Der US-Präsident Joe Biden (l.) und Bundeskanzler Olaf Scholz bei der gemeinsamen Pressekonferenz nach Gesprächen in Washington am 07. Januar 2022. Foto: picture alliance/Alex Barton

08.02.2022
Franziska Kelch/dpa

Ukraine-Konflikt: Reisediplomatie, die Frage nach Deutschlands Rolle und laute Forderungen aus Kiew

Bundeskanzler Olaf Scholz reiste erstmalig zu Gesprächen mit US-Präsident Biden nach Washington. Emmanuel Macron sprach in Moskau mit Präsident Putin. Und Außenministerin Baerbock flog erneut nach Kiew zu Unterredungen mit ihrem Amtskollegen Kuleba und Ministerpräsident Denys Schmyhal. Wird sich diese Woche etwas bewegen in der Ukraine-Krise?  

Was sich nicht bewegen werde, hatte Olaf Scholz (SPD) bereits vor der Reise in die USA angekündigt: „Die Bundesregierung hat seit vielen Jahren einen klaren Kurs, dass wir nicht in Krisengebiete liefern und dass wir auch keine letalen Waffen in die Ukraine liefern.“ Sowohl Scholz als auch Baerbock (Grüne) sprachen sich stattdessen nach ihren Treffen in Washington und Kiew erneut für „harte Sanktionen" gegen Russland aus, sollte es die Ukraine angreifen. Der mögliche Sanktionenkatalog sei mit den Partnern in EU und NATO abgestimmt, sagte die Außenministerin. „Wir sind auch selbst bereit, einen hohen wirtschaftlichen Preis zu zahlen“, so Baerbock in Kiew. Es sei nun an Moskau, die Situation zu entschärfen.

Worum ging es in Washington?

Bereits vor dem Treffen von Scholz und Biden hatte dessen Sicherheitsberater Jake Sullivan gesagt, sollte Russland die Ukraine angreifen, „wird Nord Stream 2 nicht weitergeführt“. Bundeskanzler Scholz äußerte sich in der Frage nach dem Treffen mit dem amerikanischen Präsidenten weniger klar. Es gehe um „viel mehr als einen Schritt“.Ziel müsse es sein, Moskau klar zu machen, dass ein Angriff auf die Ukraine einen „sehr hohen Preis habe“. Moskau müsse begreifen, so Scholz in einem CNN Interview, dass es „die EU oder die NATO nicht spalten werde“.

Aus Sicht der Opposition ging es für Olaf Scholz bei der Reise nach Washington aber nicht nur um Sanktionen. Scholz habe sich in den letzten Wochen nicht klar genug gegenüber Russland positioniert, so der Vorwurf. Im Vorfeld von Scholz‘ Reise nach Washington forderte daher Norbert Röttgen (CDU), der Kanzler müsse klarstellen, „dass Deutschland ein aktiver und verlässlicher Verbündeter“ für die USA ist. Scholz betonte denn vor seiner Abreise auch, Ziel seines Besuchs sei „die Stärkung unserer transatlantischen Partnerschaft“. Dies ist ihm scheinbar gelungen, denn bei der Pressekonferenz nach dem Treffen zwischen Biden und Scholz sagte der us-amerikanische Präsident: „Deutschland ist einer unserer wichtigsten Verbündeten in der Welt. An der Partnerschaft Deutschlands mit den Vereinigten Staaten gibt es keinen Zweifel."

Nach Treffen mit Putin: Macron sieht möglichen Fortschritt

Der französische Präsident Macron äußerte sich nach fünfstündigen Gesprächen mit Wladimir Putin in Moskau vorsichtig hoffnungsvoll. Aus seiner Sicht sei eine diplomatische Lösung des Konflikts möglich. Es gäbe Schnittmengen bezüglich einer größeren Transparenz bei der Frage nach der Präsenz von Truppen und Waffensystemen. Macron machte deutlich, dass der bereits getroffene Friedensplan für den Donbass exakt umzusetzen sei - und das dies auch von der ukrainischen Seite Schritte erfordere. Zuvor hatte Putin gesagt: „Aus meiner Sicht ist offensichtlich, dass die heutigen Machthaber in Kiew auf eine Demontage der Minsker Vereinbarungen Kurs genommen haben." Macron berät sich am Dienstag in Kiew mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj

Deutsche Diskussion um Forderungen der Ukraine

In der vergangenen Woche erreichte das Auswärtige Amt und Verteidigungsministerium eine Liste mit Forderungen aus der Ukraine. Flugabwehr-Raketensysteme mittlerer Reichweite, tragbare Flugabwehr-Raketensysteme, Anti-Drohnen-Gewehre, Mikrowellen-Zerstörungssysteme, elektronische Ortungssysteme, Nachtsichtgeräte, Überwachungskameras und Munition – all das will Kiew von Deutschland haben. Der ukrainische Botschafter in Berlin sagte am Sonntagabend dazu: „Wir brauchen modernste Waffen. Deutschland kann das liefern. Deutschland ist fähig, das zu tun. Und das zu verweigern heute, das bedeutet für uns, die Ukraine im Stich zu lassen.“ Diesen Vorwurf wies Annalena Baerbock nach Gesprächen in Kiew gestern, trotz des deutschen Neins zu den Forderungen, zurück. Sie versprach: „Wir werden alles dafür tun, dass es zu keiner weiteren Eskalation kommen wird.“ Auch die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Marie Strack-Zimmermann (FDP) reagierte auf die Forderungen aus der Ukraine: „Deutschland hat in den letzten Jahren der Ukraine viel Hilfe zukommen lassen. Im Eifer des emotionalen Gefechts, sollten die ukrainischen Vertreter nicht Freund und Feind verwechseln, ein bisschen Mäßigung wäre angebracht.“

Mit Blick auf die Forderungen nach Waffenlieferungen stellen sich Kommentatoren unterdessen ohnehin die Frage: Woher nehmen, wenn nicht stehlen?

Auch wer einen Blick in den letzten Rüstungsbericht und den Bericht zur materiellen Einsatzbereitschaft der Bundeswehr wirft, kommt zu der Erkenntnis: Die Ausrüstungslage der Bundeswehr ist nicht so entspannt, wie es die ukrainischen Forderungen glauben machen wollen. Der ehemalige Wehrbeauftragte Hans-Peter Bartels (SPD) hingegen sagte der Welt am Sonntag, dass die Bundeswehr der Ukraine durchaus Material zur Verfügung stellen könnte: „Auch wenn für Sozialdemokraten und Grüne nur nicht letale Ausrüstung infrage kommt, wäre mehr möglich als die peinlichen 5000 Helme: etwa Logistik-Fahrzeuge aller Art, geschützte Infanterie-Fahrzeuge Dingo I und II, Nachtsichtgeräte und Funkgeräte.“ Auch Verteidigungspolitiker Henning Otte (CDU) hat sich bereits für die Lieferung von Defensivwaffen an die Ukraine ausgesprochen. Er forderte die Bundesregierung au, sich nicht hinter einer „restriktiven Rüstungspolitik aus dem Koalitionsvertrag zu verstecken“.

Statt Waffenlieferungen nach Kiew kündigte Verteidigungsministerin Lambrecht gestern an, 350 zusätzliche Soldatinnen und Soldaten nach Litauen zu verlegen, um die Präsenz der NATO an der Ostflanke zu stärken. Dies sei ein "deutliches Zeichen der Geschlossenheit in Richtung Russland," so Lambrecht.

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