Oberstleutnant i.G. Marcel Bohnert (v.l.) im Gespräch mit der stellvertretenden Vorsitzenden der Unionsfraktion im Bundestag, Andrea Lindholz, dem Historiker Sönke Neitzel und der Wehrbeauftragten des Bundestags, Eva Högl. Moderiert wurden die Panels vom ARD-Journalisten Michael Stempfle. Screenshot: DBwV

Oberstleutnant i.G. Marcel Bohnert (v.l.) im Gespräch mit der stellvertretenden Vorsitzenden der Unionsfraktion im Bundestag, Andrea Lindholz, dem Historiker Sönke Neitzel und der Wehrbeauftragten des Bundestags, Eva Högl. Moderiert wurden die Panels vom ARD-Journalisten Michael Stempfle. Screenshot: DBwV

10.04.2022
Von Yann Bombeke

Königsbronner Gespräche: „Jetzt ist das Zeitfenster da, in dem wir es packen können“

Wie verändert das Klima unsere Außenpolitik? Der Krieg in der Ukraine hat zwar die Diskussion ums Klima einerseits in den Hintergrund gedrängt, andererseits aber auch offengelegt, wie sehr Europa und insbesondere Deutschland von der Lieferung fossiler Energieträger aus Russland abhängig ist – die Suche nach Alternativen zu Öl, Gas und Kohle hat damit eine neue, sicherheitspolitische Dimension erreicht. So stand die neunte Auflage der Königsbronner Gespräche ganz im Zeichen der neuen Herausforderungen der Klimaaußenpolitik.

Die Königsbronner Gespräche sind schon eine gute Tradition im Bereich der sicherheitspolitischen Veranstaltungen in Deutschland. Auch im zehnten Jahr war der Austragungsort die alte Hammerschmiede der Ortschaft im Kreis Heidenheim in Baden-Württemberg, die Veranstalter erneut der Bundestagsabgeordnete Roderich Kiesewetter, die Konrad-Adenauer-Stiftung und das Bildungswerk des Deutschen BundeswehrVerbandes. Dennoch war vieles in diesem Jahr anders: Der brutale Krieg Russlands in der Ukraine hat alte Ängste in Europa wiederbelebt. Ängste, dass der Weltfrieden bedroht ist, aber auch Ängste angesichts der deutschen Abhängigkeit von fossilen Energieträgern aus Russland, zusätzlich befeuert durch steigende Energiepreise.

In seinem Eingangsstatement sagte Prof. Dr. Franz-Josef Radermacher, Wissenschaftler an der Universität Ulm, dass die Debatte um die Klimapolitik ein „schwieriges, aber kein neues Thema“ sei. Seit mehr als 50 Jahren werde weltweit über Klima- und Umweltpolitik geredet – zu oft aber eben nur geredet: „Wir sind besonders gut darin, zu reden und zu reden und zu reden. Das Geschwalle unseres Redens hört nie auf“, stellte Rademacher fest und betonte: „Wir seien zwar jetzt alle erschüttert, dass es wieder Krieg gibt. Aber: auf diesem Globus gab es schon immer Krieg. In Äthiopien sterben aktuell täglich mehr Menschen als in der Ukraine – es interessiert nur keinen.“ Der Konflikt im östlichen Afrika sei eben weit weg. Radermacher: „Das ist auch dominierende Bild beim Klima.“

Wenn Deutschland sich nun in der Klimapolitik Ziele stecke, hätten diese keinen oder nur wenig Einfluss auf die die Entwicklung des Weltklimas, unterstrich der Wissenschaftler und nannte als Beispiel den geplanten Kohleausstieg, sei es bis 2030 oder bis 2038: „Wir sparen unter unendlichen Schmerzen 40 Gigawatt ein.“ Dabei habe China allein in 2019 und 2020 40 Gigawatt in Betrieb genommen und könne auch gar nicht auf Kohlekraftwerke verzichten, so Radermacher, der von Narrativen spricht, die wenig mit der Realität zu tun haben, etwa in Bezug auf vermeintlich geringe Kosten der Produktion grünen Stroms.

In der Bundeswehr wird schon viel für den Umweltschutz getan

Für den DBwV nahm Oberstleutnant i.G. Marcel Bohnert in Vertretung des Bundesvorsitzenden, Oberst André Wüstner, an der Veranstaltung teil. Der Zweite Stellvertreter des Bundesvorsitzenden bezeichnete den russischen Einmarsch in die Ukraine als eine tiefe Zäsur, deren langfristige Folgen man heute noch gar nicht abschätzen könne. Klimawandel, Umweltpolitik, Energiewende, angestrebte Unabhängigkeit von Russland: Vor dieser gesamtgesellschaftlichen Verantwortung könne sich auch die Bundeswehr nicht entziehen, betonte Bohnert. Auf der anderen Seite steht das angekündigte 100-Milliarden-Paket für die Bundeswehr, um diese wieder in die Lage zur Landes- und Bündnisverteidigung zu versetzen. „Diese beiden Pole stehen sich erstmal gegenüber, unvereinbar sind sie aber nicht“, sagte der Stabsoffizier. Bereits jetzt werde innerhalb der Bundeswehr mehr für den Umweltschutz getan, als es vielen Außenstehenden bewusst sei, so Bohnert. Mit den Folgen des Klimawandels seien die Soldatinnen und Soldaten nicht nur in den Einsätzen konfrontiert, sondern auch in der Heimat, sagte der stellvertretende Bundesvorsitzende und verwies auf den Einsatz der Bundeswehr bei der Flutkatastrophe in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz im vergangenen Sommer.

Bevor es im Panel in die Diskussion ging, warf Oberstleutnant i.G. Bohnert eine These in den Raum: „Die Handlungsfähigkeit der Bundeswehr kann nur dann gewährleistet werden, wenn sie kampfkräftig ist, wenn sie eine hohe Einsatzbereitschaft hat und genau dort muss auch unsere Priorität liegen. Die Fragen des Umweltschutzes müssen mit dabei sein, aber der Fokus muss auf die Einsatzbereitschaft der Streitkräfte gemünzt sein, so Bohnert. Die Bundeswehr dürfe sich nicht in ideologische Debatten zu tief reinziehen lassen, sondern müsse immer im Worst-Case-Szenario denken.

Auf dem Podium diskutierte Bohnert dann mit der Wehrbeauftragten Eva Högl, dem Historiker Prof. Sönke Neitzel und der stellvertretenden Vorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Andrea Lindholz. Die Wehrbeauftragte wies ebenfalls darauf hin, dass die Bundeswehr in Sachen Umweltschutz sehr aktiv sei – selbst im Einsatz. Högl verwies etwa auf die Nutzung einer Photovoltaik-Anlage auf dem Bundeswehr-Stützpunkt in Niamey in Niger. Nun stelle sich auch die Frage: Welche Auswirkungen hat der Krieg in der Ukraine auf die Entwicklung der Klimapolitik? Oder: Steht das Thema Einsatzbereitschaft der Bundeswehr im Widerspruch mit Klima- und Umweltschutz? Högl machte deutlich, dass sie die Stärkung der Einsatzbereitschaft der Streitkräfte eher als Chance sieht, das Erreichen von Zielen im Klimaschutz zu beschleunigen. Mit Blick auf das von Bundeskanzler Scholz versprochene 100-Milliraden-Paket für die Bundeswehr sagte Högl, dass man auch darauf achten müsse, dass dieses Geld im Sinne des Klimaschutzes ausgegeben wird. „Die Bundeswehr kann auch Treiber sein für Innovation“, so Högl.

Droht eine Verwässerung der „Zeitenwende“?

Der prominente Historiker der Universität Potsdam, Prof. Neitzel, betonte, dass man anders als in der aktuellen Lage in der Vergangenheit den Kernauftrag der Bundeswehr, also Landes- und Bündnisverteidigung, nicht wirklich ernst genommen habe. Mit Blick auf die „Zeitenwende“ und die Wiedererlangung der Einsatzbereitschaft der Bundeswehr gab sich Neitzel skeptisch. Das Problem sei nicht die Bevölkerung, sondern die politische Kultur in Deutschland, so der Historiker. In der Realitätswahrnehmung sei der Bundestag den Entwicklungen immer hinterhergehinkt. Dass die „Zeitenwende“ gelingt, liege nun in den Händen des gesamten Kabinetts und insbesondere des Bundeskanzlers, so Neitzel.

Für die Bundestagsabgeordnete Andrea Lindholz steht auch eine Stärkung des Zivilschutzes in Deutschland auf der To-do-Liste, damit sich die Bundeswehr künftig wieder auf ihre Kernaufgaben konzentrieren könne. Dafür müsse jedoch zusätzliches Geld aufgebracht werden.

Auch Oberstleutnant i.G. Bohnert äußerte die Befürchtung, dass das 100-Milliarden-Paket für die Bundeswehr mehr und mehr verwässert werden könnte. „Wir sehen es in der aktuellen Debatte, dass es weiter aufweicht“, sagte Bohnert, der aber dennoch auf ein Gelingen des Projekts „Zeitenwende“ hofft: „Jetzt ist das Zeitfenster, das Momentum, da, in dem wir es packen können.“

Im Anschluss standen die Panel-Teilnehmer dem Publikum für die Beantwortung einer ganzen Reihe von Fragen zur Verfügung. Themen wie die Lieferung von Waffen an die Ukraine, Attraktivität des Dienstes in der Bundeswehr, um ausreichend geeignetes Personal zu gewinnen, oder etwa Wiedereinführung der Wehrpflicht zeigen, dass das Thema Sicherheitspolitik wieder in den Fokus der Bevölkerung gerückt ist. Viele junge Menschen, wie in den Vorjahren auch wieder ganze Schulklassen, verfolgten und beteiligten sich an der Diskussion.

Die gesamte neunte Auflage der Königsbronner Gespräche mit ihren vielen spannenden Diskussionen können Sie in dieser Aufzeichnung nachverfolgen.

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