Michael Nerschbach ist angehender Heilpraktiker Psychotherapie mit eigener Praxis. Als ehemaliger Soldat möchte er insbesondere Soldaten, Polizisten und Rettungskräften mit traumatischen und belastenden Erfahrungen helfen. Foto: Privat

Michael Nerschbach ist angehender Heilpraktiker Psychotherapie mit eigener Praxis. Als ehemaliger Soldat möchte er insbesondere Soldaten, Polizisten und Rettungskräften mit traumatischen und belastenden Erfahrungen helfen. Foto: Privat

13.08.2020
Amina Vieth

PTBS: „Zivile Therapeuten verstehen Soldaten häufig nicht“ – ehemaliger Soldat eröffnet eigene Praxis

Soldaten, Rettungssanitäter, Polizisten, Feuerwehrleute, sie alle sind mit außergewöhnlichen Situationen konfrontiert. Wenn die Seele das Erlebte nicht mehr verarbeiten kann, kann eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) die Folge sein. Das Leben gerät aus den Fugen. So war es auch bei Michael Nerschbach. Der heute 48-Jährige verpflichtete sich 1991 für den Sanitätsdienst der Bundeswehr. Später wurde er Berufssoldat. Fünf Auslandseinsätze absolvierte er als Rettungsassistent. Das Karfreitagsgefecht im Jahr 2010 in Afghanistan veränderte alles. „Es hat bei mir Knall gemacht, danach ging nichts mehr“, erinnert er sich.

Sein Leben sollte sich von diesem Tag an grundlegend verändern. Jetzt hat er einen Weg gefunden, mit der Krankheit PTBS zu leben und möchte auch anderen dabei helfen, wieder ins Leben zurückzufinden. Deswegen arbeitet er als Psychologischer Berater. Im Oktober will wird er die Prüfung zum Heilpraktiker Psychotherapie ablegen. Als ehemaliger Soldat verstehe er die Herausforderungen und Erlebnisse besser als andere Therapeuten, sagt Nerschbach.

„Am Karfreitag 2010 saß ich in der Leitstelle, die die Rettungseinsätze koordiniert. Ich habe den Notruf der unter Beschuss geratenen Kameraden entgegengenommen. Im Hintergrund hörte man die Schüsse, die Schreie, das Fliegen der Bomben“, erinnert er sich. Es wurde eine Rettungskette eingeleitet, ca. 16 Stunden habe der Einsatz gedauert. „Das Karfreitagsgefecht war der Auslöser für mich. Aber es kamen auch unterdrückte Erinnerungen und Gefühle aus vorherigen Einsätzen hoch, wie Georgien 2008“, erläutert Nerschbach. 23 Jahre sei er als Rettungssanitäter und Rettungsassistent tätig gewesen.

Noch in dem Afghanistan-Einsatz holte ihn das Erlebte ein. Schnell habe er gemerkt, dass etwas nicht mehr stimmte. Schlaflosigkeit, unkontrolliertes Essverhalten, Reizbarkeit und starke Schreckhaftigkeit hätten sich immer stärker bemerkbar gemacht. Während des Auslandseinsatzes habe er sich einer Ärztin anvertraut, ein ihm bekannter Flottillenarzt überzeugte ihn davon, nach der Heimkehr ins Bundeswehrkrankenhaus Koblenz zu gehen und sich behandeln zu lassen.
„Es kostete mich viel Überwindung, nach Koblenz zu gehen. Das war der schwerste Schritt, den ich bis dahin gemacht habe.“ Von 2010 bis 2015 folgten immer wieder stationäre und teilstationäre Aufenthalte in Kliniken. Er holt sich auch heute noch ambulante Therapeutische Unterstützung.

„Es ist ein Prozess, der niemals enden wird. PTBS heilt nie, aber man kann trotzdem das Beste daraus machen.“ Er habe jedoch Schwierigkeiten gehabt, professionelle Hilfe zu finden. „Die zivilen Therapeuten kennen sich mit der Thematik und Bundeswehr nicht aus. Sie wissen nicht, wovon man redet und können einem nicht folgen. Wenn ich vom Hubschrauber NH-90 rede oder einer Panzerhaubitze spreche, wissen sie nicht, was ich meine.“ Nerschbach habe sich nicht verstanden gefühlt. Er weiß, dass es auch anderen Soldatinnen und Soldaten so geht. Und eben für diese Frauen und Männer möchte er eine Stütze auf dem Weg zurück ins Leben sein.

Deswegen entschloss er sich 2018 dazu, „das Ganze für mich selbst zu beleuchten, zu hinterfragen und die Psyche zu erkunden“. Er begann die Ausbildung zum Heilpraktiker Psychotherapie. „Ich will denen, die missverstanden werden, das Gefühl geben, dass da jemand vor ihnen sitzt, der sie versteht“, betont Nerschbach. Ende des Jahres werde er den Abschluss machen. Seine Praxis in Neuenkirchen im Saarland baut er bereits auf. Aktuell darf er nur coachen, nach den Prüfungen dann auch Diagnosen stellen und Therapieverfahren anwenden.

Die Resonanz sei schon jetzt sehr positiv. Er betreue beispielsweise eine ehemalige Soldatin, „die sich nach sieben Jahren Therapie erstmals verstanden fühlt, denn ich weiß, wovon sie spricht“. Das sei ein gutes Gefühl, für ihn ebenso wie für die Patienten. Sorge, dass ihn die Arbeit belastet und alte Wunden aufreißt, habe er nicht. Für ihn sei es ein Stück weit auch Selbsttherapie. Und er habe mittlerweile einen Werkzeugkoffer an Taktiken an der Hand, um mit der Krankheit umgehen zu können.

Eine große Stütze sei ihm zudem seine Lebensgefährtin. Seine inzwischen Ex-Frau hatte ihn wegen der Erkrankung verlassen. Sie verstand ihn nicht mehr – er verstand sich und seine Gedanken ja selbst nicht mehr.

Die vier Kinder leben bei ihrer Mutter, das Haus hat Nerschbach verloren. Letztlich musste er in die Privatinsolvenz. Dennoch steht er nun wieder mit beiden Beinen im Leben. „Meine Partnerin, die seit 4 Jahren an meiner Seite ist, nimmt mich, wie ich bin. Das ist ganz, ganz wichtig. Sie ist für mich da, hört mir zu. Das ist ein großer Vorteil, so jemanden an seiner Seite zu haben. Dass sie in mein Leben kam, das ist das Beste, was mir passieren konnte.“ Wer sich zurückzieht, der könne so etwas nicht erleben. Man müsse Freundschaften pflegen und Intimität wieder lernen, aber es lohne sich, diese Schritte zu gehen.

Weitere Informationen über Michael Nerschbach und seine Arbeit gibt es unter www.michael-nerschbach.de

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