Oberstleutnant Anne Bressem wird im Oktober 2020 von den SPD-Delegierten zur Bundestagskandidatin gewählt. Foto: Olaf Schulze

Oberstleutnant Anne Bressem wird im Oktober 2020 von den SPD-Delegierten zur Bundestagskandidatin gewählt. Foto: Olaf Schulze

10.01.2021
Frank Jungbluth

Lebensaufgabe Gleichstellung: Anne Bressem – von der Luftwaffe in die Politik

Verwandte und Freunde waren besorgt, als sie vor 20 Jahren erfuhren, dass die damals 18-jährige Anne Bressem Berufssoldatin werden will. Sie begann bei der Luftwaffe, kämpfte sich nach oben in den Rang einer Stabsoffizierin und hat jetzt das große Ziel, als SPD-Bundestagsabgeordnete für die Gleichstellung auch im Parlament mitstreiten zu können.

Wir sehen lachende junge Damen auf einem Gruppenfoto, schwer beladen, sicher erschöpft, aber voller Tatendrang: Es ist der Herbst des Jahres 2001 und seit neun Monaten sind alle Laufbahnen der Bundeswehr auch für Frauen geöffnet. Eine hatte fünf Jahre zuvor den Kampf für die Gleichstellung auch in den Streitkräften aufgenommen. Anne Bressem (38) und ihre Kameradinnen auf diesem Foto sind mit die ersten Soldatinnen, denen Tanja Kreils Erfolg ermöglicht, neue Wege im Berufsleben zu gehen.

In der Bundeswehr hat man den Dienst an der Waffe für Frauen bis dahin ausgeschlossen. 20 Jahre lang seit der Gründung 1955 war die Truppe ein reiner Männerverein, ab 1975 können Frauen sich für den Sanitätsdienst bewerben. 27 Jahre später kommt Anne Bressem in der ehemaligen DDR zur Welt und als sie 17 ist und darüber nachdenkt, was nach dem Abitur kommen soll, rät ihr Vater ihr, es auch bei der Bundeswehr zu versuchen. Zielstrebig und selbstbewusst fährt Anne Bressem aus Thüringen nach Köln, um drei harte Tage in der Offizierbewerberprüfzentrale (OPZ) zu überstehen. Körperliche Leistungsfähigkeit, Allgemeinwissen, psychische Belastbarkeit – alles, was ein Offizier können muss. „Ich war schon stolz, dort angenommen worden zu sein“, erinnert sie sich heute. Am 3. September 2001 beginnt sie ihren Dienst bei der Luftwaffe in Bayreuth und die Verwandten und Freunde sind voller Sorge: „Ist das nicht zu hart für dich?“ „Es war immer herausfordernd”, sagt die junge Frau Oberstleutnant, Mutter zweier Kinder im Vorschulalter, „aber ich würde nicht sagen, dass es zu hart war, ich habe gelernt, an den Herausforderungen zu wachsen.”

An neuen Aufgaben hat es ihr nie gemangelt. Nach der Ausbildung an der Offizierschule der Luftwaffe beginnt das Studium an der Helmut-Schmidt-Universität in Hamburg, sie wird für den Einsatzführungsdienst ausgebildet und sucht auch immer wieder die Nähe zum Zivilleben, arbeitet im Büro eines SPD-Bundestagsabgeordneten, wird – auch weil es in der Verwandtschaft eine Sozialdemokratin gibt, die Berufspolitikerin ist – Mitglied der Sozialdemokratischen Partei, die in Thüringen ihre Wiege hat und heute ausgerechnet dort einen beispiellosen Absturz verkraften muss. 1994 stimmten noch knapp 30 Prozent der Wähler für die SPD, bei der Landtagswahl 2019 waren es nur noch knapp über acht Prozent. 94 Prozent der Delegierten haben im Herbst 2020 für Anne Bressem als Bundestagskandidatin gestimmt.

„Wir brauchen Engagement für die Menschen, die Leute müssen spüren, dass wir uns ernsthaft für sie einsetzen”, weiß Anne Bressem, die im Oktober für den Wahlkreis Eichsfeld-Nordhausen-Kyffhäuserkreis nominiert worden ist. Bis 2021, im September, gilt es, die Menschen dort von ihr zu überzeugen. Das dürfte eigentlich so schwer nicht sein. Sie ist ein Beispiel für eine selbstbewusste Frau, die ihren Weg gegangen ist, die mit ihrem Mann die gemeinsamen Kinder großzieht, die neben der vielen Arbeit als Sprecherin des Thüringer Innenministers, als Abgeordnete im Stadtrat Sondershausen und im Kreistag noch die Geborgenheit der Familie braucht, die zeigt: Es geht, wenn man nur will.

Von der vielen Kraft, die das alles kostet, spricht sie nicht. Durchhalten, das hat sie bei der Bundeswehr verinnerlicht. Dabei helfe die Kameradschaft. „Das war vom ersten Tag an so. Das gibt es auch nirgendwo anders”, weiß Anne Bressem von den Ausflügen ins zivile Berufsleben. Kollegialität, Zusammenhalt, ja, aber Kameradschaft? „Das ist etwas anderes. Das ist ein bedingungsloses Dasein füreinander. Anders kann man es nicht beschreiben.”

Einige Monate ist sie jetzt hauptberuflich in der Landesregierung als Sprecherin. Das kann helfen, im Bundestagswahlkampf zu bestehen. Schon die Kandidatur war kein leichtes Spiel. „Eine Frau, die Offizierin ist, die Uniform trägt, ich habe gemerkt, da fremdelt der eine oder andere in meiner Partei, dabei ist es so wichtig, dass auch in der SPD Soldatinnen und Soldaten aktiv mitmachen, wenn die Partei bei den Menschen bleiben will”, sagt sie. Die SPD, seit dem Vereinigungsparteitag in Gotha von 1875 seit inzwischen 145 Jahren auf der politischen Bühne, macht es der Kandidatin für ein Bundestagsmandat nicht leicht. Gerade wird davon schwadroniert, dass man sich doch nicht für bewaffnete Drohnen entscheiden könne. Sagen zumindest die heutigen Vorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans. „Ich bin dafür, weil bewaffnete Drohnen das Leben der Kameradinnen und Kameraden im Einsatz schützen”, ist Anne Bressem überzeugt. „Wir dürfen als SPD die Soldaten nicht verlieren.”

Gewinnen will Anne Bressem ihr Mandat mit der Leidenschaft, mit der sie immer die Wege ihres Lebens gegangen ist. Der Wahlkampf, die härteste Form der politischen Auseinandersetzung, liegt noch vor ihr. Er ist die Langstrecke für die begeisterte Sportlerin. Als Politikerin braucht man Geduld, das ist eine wichtige Tugend. Sie will die sozialdemokratische Stimme ihres nordthüringischen Wahlkreises in Berlin sein. Sie würde die Chance auch nutzen, die Stimme der Soldatinnen und Soldaten in der SPD-Fraktion zu sein. Was der BundeswehrVerband als Berufsverband von außen leistet, will sie von innen in die Fraktion tragen: Das Land braucht eine einsatzbereite und bestens ausgestattete Bundeswehr, auf die man sich verlassen kann. „Aber die Soldaten müssen auch uns Politikern vertrauen, das ist die Basis des Dienstes für eine Parlamentsarmee.”

Die Parlamentsarmee der Staatsbürger in Uniform ist – diese deutliche Sprache sprechen die Zahlen – auch 20 Jahre nach dem historischen Tag eine Männerdomäne. „Wir sind ja immer noch nur zwölf Prozent.” Warum ist das so? „Es ist sicher immer noch ein harter Beruf. Ich habe früher auf Messen mit Schulabgängerinnen gesprochen, die ganz begeistert vom Beruf waren. Denen habe ich immer gesagt: Ihr müsst bedenken, dass der Beruf euch einiges, sogar sehr viel abverlangt. Ihr müsst volle Leistung bringen, ihr werdet versetzt, das ist kein Beruf wie jeder andere. Aber dafür bekommt man auch eine Menge zurück. So habe ich es jedenfalls erlebt. Das ist meine Erfahrung bis heute.”

Mit Mitte 20 schon so viel Verantwortung für Menschen und Material – „das hat mich geprägt”, erklärt Anne Bressem. Sie wird später nach einem anspruchsvollen Training bei der Luftwaffe Einsatzführungsoffizier. Das ist unglaublich viel Verantwortung. „Dagegen war das nichts, als ich in der Ausbildung im Schongau meine Höhenangst besiegen musste, und das war schon hart.” Anne Bressems Weg führt sie noch ins Presse- und Informationszentrum der Luftwaffe. Daraus wird eine Leidenschaft für die Kommunikation. Das ist jetzt ihr Tagesgeschäft und wird helfen, im Wahlkampf zu bestehen. „Man kann nicht nicht kommunizieren”, hat der große Kommunikationswissenschaftler Paul Watzlawick einst einen Satz geprägt, den man als in Marmor gemeißelt betrachten kann. So muss man auch betrachten, dass Anne Bressem, die SPD-Bundestagskandidatin, Uniform trägt. Das regt die Linken in ihrer Partei nicht nur zum Widerspruch an, sondern auch zur offenen Ablehnung. Das kann die 38-jährige Frau Oberstleutnant nicht erschüttern. „Wir brauchen die Meinungsvielfalt in der Demokratie. Natürlich immer auf dem festen Boden des Grundgesetzes und vor allem auch nach demokratischen Regeln.”

Familie Bressem lebt das tradierte Familienbild, nur umgekehrt. „Mein Mann übernimmt den Part, immer Ansprechpartner für die Kinder zu sein.” Das gibt zuweilen seltsame Sprüche, wenn er die Jüngsten aus der Kita holt. „Für uns funktioniert das. Vielleicht auch deshalb ist die Gleichstellung ein Lebensthema für die Offizierin. „Das finde ich eher bei der SPD, die CDU ist da noch zu sehr in der Vergangenheit.“ So, wie die Tatsache, dass ihr die Strukturen in der Bundeswehr an einigen Stellen noch zu paternalistisch sind. „6000 Frauen sind Offiziere in der Bundeswehr, aber viel zu wenige schaffen es in den Generalstabslehrgang.”

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