energieinfrastruktur notwendig wie Offshore-Windparks, Stromkabel und Pipelines, die zukünftig für Wasserstoff genutzt werden sollen. Zum anderen wird Energie in verschiedenen Formen weiter global gehandelt und transportiert werden. Sonnen- und windreiche Standorte im globalen Süden bergen ein riesiges Potenzial, aus erneuerbaren Energien Strom und sogenannten grünen Wasserstoff zu erzeugen, der langfristig als Alternative zu Erdgas gilt und dann per Schiff beispielsweise aus Kanada oder dem Nahen Osten nach Europa transportiert werden muss. Zusätzlich sind Deutschland und Europa bei Rohstoffen und Komponenten für die grünen Technologien wie Seltene Erden, kritische Rohstoffe oder Halbleiter größtenteils bis vollständig abhängig von Importen. Die maritime Dimension von Energiepolitik und Versorgungssicherheit bleibt somit auch im Zuge der Transformation des Energiesystems relevant und gewichtig.

Wertvolles am Meeresboden

Langfristig wird mit dem Tiefseebergbau noch eine weitere maritime Komponente der Versorgungssicherheit mit kritischen Rohstoffen hinzukommen. Am Meeresboden lagern Millionen Tonnen metallhaltiger Mineralien in Form von sogenannten Manganknollen, Kobaltkrusten und Massivsulfiden in Tausenden Metern Tiefe. Diese weisen große Mengen wirtschaftlich wichtiger und zunehmend als kritisch eingestufter Rohstoffe auf wie Mangan, Nickel, Kupfer, Kobalt, Gold und Seltene Erden. Zwar existieren noch keine marktreifen Fördertechnologien, aber ein Abbau der Vorkommen am Meeresboden ist für viele Staaten von strategischem Interesse.

Zum einen, da die Nachfrage dieser Metalle durch den Ausbau grüner Technologien, Batterien und Hightech-Anwendungen in den nächsten Jahrzehnten rasant ansteigen wird und die maritimen Ressourcen die Vorkommen an Land zum Teil deutlich übertreffen. Zum anderen ist die Förderung vieler dieser Rohstoffe in nur wenigen Ländern konzentriert, was die Versorgungslage kritisch macht. Basierend auf dem internationalen Seerechtsübereinkommen (UNCLOS) wird eine mögliche Ausbeutung der Rohstoffe in internationalen Gewässern von der Internationalen Meeresbodenbehörde reguliert. Bisher wurden lediglich Explorationslizenzen vergeben, um aus den Erfahrungen einen „Mining Code“ zu entwickeln, der die Voraussetzung für industriellen Abbau bilden soll. Deutschland hat mit der Bundesanstalt für Geowissenschaften jeweils eine Explorationslizenz für polymetallische Sulfide im Indischen Ozean sowie für Manganknollen in der Clarion-Clipperton-Zone im Pazifik. Ein zukünftiger industrieller Abbau der Rohstoffvorkommen in der Tiefsee birgt auch Konfliktpotenzial und bringt maritime Aufgaben mit sich, wie die Sicherung der Infrastruktur, der geförderten Rohstoffe und des zugestandenen Bergbaugebietes. Ein Engagement deutscher Institutionen oder Unternehmen würde ebenso wie bei der Sicherung maritimer Energieinfrastruktur die Frage aufwerfen, welche Rolle dabei die Marine übernehmen kann und sollte.

Spätestens 2022 sollte auch in Deutschland überdeutlich geworden sein, dass Energieversorgungssicherheit integraler Bestandteil einer umfassenden sicherheitspolitischen Strategie sein muss. Der kurze Blick auf die aktuellen und künftigen Entwicklungen hat dabei gezeigt, dass sichere Energieversorgung für Deutschland und Europa unerlässlich durch eine maritime Dimension gekennzeichnet ist.

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