Ein Kampfpanzer Leopard 2A7V des Panzerbataillons 393 der Panzergrenadierbrigade 37 wird mit einer Fähre aus Schwimmschnellbrücken Amphibie M3 des Deutsch/Britischen Pionierbrückenbataillons 130 über die Havel gesetzt. Foto: Bundeswehr/Marco Dorow

09.10.2022
Von Dr. Hans C. Atzpodien

„Rüstungsexporte müssen auch in Länder außerhalb von EU und NATO möglich sein“

Der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie plädiert für eine „Zeitenwende“ bei den Anschaffungsprozessen für die Ausstattung der Bundeswehr und warnt vor Sicherheitsrisiken durch Verbandsklagen.

In ihrer Grundsatzrede am 12. September 2022 bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) verband Verteidigungsministerin Christine Lambrecht „Zeitenwende“ und Nationale Sicherheitsstrategie mit dem „Strategic Compass“ der EU sowie dem NATO „Strategic Concept“. Das dramatisch veränderte sicherheitspolitische Umfeld hat auch für uns als Industrie grundlegende Änderungen zur Folge, die keineswegs nur auf die erhöhten Verteidigungsausgaben bzw. das „Sondervermögen“ von 100 Milliarden Euro zurückzuführen sind. Hier sollen einige maßgebliche Folgerungen aus der Grundsatzrede aus Sicht der Industrie beleuchtet werden:

Die Bundeswehr als „zentrale Instanz für unsere Daseinsvorsorge“

Die deutsche Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (SVI) sieht sich als der maßgebliche Ausrüstungspartner des Premium-Kunden Bundeswehr. Trotz aller Höhen und Tiefen in manchen Projekten besteht hier eine erprobte und auf den Bedarf der Bundeswehr zugeschnittene Ausrüstungskompetenz.

So war es folgerichtig, dass unmittelbar nach der „Zeitenwende“-Regierungserklärung des Bundeskanzlers das BMVg die Unternehmen der deutschen SVI gleichsam „zur Fahne“ rief und die Unternehmen diesem Aufruf innerhalb kürzester Frist mit einem ungeahnten Maß an Aktivität, Kreativität und Flexibilität nachkamen. Innerhalb von wenigen Stunden bzw. Tagen trafen beim Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr zahlreiche Ideen und Angebote zur Sofort-Befähigung der Bundeswehr ein, woraus wohl Aufträge für Ersatzteile, Munition und Ähnliches im Wert von ca. 10 Milliarden Euro hätten ausgelöst werden können. Jedoch machte die damals geltende vorläufige Haushaltsführung dieser Soforthilfe einen Strich durch die Rechnung.

Auch wurde bereits vor der Verabschiedung des Sondervermögens der Ruf nach einer schnellen Beschaffung von „marktverfügbaren“ Produkten laut. Die deutsche SVI verfügt über zahlreiche marktverfügbare Produkte, oft solche, die bei anderen NATO-Streitkräften erfolgreich im Einsatz sind.

In Deutschland genügen sie allerdings oftmals nicht den spezifisch deutschen Bundeswehr-Bauanforderungen. Diese haben sich im Laufe der Jahre in ungeahnte Luxus-Höhen hochgeschraubt und müssen nun systematisch abgebaut werden; ein behördeninternes Forderungs-Controlling wird dazu kaum ausreichen.

Überhaupt empfehlen wir aus industrieller Sicht dringend, unsere industrielle Lösungskompetenz im Beschaffungsprozess mehr und frühzeitiger in Anspruch zu nehmen. Dazu müsste man den anzufragenden Gegenstand lediglich funktional – also nicht anhand vieler detaillierter Design-Merkmale – beschreiben, um anschließend im Wettbewerb eine Reihe von industriellen Anbietern ihre jeweils besten Lösungsvorschläge anbieten zu lassen. Vergaberechtlich ist dies ohne Weiteres zulässig.

In Deutschland ist die SVI privatwirtschaftlich organisiert. Sie muss also mit ihrer Tätigkeit verlässlich Geld verdienen, um Arbeitnehmer, Aktionäre und Finanziers zufriedenstellen zu können. Dies setzt gerade im Regierungsgeschäft ein hohes Maß an Planbarkeit für wirtschaftliche Entscheidungen/Investitionen voraus.

Auf Amtsseite wird bisweilen unterstellt, die Industrie müsse von sich aus in Forschung und Technologie (F&T) investieren bzw. bei Projekten in bestimmte Vorleistungen gehen. Dies mag im Einzelfall so sein, setzt aber einen Business-Case voraus, der einigermaßen verlässlich in ein profitables Liefergeschäft einmündet. Dies gilt nicht zuletzt auch bei den europäischen Förderprogrammen wie dem Europäischen Verteidigungsfonds.

Ministerin Lambrecht hat in ihrer Grundsatzrede zu Recht gesagt, dass die „Zeitenwende“ nicht zuallererst im Portemonnaie, sondern im Kopf stattfinden müsse. Dies möchten wir gerne auch auf die Prozesse in der Bundeswehr-Beschaffung angewandt sehen. Dass dabei trotz allem auch die der NATO zugesagten zwei Prozent vom Bruttoinlandsprodukt verstetigt werden müssen, wie es die Ministerin und der Bundeskanzler nachdrücklich postuliert haben, steht ohnehin außer Frage. Dies ist allein schon dem objektiv festgestellten Bedarf der Bundeswehr geschuldet.

„Wir müssen Europa aus sich heraus stärker machen.“

Dieser Satz aus der Grundsatzrede der Ministerin ist aus vielerlei Gründen mehr als gerechtfertigt. Einer davon liegt im BMVg selbst, das sich in den letzten Jahren auf der Arbeitsebene mit einer pro-aktiven Nutzung etwa des Europäischen Verteidigungsfonds (EVF) aus verständlichen Gründen schwertut.

So korreliert der EVF-Melde- und Auswahlprozess nur bedingt mit den BMVg-internen Planungs- und Beschaffungsprozessen; auch fehlt es im Haushalt des BMVg an den notwendigen Mitteln für die im EVF geforderte nationale Kofinanzierung bei Projekten mit Beschaffungshintergrund. Heute muss hierfür das ohnehin knappe F&T-Budget herhalten, das über die Planungsperiode der mittelfristigen Finanzplanung eher noch schrumpfen soll. Bei der von der Ministerin geforderten Aufstockung des EVF müssten also dringend auch die entsprechenden Aufstockungen im BMVg-Budget vorgenommen werden.

Allerdings müssen zum Gelingen einige Grundsätze beachtet werden: Die beteiligten Kunden – Regierungen/Streitkräfte – müssen sich auf gemeinsame Anforderungen einigen, es muss eine klare Führungsstruktur festgelegt werden, die auch eine leistungsfähige industrielle Struktur einschließt. Hierzu bedarf es auf deutscher Seite einer zwischen BMVg sowie der SVI abgestimmten Industriestrategie. Dies bedeutet, dass erfolgreiche europäische Rüstungskooperation unter deutscher Beteiligung nur aufgrund eines frühzeitigen Schulterschlusses zwischen BMVg und Industrie funktioniert.

Dazu gehört auch eine abgestimmte Strategie zur Behandlung von nationalen Schlüsseltechnologien im Bereich Sicherheit und Verteidigung. Diese sind seit den erstmals 2015/2016 von der Bundesregierung verabschiedeten „Strategiepapieren“ Ausdruck des politischen Willens, aus nationalen Souveränitätsgründen diese Technologien in Deutschland bewahren und fördern zu wollen. Bezogen auf diese Technologien hat sich der Bund zu mehrfacher Förderung verpflichtet, nach Art. 346 AEUV durch nationale Beschaffung, über F&T und über Export. Vor allem bei der Anwendung des Art. 346 fordert die deutsche SVI mehr Konsequenz auf Seiten des BMVg.

Das Ziel eines europäischen „Level-Playing-Field“ im Sinne allgemeiner Chancengleichheit ist auch für die europäische SVI oft als politischer Programmsatz proklamiert worden. Jedoch sind die Startpositionen extrem ungleich: In etlichen europäischen Ländern sind die Regierungen maßgeblich an der lokalen Rüstungsindustrie beteiligt, können sie also ungehemmt alimentieren.

Demgegenüber sieht die Bundesregierung die deutsche SVI in ihrer privatwirtschaftlichen Konstitution als weithin eigengesteuerte Industrie, für die der Staat nur begrenzte Verantwortung trägt. Hier ist von der Bundesregierung mehr Einsatz für das „Level-Playing-Field“ gefordert.

Wettbewerbsfähigkeit setzt in jedem Fall auch die Chance zum Export in Länder außerhalb von EU und NATO voraus; denn genau dies macht andere europäische Wettbewerber stark. Hier hat die Verteidigungsministerin sehr massive Pflöcke eingeschlagen. Sie sagte: „Bis heute machen wir solche Zusammenarbeit dadurch kompliziert, dass wir auf Sonderregeln beim Export von Rüstungsgütern beharren. Hier nimmt uns der europäische Gedanke, den wir aus gutem Grund gerne bemühen, doch auch ganz unmittelbar in die Pflicht. Wir müssen also an die deutschen Exportregeln ran, um der Kooperation bei wehrtechnischen Gütern einen mächtigen europapolitischen Schub zu verleihen.“

Dem ist nur beizupflichten. Bei der Bundeswehrtagung bekräftigte dies auch der Bundeskanzler: Ziel müsse es sein, „unsere nationalen Vorbehalte und Regularien zu überprüfen, was die Nutzung und den Export gemeinsam hergestellter Systeme angeht“. Wir als Industrie respektieren von jeher Deutschlands restriktive Exportgrundsätze für Kriegswaffen inklusive der jeweils ergehenden Einzel-Entscheidungen des Bundessicherheitsrats.

Demgegenüber haben wir jedoch kein Verständnis, wenn sich die in ihren Exportentscheidungen souveräne Bundesregierung ohne Not in die „Zwangsjacke“ eines neuen Rüstungsexportkontrollgesetzes begibt. Dies gilt erst recht für ein Instrument wie die von einigen NGO’s geforderte Verbandsklage, mit der die Bundesregierung ihre außen- und sicherheitspolitische Gestaltungsmacht bei Rüstungsexportentscheidungen auf NGO’s und Gerichte delegieren würde.

Sicherheit bildet die Grundlage für Nachhaltigkeit

Wie zuvor schon Bundesaußenministerin Baerbock, so hat auch Ministerin Lambrecht betont, dass Sicherheit in Form von Abschreckungs- und Verteidigungsfähigkeit eine Frage der Generationengerechtigkeit ist. Das bedeutet: Wir müssen uns um Sicherheit bemühen und in sie investieren, damit wir die Lebensgrundlagen nicht nur für uns, sondern auch für nachfolgende Generationen erhalten. Nichts anderes besagt auch die klassische Definition von Nachhaltigkeit aus dem im Jahr 1987 veröffentlichten Bericht der von der UN eingesetzten „Brundtland-Kommission“.

Eben hier kommt auch die Rolle der SVI zum Tragen, deren entscheidender Nachhaltigkeitsbeitrag es ist, Streitkräfte und staatliche Sicherheitsorgane im EU- und NATO-Raum auszurüsten, allen voran die Bundeswehr und deutsche Behörden und Organe der inneren Sicherheit. Diese brauchen unbestreitbar Rüstung und Waffen, um ihre anspruchsvollen Aufgaben zur Erhaltung von Sicherheit und Frieden in Mitteleuropa erfüllen zu können. Wie wir in der Ukraine sehen, ist die Erhaltung von Sicherheit und Frieden eine unabdingbare Voraussetzung für jede Art von Nachhaltigkeit. Also muss diese Logik endlich auch bei den EU-Instrumenten zur Erreichung der europäischen Klimaneutralität bis 2050 („Green Deal“) Einzug halten. Stattdessen grassiert vor allem im Finanz- und Versicherungssektor immer noch der Irrtum, Waffen seien per se als nicht nachhaltig einzustufen. Hier bedarf es seitens der EU eindeutiger Signale an den Finanzmarkt.

Zusammenfassung:

Angesichts der sicherheitspolitischen Lage Europas und Deutschlands geht es vor allem anderen um die angemessene, schnelle und effiziente Ausrüstung der Bundeswehr, um ihr die für ihre Aufgaben der Landes- und Bündnisverteidigung notwendige Stärke zu verschaffen (Stichwort: Kaltstartfähigkeit). Die Aussage von Bundeskanzler Scholz und Ministerin Lambrecht, dass sie hierfür dauerhaft mindestens 2 % des Bruttoinlandsprodukts erhalten soll, stellt wichtige Weichen für die künftige Etatplanung. Dabei sollte nicht vergessen werden, dass wir auf längere Sicht mit einer nicht unerheblichen Teuerung umzugehen haben und die Bundeswehr in den nächsten Jahren zusätzlich zu den bisher geplanten Ansätzen 25 bis 30 Mrd. Euro für die Erreichung der Klimaneutralität ihrer Liegenschaften benötigen wird.

Bei der Behandlung der Frage, wie das zugesagte Geld in tatsächliche Ausrüstung umgesetzt werden kann, schwingt vielleicht ein bisschen zu viel Selbstgewissheit mit. Das vom Bundestag verabschiedete Bundeswehrbeschaffungsbeschleunigungsgesetz dürfte für sich alleine das Klassenziel nicht sicherstellen. Es muss weiteres Umsteuern bei heute gebräuchlichen Prozessen hinzukommen, um effektive Beschleunigung zu erreichen: Öffnung der deutschen Bauvorschriften für „marktverfügbare Lösungen“, frühere Einbeziehung der anbietenden Industrie zur jeweiligen Lösungsoptimierung, konsequentes Nutzen nationaler Beschaffungswege nach Art. 346 AEUV bei definierten Schlüsseltechnologien. Europäische Kooperationen und eine stärkere Nutzung des Europäischen Verteidigungsfonds (EVF) sind gute Ideen. Dafür müssen zahlreiche Hürden in den BMVg-eigenen Prozessen abgebaut werden, die heute eine effiziente Nutzung dieser Instrumente hemmen.

Auch fehlt es im BMVg-Haushalt an der Einräumung eines Titels für deutsche Projekt-Kofinanzierung, die die EU unter dem EVF bei beschaffungsnahen Vorhaben von den beteiligten Mitgliedsstaaten fordert. Trotz der sehr guten und ermutigenden Reden gibt es also noch sehr viel zu tun, um den programmatischen Vorgaben von Kanzler und Verteidigungsministerin tatsächlich zu entsprechen. Wir als Industrie stehen hierzu – wie immer – partnerschaftlich bereit, um mit Rat und Tat der Bundeswehr zu ihrer dringend benötigten Ausrüstung zu verhelfen.

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