Verteidigungsminister Boris Pistorius und die Wehrbeauftragte Eva Högl im Bundestag: Über den Jahresbericht wurde heute debattiert. Foto: Picture alliance/Michael Kappeler

20.04.2023
Von Yann Bombeke

Högl: Erreichen der Personalziele der Bundeswehr ein „gewaltiger Kraftakt“

Zu wenig Material, zu wenig Personal, schlechte Infrastruktur: Die Mängelliste im heute im Bundestag behandelten Bericht der Wehrbeauftragten ist alles andere als neu – doch mit der Zeitenwende und dem Krieg in Osteuropa ist der Blick auf den Zustand der Bundeswehr kritischer geworden.

Berlin. „Die Bundeswehr hat von allem zu wenig. Das ist bekannt, macht es aber nicht besser. Und sie hat seit dem 24. Februar 2022 noch weniger“, stellte Eva Högl, die Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, bei der Vorstellung der Ergebnisse ihres Berichts vor den Parlamentariern fest. Und in der Tat ist der Zustand der Streitkräfte alarmierend. Umfangreich waren die Waffenlieferungen Deutschlands an die Ukraine, auch aus Beständen der Bundeswehr. Und dieses Material fehlt nun an allen Ecken und Enden.

Es sei deswegen „gut und richtig“, so Högl, dass es das Sondervermögen fin Höhe von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr gebe, doch das Geld müsse jetzt auch spürbar bei den Soldatinnen und Soldaten ankommen, forderte die Wehrbeauftragte bei der Vorstellung ihres Jahresberichts im Bundestag. Högl stellte: „Ich muss leider sagen: 2022 ist noch nichts ausgegeben worden, aber jetzt geht es voran – das ist schon spürbar.“ Högl hofft, dass „die Beschaffung jetzt zügig beschleunigt wird“.

Infrastruktur: Investitionsbedarf von 50 Milliarden Euro

Die mangelhafte Infrastruktur nimm ebenfalls einen großen Platz im Jahresbericht ein. Högl verdeutlichte die Zahlen, um die es geht: „Wir haben einen Investitionsbedarf von 50 Milliarden Euro. Wenn wir wissen, da wird eine Milliarde pro Jahr ausgegeben, dauert es ein halbes Jahrhundert, bis unsere Kasernen modernisiert sind. Das ist zu lange, wir brauchen Beschleunigung.“

Auch das Thema Personal griff die Wehrbeauftragte auf – für Högl „das wichtigste Thema“. Zwar gebe es eine positive Entwicklung, da 12 Prozent mehr Menschen zur Bundeswehr gekommen seien als im Vorjahreszeitraum. Allerdings sei die Abbrecherquote nach wie vor viel zu hoch. „Es wird ein gewaltiger Kraftakt werden, wenn das Ziel von 203.000 Soldatinnen und Soldaten bis 2031 erreicht werden soll“, sagte Högl. Schon jetzt sorge der Personalmangel für eine enorme Belastung, teilweise Überlastung der Truppe.

Wüstner: Personal ist "wesentlicher Faktor" der Einsatzbereitschaft

Für den Bundesvorsitzenden des Deutschen BundeswehrVerbandes hat die Wehrbeauftragte damit die richtigen Akzente gesetzt. Oberst André Wüstner dankte Eva Högl, dass sie dem Thema Personalgewinnung und -bindung in ihrem Bericht breiten Raum gewährt: „Gut, dass neben den Herausforderungen bei Material und Infrastruktur endlich auch der wesentliche Faktor von einsatzbereiten Streitkräften in den Fokus gerückt ist: unser Personal.“ Wüstner weiter: „Wir bestärken den Verteidigungsminister und die Parlamentarier darin, die Gewinnung sowie Bindung von Personal und damit auch die Wertschätzung des Dienstes in der Bundeswehr durch gesetzliche und untergesetzliche Maßnahmen voranzutreiben. Vorschläge dazu haben wir bereits eingebracht. Nun gilt es, diese Vorschläge in die Tat umzusetzen.“

Gespannt waren die Abgeordneten, wie der Verteidigungsminister zu den Ausführungen der Wehrbeauftragten Stellung beziehen würde. Für Boris Pistorius (SPD)ist der Bericht der Wehrbeauftragten der „Gradmesser für die Einsatzbereitschaft der Truppe, der Gradmesser, wie gut wir aufgestellt sind, um unser aller Frieden und Freiheit zu verteidigen“. In Punkto Personal gab er der Wehrbeauftragten recht: „Wir sind uns einig in der Frage der Gewinnung und der Haltung von gutem Personal – das wird die Herausforderung der nächsten Jahre sein.“

Pistorius: Vier "Hauptbaustellen"

Pistorius sieht aber noch weitere „Hauptbaustellen“, vier davon beschrieb er vor den Abgeordneten. Ein erster großer Punkt sei die Ukraine. Der Sozialdemokrat versprach, dem von Russland überfalleben Land zu helfen, solange es nötig ist. Pistorius: „Ja, das ist teuer. Ja, das hat Lücken bei der Bundeswehr gerissen. Deswegen kümmere ich mich mit Nachdruck um eine zügigere Nachbeschaffung, ganz wie im Bericht von der Wehrbeauftragten gefordert.“ Erste Bestellungen seien bereits auf den Weg gebracht worden.

Als zweiten Punkt nannte Pistorius die Streitkräfte, die einsatzbereit, kampfstark und durchhaltefähig sein müssten – die Bundeswehr müsse insgesamt „besser“ werden. Der IBuK weiter: „Wir brauchen eine Truppe, die in ihrer gesamten Breite ihre Aufträge aus dem Stand erfüllen kann – kaltstartfähig also.“ Mit Blick auf die Division, die Deutschland für 2025 der NATO zugesagt hat, sagte Pistorius: „Das wird ein Kraftakt werden und ein Brennglas unserer Glaubwürdigkeit in der Zeitenwende.“

Eine dritte Baustelle sieht der Verteidigungsminister in der Sicherheitspolitik. Über „Bedrohungen, Bündnisse, Abschreckung und unsere Sicherheit“ müsse anders gesprochen werden als bisher.  „Wir müssen wieder lernen, in großen sicherheitspolitischen Zusammenhängen, Zeiträumen und Linien zu denken“, forderte der Minister.

„Zwei Prozent sind das Ziel"

Schließlich sprach Pistorius auch das Thema Geld an.  Verteidigung sei teuer und sie werde noch teurer werden, warnte er. Die Betriebskosten würden schnell steigen, ein Großteil der Beschaffung komme nicht aus dem Sondervermögen, sondern aus dem Einzelplan 14. Zudem würden technologische Entwicklungen etwa im Cyber-Bereich oder bei den hybriden Bedrohungen Anstrengungen verlangen.  „Die zwei Prozent sind und bleiben daher unser Ziel für den Verteidigungshaushalt – und das ist mein klares Bekenntnis“, sagte Pistorius.

Auch auf die geplanten Umstrukturierungen in seinem Ministerium ging der Verteidigungsminister ein. Übergeordnetes Ziel des Vorhabens sei es, die Zeitenwende schneller und kraftvoller umzusetzen und auch „sichtbar in der Struktur unseres Hauses zu machen“.

Kritik der Opposition

Hauptangriffspunkt der Opposition war an diesem Tag im Bundestag die schleppende Umsetzung der Zeitenwende trotz des zur Verfügung gestellten Sondervermögens. Kerstin Vieregge (CDU) ist der Bericht der Wehrbeauftragten eine Warnung vor einem „weiter so“. Vieregge weiter zur Zeitenwende: „Das zweite Jahr darf nicht so verschlafen werden wie das erste.“ Der Bericht zeige zudem auf, wie „gewaltig“ der Investitionsbedarf tatsächlich sei – allein Munition im Wert von 30 Milliarden Euro fehle der Bundeswehr.

Auch Florian Hahn (CSU), verteidigungspolitischer Sprecher der Unionsfraktion, beklagte, dass die Ampelkoalition ein Jahr Zeit gehabt habe, um Verbesserungen und Modernisierungen anzustoßen, jedoch sei „nichts“ geschehen. Hahn warf der Regierung Versagen vor: „Es gab keine Patrone mehr für die Bundeswehr im Jahr 2022.“

Hannes Gnauck (AfD) kritisierte die Abgabe von Material an die Ukraine. Den Bericht der Wehrbeauftragten nannte er ein „verheerendes Urteil“ nach einem Jahr Zeitenwende.

Ali Al-Dailami (Die Linke) bemängelte, dass von den Reformen im Beschaffungswesen nicht viel zu spüren sei, Rüstungsprojekte würden am Ende immer noch deutlich teurer ausfallen als ursprünglich vorgesehen.

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