Die Lage verdichtet sich: Immer mehr Aufständische drängen sich am 06. Januar 2021 nach einer Trump-Veranstaltung an den Eingängen zum Kapitol und versuchen, die Polizisten zurückzudrängen und in das Gebäude einzudringen. Ihr Ziel: Der Senatssaal, in dem die Wahl von Joseph Biden zum 46. Präsident der USA bestätigt werden soll. Foto: dpa/Lev Radin

06.01.2022
Franziska Kelch

To protect and serve: Mit Leib und Leben für die Demokratie

Das jüngste Trauma in der US-amerikanischen Geschichte ist der Sturm auf das Kapitol am 6. Januar 2021. Die Frontlinie zwischen dem demokratischen Prozesse im Parlamentsgebäude und dem gewalttätigen Mob davor bilden an diesem Tag die Männer und Frauen der Capitol und der Metropolitan Police. Dies sind ihre Geschichten.

Vier erfahrene Polizisten, einer von ihnen Irak-Veteran, beschreiben am 27. Juli 2021 bei der Anhörung vor dem Untersuchungsausschuss des amerikanischen Repräsentantenhauses, was sie beim Sturm auf das Kapitol erlebt haben. Sie schildern, wie der Mob aus fanatischen Trump-Anhängern, Verschwörungstheoretikern, Rassisten, Neonazis und religiösen Fundamentalisten alles unternahm, um die Bestätigung der Wahl von Joseph Biden zu verhindern – und die Polizisten dabei wie Staatsfeinde behandelte.

Sergeant Aquilino Gonell
„You should be executed“

„Ich habe in meinem Leben mehrfach die Hand zum Schwur auf die amerikanische Verfassung gehoben“, erinnert sich Aquilino Gonell. Einmal, als er nach der Einwanderung in die USA aus der Dominikanischen Republik in die US- Army eintritt. Ein weiteres Mal, als er die amerikanische Staatsbürgerschaft annimmt. Und schließlich, als er nach seinem Dienst in der US-Army und im Irak Polizist der Capitol Police in Washington D.C. wird. Trotzdem nennen ihn die Menschen, die seine Kollegen und ihn am 6. Januar mit Metallstangen schlagen, mit Reizgas besprühen und mit Schusswaffen bedrohen einen Verräter und eine Schande. Sie sind überzeugt, dass auch mit Hilfe von Gonell Donald Trump die Wahl „gestohlen“ wird. „Man sollte dich hinrichten“, hört er von den Aufrührern.

Immer noch erschüttert schildert Sergeant Gonell, wie der Mob immer wieder versucht, die Polizisten in die Masse zu ziehen, ihnen Schilde und Schlagstöcke entwendet. Er beschreibt, dass die Angreifer sich abwechseln, während seine Kollegen und er immer müder werden. Und er erinnert sich an die Schreie der Kollegen, die geschlagen, getreten und zerdrückt werden. „Es war wie eine mittelalterliche Schlacht. Ich dachte, hier werde ich sterben“, resümiert er.
Stundenlang kämpft er in einem Tunnel an der Westseite des Kapitols gegen die Angreifer. Währenddessen verfolgt seine verängstigte Familie am Fernsehen die Tumulte. Unzälige Male versuchen sie, ihn anzurufen. Als er schließlich nach Hause kommt und seine Frau ihn umarmen will, muss er sie von sich stoßen. Seine Uniform ist immer noch mit Reizgas durchtränkt.

Officer Michael Fanone
„Kill him with his own gun“

Fanone hat Feierabend. Der erfahrene Drogenfahnder sitzt zuhause, als er den Sturm auf das Kapitol im Fernsehen sieht. Er bricht auf, um zu helfen. Das erste Mal seit vielen Jahren zieht der Zivilfahnder und Undercover-Polizist wieder seine Uniform an. Als er und sein Kollege am Kapitol ankommen, suchen sie nach einem Ort, an dem sie helfen können. Die vielen leeren Polizeiautos vor dem Gebäude sagen ihm: Wir sind nicht die ersten, die helfen wollen. „Alle, die an diesem Tag dort waren, sind das beste Beispiel für Pflichtbewusstsein, Ehre und Diensterfüllung“, sagt Fanone bei seiner Aussage vor dem Untersuchungsausschuss. Er habe viele Kollegen gesehen, deren Verhalten ihn mit Bewunderung erfüllt habe.

Fanone steht schließlich, ebenso wie Gonell, am Tunneleingang des Westflügels und hält die Angreifer zurück. Er und etwa dreißig Kollegen stehen „Schulter an Schulter“ in mehreren Reihen dem gewalttätigen Mob gegenüber: „Verletzt, müde, blutend. Aber niemand wollte sich ablösen lassen“, erinnert sich Fanone.

Irgendwann steht er ganz vorne am Tunneleingang. Er ist erschrocken, was für eine Masse an Menschen ihm gegenübersteht. Die Kamera an seiner Uniform dokumentiert einen Teil dessen, was nun geschieht. Der Mob zieht ihn in seine Mitte, er wird getreten, geschlagen, die Menschen entreißen ihm seine Polizeimarke und Munition und greifen nach seiner Waffe. Die Menge skandiert: „Schnappt euch seine Waffe, erschießt ihn mit seiner eigenen Waffe.“ Fonen schreibt: „Ich habe Kinder!“ Mehrfach drückt ihm einer der Aufständischen einen Elektroschocker in den Nacken. Er verliert das Bewusstsein und erleidet einen Herzinfarkt sowie ein Schädeltraume. Schließlich umringen ihn einige, wenige Aufständische und schieben ihn zurück in den Tunnel des Kapitols. „Was mich heute wahnsinnig macht, ist, dass viele Menschen die Ereignisse heute runterspielen“, sagt ein wütender Officer Fanone zum Ende seiner Aussage.

Officer Harry Dunn
„I never heard the n-word before, when I was wearing my uniform“

„Wir haben mit Demonstrationen gerechnet, aber wir dachten, die würden wie immer friedliche werden“, beginnt der afroamerikanische Polizist Harry Dunn von der Capitol Police seine Ausführungen. Er beginnt seinen Dienst am 6. Januar an der Ostseite des Kapitols. Dunns physische Präsenz lässt nicht vermuten, dass er sich jemals vor anderen fürchten muss. Als er von einem Freund eine Nachricht mit einem Screenshot erhält, beginnt er, sich zu sorgen. Ein Unbekannter schreibt, dass Donald Trump ihnen die „Marschorder“ gegeben hätte, sich zum Kapitol zu begeben: „Bewaffnet euch, versteckt die Waffen, bringt Gasmasken mit, formiert Gruppen aus sechs bis zehn Leuten“, fordert der Unbekannte seine Gefolgschaft auf. Nachdem er keine offiziellen Warnungen dieser Art erhält, entspannt sich Dunn wieder. Er sieht Demonstranten, er hört sie rufen: „Wir wollen Trump!" Aber alles ist friedlich.

Wenig später erklingt eine verzweifelte Stimme aus seinem Funkgerät: An der Westseite haben Demonstranten die Barrikaden durchbrochen. Dunn verlässt seinen Posten. „Ich war fassungslos. Bis zu diesem Tag hatte ich nie gesehen, wie ein Mensch, geschweige denn eine Menschenmenge, Polizisten mit Fäusten und Reizgas angreifen und überrennen“, erinnert sich der Hüne in Uniform. Er folgt dem Mob, der in das Kapitol eindringt. Er beobachtet schwer bewaffnete Aufständische in militärischer Schutzkleidung, mit der sogenannten Südstaatenflagge und MAGA-Kappen. Er fordert sie auf zu gehen. Sie brüllen: „Niemand hat für Biden gestimmt, wir sind hier, um den Diebstahl zu stoppen.“ Dunn entgegnet: „Ich habe für Biden gestimmt, zählt meine Stimme nicht?“ Die Tirade an rassistischen Beschimpfungen, die sich daraufhin über ihn ergießt, kann er kaum wiederholen. Er sagt nur, wie schockiert er darüber gewesen sei, wie zahlreich und hasserfüllt ihm das N-Wort entgegen geschleudert wird. In Gesprächen mit schwarzen Kollegen nach dem Aufstand hört er, dass auch sie aus der Masse immer und immer wieder mit dem N-Wort beschimpft und ihr Leben bedroht wurde. „Wie zur Hölle konnte so etwas passieren, ist das Amerika", fragt ein sichtlich verstörter Officer Dunn.

Officer Daniel Hodges
„You will die on your knees“

Officer Hodges Aufgabe am 06. Januar ist „crowd control“. Er soll die Veranstaltung von Donald Trump und seinen Mitstreitern absichern, die nahe des Kapitols stattfindet. Als Bereitschaftspolizist ist er trainiert für den Umgang mit gewaltbereiten Menschengruppen. Er beschreibt die Teilnehmer der Trump-Veranstaltung: „Sie trugen schusssichere Westen, Helme, Schutzbrillen, militärische Gesichtsmasken, Funkgeräte und Rucksäcke und wirkten daher auf mich nicht wie Menschen, die einfach nur einem Politiker in einem Park zuhören wollten.“ Einen Kollegen fragen sie: „Ist das alles, was ihr zu bieten habt? Glaubt ihr wirklich, so könnt ihr uns stoppen?“

Nach der Kundgebung beobachtet der Polizist, wie aus den Demonstranten ein aufständischer Mob wird. Hodges nennt sie Terroristen. Er und seine Kollegen werden zum Kapitol gerufen. Zunächst rücken sie in Zweierreihen zur Westseite vor. Bedrängt von den Aufständischen marschieren sie schließlich, einer hinter dem anderen, die Hand auf der Schulter des Vordermannes, durch die Menschenmassen. Einige Demonstranten versuchen die Polizisten auf ihre Seite zu ziehen. Ein anderer ruft Officer Hodges zu: „Du wirst auf den Knien sterben.“ Schließlich wird er von seinen Kollegen getrennt. Einer der „Terroristen“ schlägt ihm ein schweres Objekt auf den Kopf. Ein anderer versucht, ihm seinen Schlagstock zu entwenden. Er wird in die Brust getreten. Einer der Aufständischen drückt Hodges seinen Daumen uns Auge. Schließlich dringen die Kollegen zu ihm durch und richten ihn auf. Wie Fanone und Gonell steht Hodges kurze Zeit später im Tunnel an der Westseite des Kapitols. Der Tunnel ist erfüllt von Schreien, Reizgas und den dicht gedrängten Polizisten. Er steht ganz vorne an der Tür zwischen den „Terroristen“ und seinen Kollegen. Ihm wird die Gasmaske entrissen, ein Schlagstock trifft ihn ins Gesicht, er wird zwischen den Türen zerquetscht.

Alle vier Polizisten müssen sich nach den Unruhen aufgrund ihrer Verletzungen langfristig in ärztliche Behandlung begeben. Wie lange sie Unterstützung aufgrund ihrer psychischen Verletzungen benötigen werden, ist unklar. Sergeant Gonell hatte bereits durch die Erlebnisse im Irak-Krieg eine PTBS entwickelt, die durch die Ereignisse am 06. Januar 2021 erneut erwacht ist.

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