Konzeptgrafik des Mehrzweckkampfschiffes 180 der Werften Damen und Blohm + Voss. Die Übergabe an die Marine ist für Ende der 2020er Jahre geplant. Foto: Damen Schelde Naval Shipbuilding

Konzeptgrafik des Mehrzweckkampfschiffes 180 der Werften Damen und Blohm + Voss. Die Übergabe an die Marine ist für Ende der 2020er Jahre geplant. Foto: Damen Schelde Naval Shipbuilding

27.08.2020
Kapitän z.S. a.D. Heinz Dieter Jopp

Ist die Deutsche Marine für die Zukunft aufgestellt?

Eine Momentaufnahme im August 2020 zeigt, dass die Deutsche Marine den bisherigen Trend zu immer weniger Waffenplattformen (unter Wasser, über Wasser, Luft) stoppen konnte. Da man jedoch stets mit einem Faktor 2,5 für eine im Einsatz befindliche Plattform rechnen muss – wegen Ausbildung, Vorbereitung und Nachbereitung Einsatz, Instandsetzungszeiten – bleiben die Einsatzmöglichkeiten der Marine auch künftig beschränkt.

Nach überlanger Wartezeit laufen die Fregatten F125 nunmehr zu, das zweite Los der Korvette 130 wurde über die parlamentarischen Hürden gebracht und mit dem Bau begonnen. Das Mehrzweckkampfschiff 180 hat die politischen und wirtschaftlichen Querelen beenden können und im Juni 2020 wurde der Vertrag mit der niederländischen Damen Gruppe als Generalunternehmer unterzeichnet. Der Zulauf wird hoffentlich Ende der 2020er Jahre beginnen. Der „Sea Lion“ als Nachfolger des „Sea King“ läuft zeitverzögert an. Die Nachfolge „Sea Lynx“ mit dem „Sea Tiger“ soll nun endlich die parlamentarischen Hürden im Oktober nehmen, ein mögliches Nachfolgemuster für den See- fernaufklärer P3-C „Orion“ wurde bereits auf die 2030er Jahre verschoben. Die U-Boote der Klasse 212 konnten ihre Einsatzausfälle wegen fehlender Ersatzteile vorerst beenden, ein nächstes Los als bilaterales Projekt mit Norwegen ist in der Bauphase.

Aber ist die Deutsche Marine damit für die Zukunft aufgestellt? Eine Frage, der die deutsche Politik nicht länger ausweichen sollte. Warum, könnte eine zweite Momentaufnahme im August ‘20 zeigen. Die U.S. Navy hat soeben die Fortsetzung der Neubauten ihres LCS (Littoral Combat Ship – Kampfschiff für den küstennahen Einsatz) gestoppt, um Gelder für Neubauten anderer Schiffstypen freizusetzen, die für die künftigen Auseinandersetzungen mit der wiedererstarkten Russischen Marine und der Chinesischen Marine gebraucht werden. Planungsgrundlage für das LCS waren Anfang des Jahrhunderts ähnliche Überlegungen wie für die Beschaffung der K130 oder auch der F125.

Die Royal Navy Großbritanniens will mit dem Neubau und erfolgten Zulauf von zwei Flugzeugträgern und deren möglichem Einsatz jenseits von Suez an alte Zeiten anknüpfen. Allerdings sind derzeit die geplanten F35 B wie auch die notwendigen Schiffe zum Schutz der Träger deutlich unterfinanziert, ein zahlenmäßiger wie zeitlich notwendiger Zulauf wegen Corona und ihren wirtschaftlichen Folgekosten sowie wegen des Brexit nahezu illusorisch.

Als dritte Momentaufnahme müssen Überlegungen zu den gesundheitlichen, sozialen wie wirtschaftlichen Folgen der COVID-19 Pandemie wie auch des ungebremsten Klimawandels und seiner möglichen Folgen mit in das sicherheitspolitische Kalkül von Streitkräften und damit auch der Marine eingebracht werden (vergleiche unter anderem Artikel in „Die Bundeswehr“, August 2020 S.30f.). Endet die Zeit der Globalisierung und damit die Lagerhaltung von Bauteilen der industriellen Fertigung auf Straße, Schiene, Luftfahrzeuge und Schiffe? Endet damit der erforderliche Schutz von Seeverbindungswegen? Endet die über Jahrzehnte entwickelte Rechtsordnung eines multilateralen Systems zugunsten eines Rechts des Stärkeren? Sind die Europäer angesichts möglicher Auseinandersetzungen zwischen den USA sowie China und Russland bereit, von ihrer gewohnt kleinkarierten Krämermentalität umzuschwenken auf gemeinsame Positionen, um nicht zwischen den Mühlsteinen der drei großen Mächte zermahlen zu werden? Dies gilt insbesondere auch für den Umgang mit Migration über das Mittelmeer angesichts rapide steigender Bevölkerungszahlen in Afrika.

Die dritte Momentaufnahme zeigt dabei die größte Herausforderung gerade für den Marineschiffbau, sind diese sicherheitspolitischen Probleme doch gerade einmal ein paar Monate alt. Ist damit schon der planerische Ansatz für das MKS 180 veraltet, das ja frühestens Ende der Dekade, eher noch am Anfang der 30er Jahre zulaufen und anschließend bis 2060 eingesetzt werden soll? Haben sich bis dahin die Vorstellungen von möglichen Seekriegsoperationen insbesondere gegen die russische wie auch die chinesische Marine geändert? Wird die U.S. Navy ihren Schwerpunkt noch stärker in den Indo-Pazifik verlagern? Werden die Europäer im Schwarzen Meer, im Mittelmeer, im Atlantik und in der Ostsee auf sich alleine gestellt sein? Welche Erfassungs- und Bekämpfungssysteme haben sie dann an Bord, um der heutigen Reichweitenüberlegenheit russischer wie auch chinesischer Seezielflugkörper Paroli bieten zu können? Wie und bis wohin wollen die Europäer ihre weltweiten Handelswege, aber auch die Unterwasserkabel, Bohrinseln und seegestützten Wind- und Solaranlagen schützen? Wie geplante Tiefseeschürfungen absichern.

Im Herbst plant die Bundeskanzlerin als EU-Ratspräsidentschaft mit China Gespräche über die künftigen Beziehungen zu führen. In der Logik müssten sich sicherheitspolitische Gespräche der EU-Mitgliedsstaaten über ihre gemeinsamen (!) auch maritimen Sicherheitsinteressen anschließen, die zu einer Neujustierung strategischer Überlegungen im globalen und regionalen Kontext führen sollten, wobei es um Realisierungsmöglichkeiten gehen muss, da es hunderte von einschlägigen staatlichen wie nicht-staatlichen Überlegungen gibt. Alle EU-Mitgliedsstaaten wissen dies seit Dekaden. Sind sie nun bereit, ihre nationalen Befindlichkeiten zu Gunsten aller in der europäischen Werte- und Interessengemeinschaft aufzugeben, um eine europäische Position nach außen zu vertreten und mit den erforderlichen auch militärischen Mitteln versehen zu können?

Falls dies kurzfristig nicht machbar ist, sollte sich eine Gruppe von gleichgesinnten Mitgliedstaaten bilden, die ihre maritimen Fähigkeiten zusammenführen könnten, um durchaus schlagkräftige Einsatzgruppen zu formen und diese sichtbar gemeinsam üben zu lassen. Die Five Eyes (USA, Großbritannien, Kanada, Australien, Neuseeland) praktizieren dies gerade im Indo-Pazifik. Japan möchte diesem Club beitreten. Wäre die deutsche Politik bereit, eine Meinungsführerschaft in der EU mitzugestalten?

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